"Schuldig? - Schicksale vor Gericht" ab Donnerstag, 27. März 2003, wöchentlich um 20.15 Uhr Interview mit Alexander Hold
Berlin (ots)
Ab Donnerstag, 27. März 2003 um 20.15 Uhr zeigt Sat.1 in der neuen, wöchentlichen Gerichts-Reihe "Schuldig? - Schicksale vor Gericht" spektakuläre Gerichtsfälle, die auf wahren Verbrechen beruhen. Jeden Donnerstagabend geht es um aufsehenerregende Gerichtsprozesse und dramatische, schicksalhafte Entscheidungen vor deutschen Gerichten. Die verhandelten Fälle basieren auf wahren Verbrechen. Die Tat und der Prozess werden allerdings verändert dargestellt, um die Opfer zu schützen. In jeder Folge führt Richter Alexander Hold die Zuschauer als juristischer Experte durch jeweils einen spannenden Strafrechtsfall und bringt für die Zuschauer die Frage nach der Schuld des Angeklagten auf den Punkt. Filmbilder stellen das Geschehen nach, dokumentieren die emotionale Dramatik des Geschehens und den möglichen Tathergang.
Da vielen Kollegen aufgrund der aktuellen Ereignisse die Zeit für ein persönliches Gespräch mit Alexander Hold fehlt, schicken wir Ihnen zur Unterstützung das aktuelle Sat.1-Interview:
"ES GEHT IMMER UM MENSCHEN"- Interview mit Alexander Hold
Wie sieht Ihre Rolle in der Sendung aus?
Die will ich nicht auf einen Begriff eingrenzen. Ich bin weder Moderator noch Gerichtsreporter, sondern führe als juristischer Experte in meiner Kompetenz als Richter durch die Sendung. Ich werde für die Zuschauer Strafverfahren kommentieren und Sachverhalte erklären, die meiner Meinung nach einer Erläuterung bedürfen. In einer Stunde Sendezeit können wir natürlich keinen vollständigen Mordprozess abbilden. Bestimmte Teile des Verfahrens fassen wir zusammen oder beleuchten sie in kurzen "Flashbacks". Manchmal ergibt sich durch mehrere Aussagen auch erst ein Mosaik, das uns zum Täter führt. Auch darauf werde ich die Zuschauer hinweisen. Warum kann der Angeklagte aufgrund einer Aussage nicht an diesem oder jenem Ort gewesen sein kann? Oder warum blieb ihm trotz des Alibis noch Zeit, die Tat zu begehen?
Was sind die Besonderheiten eines Schwurgerichtsverfahrens im Vergleich zu einem Strafverfahren aus Ihrer Nachmittagssendung?
Abgesehen vom Tatbestand sind beide im Ablauf sehr ähnlich. Natürlich muss man sich bei einem Kapitalverbrechen besonders viel Zeit dafür nehmen, die Vergangenheit des Angeklagten zu erforschen oder z.B. die Folgen der Tat für die Opfer und andere Beteiligte kennen zu lernen. Schließlich geht es nicht um eine Geldstrafe, sondern um hohe Freiheitsstrafen.
Sie haben, zunächst als Staatsanwalt, dann als Richter, jahrelange Berufserfahrung. Worin liegt der besondere Reiz der verschiedenen Rollen?
Als Staatsanwalt kann man besonders viel Eigeninitiative ergreifen. Laut Gesetz ist der Staatsanwalt der Herr des Ermittlungsverfahrens. Er lenkt und leitet z.B. die Polizei und andere Behörden und gibt die Richtung der Ermittlungen vor - eine sehr spannende Aufgabe mit vielen Entfaltungsmöglichkeiten. Da fühlt man sich manchmal schon fast wie ein "Jäger", der versucht, den Täter zur Strecke zu bringen. Der Richter bekommt den Fall in der Regel erst nach Abschluss der Ermittlungen. Im Gegensatz zum Staatsanwalt "ermittelt" der Richter nur im Sitzungssaal die Wahrheit. Das Reizvolle am Richterberuf ist für mich seine absolute Unabhängigkeit, also das Gefühl, nur der Gerechtigkeit und damit der Gesellschaft insgesamt verpflichtet zu sein und sonst auf nichts und niemand Rücksicht nehmen zu müssen.
Was sind, aus Ihrer Erfahrung, die häufigsten Gründe für ein Kapitalverbrechen?
Abstrakt gesagt sind es Emotionen innerhalb eines Beziehungsgeflechts, also Rache, Eifersucht, Enttäuschungen etc. Die Gefahr, nachts irgendwo allein durch den Wald zu laufen und ermordet zu werden, ist verschwindend gering im Vergleich zu der Gefahr, vom eigenen Vater, Ehepartner oder Freund umgebracht zu werden.
