Leben als Verfügungsmasse
Raimund Neuß über Reformpläne im Medizinrecht
Köln (ots)
Mehr Fortschritt möchte die Ampelkoalition wagen. Während dessen Tempo bei Klimaschutz und Mobilität durchaus verhalten erscheint, kann es in der Bioethik nicht schnell und radikal genug zugehen: Rot, Grün und Gelb planen eine Totalrevision aller Bestimmungen, die den Schutz des ungeborenen Lebens betreffen, und wollen die Grenzen der Verfassungsordnung testen.
In der Reproduktionsmedizin geht es nicht etwa um behutsame Korrekturen im Interesse unverheirateter oder lesbischer Paare, sondern von der Leihmutterschaft bis zur Embryonenselektion steht alles im Ampelkatalog, was Fachkliniken anbieten können. Bei der Abtreibung geht es nicht einfach um erweiterte Informationsrechte, sondern das Werbeverbot soll komplett fallen - als eine von vielen Restriktionen, die zur Streichung anstehen.
Bei alledem vermisst man den Hinweis, dass neben den Rechten von Eltern, die ein Kind unbedingt wollen, und von Frauen, die ein schon gezeugtes Kind auf keinen Fall wollen, auch das ungeborene Leben selbst ein Rechtsgut ist. Das ist keine christliche Sonderlehre, sondern Verfassungswirklichkeit, und unsere Gesetze versuchen diese konkurrierenden Rechtsgüter auszutarieren.
Es ist ein Unterschied, ob der Staat in Konfliktsituationen auf seinen Strafanspruch verzichtet oder ob er einen Versorgungsauftrag definiert und damit Mediziner und Medizinstudierende (Abtreibung als Ausbildungsinhalt) unter Druck setzt. Es ist auch ein Unterschied, ob er künstliche Befruchtungen zulässt oder den Embryonenschutz teilweise schleift. Wer menschliches Leben im Frühstadium zur Verfügungsmasse macht, bewegt sich auf einer gefährlich schiefen Bahn.
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