Vorstand der Arzneimittelkommission kritisiert Hype um Abnehmspritze Wegovy - Deutschlands bekanntester Adipositas-Arzt will nicht sagen, wie viel Geld er vom Spritzen-Hersteller Novo Nordisk erhält
Hamburg (ots)
Andreas Klinge, Vorstandsmitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, kritisiert den Hype um die Abnehm-Spritze Wegovy. Die häufig sehr positive Berichterstattung über das Medikament habe zu einer enormen Nachfrage unter Abnehmwilligen geführt, sagt Klinge gegenüber NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Inzwischen vergehe kein Tag mehr, an dem nicht mindestens vier oder fünf Patienten in seiner Praxis nach dem Medikament verlangten. "So einen Hype um ein Medikament habe ich in den zwanzig Jahren meiner ärztlichen Tätigkeit noch nicht erlebt", so der Hamburger Diabetologe. Dabei habe die Spritze keineswegs nur Vorteile. "Nach allen Daten, die wir haben, muss man Wegovy für immer einnehmen", sagt Klinge. "Wenn man die Spritze wieder absetzt, nehmen die Menschen wieder zu." Dazu kämen bei Wegovy auch häufige Nebenwirkungen, sagt der Arzneimittelkommission-Vorstand. Viele Patienten litten nach der Einnahme unter Übelkeit, Durchfall oder auch Erbrechen. Zudem gebe es in Tierversuchen Hinweise auf Bauchspeicheldrüsen-Entzündungen und seltene Schilddrüsen-Tumore.
Der Präsident der Adipositas-Gesellschaft, Prof. Jens Aberle, hält die Nebenwirkungen der Abnehm-Spritze dagegen für "verhältnismäßig überschaubar". Überhaupt äußert sich der Arzt oft sehr positiv über die Abnehmspritze. So nannte er das Medikament etwa auf einer Pressekonferenz des Science Media Centers einen "Gamechanger". Noch nie habe es Medikamente gegeben, "die auch nur in der Nähe der Effektivität" von Wegovy waren, so Aberle auf der Pressekonferenz. Anschließend fanden sich Aberles Formulierungen in Medien in ganz Deutschland. Was die Journalisten dort aber nicht erfuhren, waren Aberles Interessenkonflikte. So hatte er in den vergangenen Jahren von mehreren Pharmafirmen Gelder für Vorträge und als Berater erhalten, auch vom Wegovy-Hersteller Novo Nordisk aus Dänemark. Gegenüber den Veranstaltern der Pressekonferenz hat Aberle seine Interessenkonflikte offenbar verschwiegen, wie diese auf Anfrage mitteilten. Im Gespräch mit NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung räumt Aberle ein: "Das kann sein, dass hier und da mal das vielleicht nicht angegeben wird, aber das war dann ein einmaliges Versäumnis." Konsequent verweigert Aberle gegenüber der Öffentlichkeit die Auskunft, wie hoch die Zahlungen waren, die er von den Pharmaunternehmen erhalten hat. So hat Aberle weder Novo Nordisk noch den anderen Pharmafirmen, für die er arbeitet, erlaubt, die an ihn geleisteten Zahlungen zu veröffentlichen. Auf Nachfrage erklärt er, dies nicht zu wollen, solange nicht auch die Namen aller anderen Ärztinnen und Ärzte veröffentlicht werden, die Geld von Pharmafirmen erhalten.
Im März hatte Aberle unter seinem Namen einen großen Artikel über die Abnehmspritze für die Zeitung "Bild am Sonntag" geschrieben. Darin fordert er gar, dass die Krankenkassen die Behandlungskosten übernehmen sollen. Denn diese dürfen bisher laut Sozialgesetz keine Medikamente zur Gewichtsreduktion bezahlen. Aberle schreibt in "Bild am Sonntag" (Axel-Springer-Verlag) dagegen: "Die Kostenübernahme ist wichtig, denn viele Betroffene können sich eine dauerhafte Therapie mit den neuen Mitteln nicht leisten." Von Aberles Interessenkonflikten ist auch an dieser Stelle nichts zu lesen.
Manja Dannenberg, Vorstand der Ärzte-Organisation MEZIS (Abkürzung für "Mein Essen Zahl Ich Selbst"), eine Initiative für mehr Transparenz und gegen Einflussnahme im Gesundheitswesen, kritisiert im Gespräch mit dem ARD-Politikmagazin "Panorama" (NDR), dass auch Aberles Adipositas Gesellschaft allein im vergangenen Jahr 145.000 Euro von Novo Nordisk erhalten habe. "Als Präsident der Adipositas-Gesellschaft tritt Herr Aberle als Experte auf", sagt MEZIS-Vorständin Dannenberg, "und wenn man sich die Hintergründe anschaut, dann weiß man, dass er selbst für die herstellende Firma Novo Nordisk Vorträge hält oder auch als Berater tätig ist." Auf Anfrage teilt der Axel-Springer-Verlag mit, dass ihnen Aberles Interessenkonflikt "nicht bewusst" gewesen sei. "Wäre er uns bewusst gewesen, hätten wir für dieses Thema nach einem anderen Experten gesucht."
Die AOK geht von rund 16 Millionen Erwachsenen aus, die in Deutschland als adipös gelten, also einen Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 haben. Würden alle die Wegovy-Spritze erhalten und orientiert man sich am derzeitigen Preis von knapp 4000 Euro pro Jahr pro Patient, kommt die AOK auf mögliche Ausgaben von 52,3 Milliarden Euro. Das wäre mehr als die bisherigen Gesamtausgaben für alle Medikamente in der gesetzlichen Krankenversicherung zusammen. Diese lagen im vergangenen Jahr bei 48,8 Milliarden Euro. Jens Aberle selbst sagt auf Nachfrage, es sei "völlig klar", dass die Kassen die Spritze nicht für alle adipösen Menschen bezahlen könnten. Man müsse eine Gruppe definieren, die davon in besonderem Maße profitiere.
Mehr dazu am Donnerstag, 5. Oktober, um 21.45 Uhr in "Panorama" im Ersten und danach in der ARD Mediathek.
Zudem gibt es die Folge "Abnehmspritzen: Ein fettes Geschäft" des "11km - der tagesschau-Podcast" in der ARD Audiothek.
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