Wie gelingt es, solch emotional begründete Taten mit Hilfe eines scheinbar kühlen juristischen Systems zu bewerten?
Das ist einer der spannendsten Punkte meines Berufs. Es geht nie nur um den Fall, es geht nie um die abstrakte Lösung einer juristischen Denksportaufgabe. Es geht immer um Menschen, auf der Opferseite wie auch auf der Täterseite, um deren persönliche Schicksale und deren persönliche Schuld. Da zählt der äußere Tatablauf genauso wie die inneren Beweggründe, das Vorleben, die Emotionen, die zu der Tat geführt haben.
Welche Rolle spielt der Faktor "Strategie" im Verfahren?
Beim Staatsanwalt bezieht sich dieses Wort v.a. auf die Ermittlungsstrategien, die bekanntlich jeden Fernsehkrimi füllen. Aber auch der Verteidiger kann verschiedene Strategie verfolgen: Versuche ich zu beweisen, dass mein Mandant unschuldig ist, will ich für ihn nur eine mildere Strafe erlangen oder versuche ich, die Ermittlungsbehörden und das Gericht zu zermürben?
Es gibt "Konfliktverteidiger", die aus bestimmten Gründen den Ausgang des Prozesses so lange wie möglich hinauszögern wollen. Es gibt auch das Ziel, einen Strafprozess möglichst ohne Öffentlichkeit durchzuführen, so nach dem Motto: Wir zahlen eine hohe Strafe, hätten aber ungern die Presse dabei. Dafür akzeptieren wir die vorgesehene Strafe und ziehen die Verhandlung an einem Tag durch. All diese Strategien werde ich dem Zuschauer erläutern.
Welche Rolle spielen Gutachter? Sind sie heutzutage das Zünglein an der Waage?
Zunächst sollte sich ein guter Richter selbst möglichst gut in der Welt auskennen, also das Gegenteil von weltfremd sein. Trotzdem wird die Welt immer komplizierter, da spielen Gutachter eine dramatisch wichtige Rolle. Im Strafverfahren handelt es sich oft um medizinische Gutachter, die z.B. mit DNA-Analysen arbeiten. Enorm wichtig ist auch die Begutachtung der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Da sind wir auf erfahrene, angesehene Psychiatrieprofessoren angewiesen, die uns sagen, dass dieser Mensch z.B. grundsätzlich eher nicht zu Sexualstraftaten neigt oder eben dauerhaft gefährlich ist. Als Richter habe ich trotzdem die Pflicht, jedes Gutachten zu hinterfragen, um mir selbst ein Bild zu machen.
Eine Alternative zu Sendungen wie dieser wäre, dass man reale Gerichtsverfahren im TV zeigt. Was halten Sie davon?
Das Bundesverfassungsgericht hat das ein für alle Mal in Deutschland für unzulässig erklärt. Und ich bin sehr froh, dass so entschieden wurde, denn das faire Verfahren wäre sonst nicht mehr gewährleistet. Es bestünde immer die Gefahr, dass die Opfer vorgeführt würden, dass sich irgendeiner der Beteiligten profilieren will und andere Ziele verfolgt als die Wahrheitsfindung. Selbst mit Idealrichtern, Idealverteidigern und Idealstaatsanwälten, denen völlig egal ist, ob da Kameras laufen, wäre diese Gefahr vorhanden - und zwar auf Zeugenseite. Der eine wäre furchtbar gehemmt, traut sich nichts mehr, der andere hat am Vorabend seinen Kegelbrüdern erzählt, dass er morgen vor Gericht muss und es "denen" schon zeigen werde. Entsprechend unsicher wäre der Wahrheitsgehalt dieser Aussagen. Und wie soll ich das als Richter noch zuverlässig beurteilen?
Wie kann der Zuschauer von Ihrer neuen Sendung profitieren?
Durch die Gerichtssendungen am Nachmittag wissen die Zuschauer besser über die äußeren Abläufe eines Gerichtsverfahrens Bescheid als früher. Das Vertrauen, dass vor Gericht fair mit den Menschen umgegangen wird, ist gestiegen. Es wäre schön, wenn sich dieser Trend in meiner neuen Sendung "Schuldig? - Schicksale vor Gericht" fortsetzt. Die Zuschauer sollen sich natürlich unterhalten. Vielleicht aber lernen sie ganz nebenbei, selbst mehr zu differenzieren, wenn sie über reale Gerichtsverfahren lesen und wenn von manchen Medien wieder einmal die "Todesstrafe" gefordert wird.
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