Kölnische Rundschau: Kölnische Rundschau Kommentar zu 20 Jahre Mauerfall
Köln (ots)
Schon vergessen?
RAIMUND NEUSS zu 20 Jahre Mauerfall
Ein Tag, an dem alles anders wurde: Kaum jemals war ein historischer Umbruch so schnell, so radikal und so unmittelbar sichtbar wie am 9. November 1989. Wer kurz vor acht Uhr am Brandenburger Tor stand, der hätte es für einen absurden Traum gehalten, dass vier Stunden später eine Menschenmenge auf der Mauerkrone stehen würde. Umgekehrt war am Wochenende nach diesem Donnerstag eine Rückkehr zu den alten Zuständen unvorstellbar geworden. Und das, obwohl es noch am Samstag auf DDR-Seite Überlegungen über einen Militäreinsatz gab.
Auch 20 Jahre danach mündet jede Erinnerung an diesen 9. November in tiefer Erleichterung. Was wäre geschehen, wenn die SED-Führung ihr Heil darin gesucht hätte, Soldaten auf die eigenen Mitbürger einprügeln oder schießen zu lassen? Das so etwas denkbar war - auch das können wir uns heute kaum mehr vorstellen.
<$19>N<$0>ach dem 9. November war die alte DDR plötzlich sehr fern, auch wenn ihre Funktionäre noch um ihre Macht kämpften. Diese Ferne erklärt die manches absurde Umfrageergebnis. Da begrüßt zwar eine überwältigende Mehrheit die Einheit. Eine noch halbwegs deutliche Mehrheit der ehemaligen DDR-Einwohner sieht im Rückblick einen Unrechtsstaat, in dem es aber - das behaupten in der gleichen ARD-Umfrage zwei Drittel - gerechter zugegangen sein soll als im vereinten Deutschland.
Die Erinnerung an die Realität vor dem 9. November ist aus vielen Köpfen verschwunden. Wie kann ein Bildungssystem (wieder laut ARD) besser gewesen sein als das heutige, in dem Schullaufbahnen wegen des kirchlichen Engagements junger Leute zerstört wurden? Welche Vorzüge hatte ein Gesundheitswesen, in dem Frühgeborene zuweilen in Wassereimern ertränkt wurden?
Heute unvorstellbar ist auch das Ausmaß des DDR-Bankrotts. Also werden dessen Folgen dem demokratischen Staat angelastet: Differenzen bei Wirtschaftsleistung und Pro-Kopf-Einkommen, und das trotz Netto-Transfers von bis zu 1,6 Billionen Euro in den letzten beiden Jahrzehnten. Dass dieses Geld nicht immer klug investiert wurde, sei am Rande vermerkt. Das auch im Vergleich mit westlichen Ländern erfolgreiche Sachsen zeigt das eine, viele Subventionsruinen zeigen das andere Extrem.
Noch länger als die materiellen Spuren halten die seelischen. 280000 Mitarbeiter - 91000 Hauptamtliche und 189000 Inoffizielle - hatte die Stasi 1989. Von 60 Einwohnern stand einer in Erich Mielkes Diensten. Das zerstörte Ehen und Freundschaften, das hatte nach der Wende auch Folgen für die Spitzel selbst. Verständlich, dass viele das Ausmaß der Stasi-Durchdringung verharmlosen. Politiker der Linkspartei alias SED helfen gerne dabei.
Verdrängen ist aber das Gegenteil von Aussöhnung. Dabei haben Politik und Justiz zur Aussöhnung viel beigetragen: die rechtsstaatliche Aufarbeitung der SED-Kriminalität, die faire Verwaltung der Stasi-Akten, die Integration von Polizisten und Soldaten. Die so gern behaupteten Diskriminierungen nur wegen SED-Zugehörigkeit hat es eben nicht gegeben.
Wir Deutschen können stolz darauf sein, wie das Erbe der DDR bewältigt worden ist. Wer im Westen glaubt, er habe davon nichts als Kosten, der hat wohl noch nie den ICE nach Berlin genommen, einen Computer mit einem Prozessor aus Dresden gekauft oder Urlaub auf Usedom gemacht. Und der hat auch nicht wahrgenommen, was für ein starkes und friedliches Land herangewachsen ist. Der 9. November und die Monate danach haben der Welt bewiesen, dass die Deutschen zur Vernunft gekommen sind, um es mit Helmut Kohl zu sagen. Deutschland, Partner der USA, Freund Polens und ehrlicher Makler für russische Interessen: Das ist möglich geworden, weil Tausende am 9. November 1989 die Mauer schlicht überrannt haben.
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