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Heilbronner Stimme: Gladbeck-Einsatzleiter Granitzka ist berührt vom Tod der Geisel Silke Bischoff. Über das Drama sagt er: "Manchmal träume ich davon." Die Polizei habe ihre Lehren gezogen.

Heilbronn (ots)

Winrich Granitzka (75) koordinierte vor 30 Jahren den Einsatz der Kölner Polizei während des Gladbecker Geiseldramas. Im Interview mit der "Heilbronner Stimme" (Donnerstag) erinnert sich Granitzka auch an den Zugriff auf der Autobahn A3 in der Nähe von Bad Honnef, bei dem die Geiselnehmer Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski festgenommen wurden, und die Geisel Silke Bischoff (18) durch eine Kugel aus der Waffe Rösners starb. " Ihr Tod bewegt und berührt mich bis heute sehr", sagt Granitzka.

Auf die Frage, ob ihn die Extremsituationen aus seiner Laufbahn belasten, antwortet Granitzka: "Manchmal träume ich von solchen Ereignissen, auch von Gladbeck. Und ich spreche darüber mit einem Psychologen. Es bleiben Narben auf der Seele, die nicht immer wehtun, aber manchmal doch noch schmerzen. Auch Gladbeck ist eine solche Narbe."

Rösner und Degowski hätten ihr Recht auf Freiheit verwirkt. Granitzka: "Degowski hat an der Raststätte Grundbergsee bei Bremen den 15-jährigen Emanuele de Giorgi kaltblütig erschossen. Weder Rösner noch Degowski sind in einer Art und Weise, wie wir sie aus unserer Kindheit und Jugend kennen, sozialisiert worden. Wer aber nie sozialisiert worden ist, wie soll er dann resozialisiert werden? Ich bin kein Richter und akzeptiere unsere Gesetzeslage, aber ich finde die Freilassung von Degowski nicht richtig. Ich bin der Meinung: Diese Leute dürfen und sollen nicht in die Gesellschaft zurückkehren dürfen, auch aus generalpräventiven Gründen. Als Botschaft für alle: Wenn du so etwas machst, hast du dein Recht auf Freiheit verwirkt."

Auf die Frage, welche Momente ihm besonders in Erinnerung geblieben seien, sagte er: "Schon der erste Fehler, der in Gladbeck passierte. Nach dem Überfall auf die Bank wurde die Polizei alarmiert, und die Beamten verstießen leider gegen eine damals schon zentrale Vorschrift, nämlich, dass sie mit dem Streifenwagen direkt vor die Türe fuhren. Das setzt Täter unter Druck, führt erst zu Geiselnahmen. Dann erinnere ich mich natürlich an den zweiten großen Fehler: Man hat die Täter in Bewegung kommen lassen, das hätte nicht passieren dürfen. Diese Lehre aus Gladbeck habe ich gezogen und sie hat meine weiteren Entscheidungen bestimmt."

Granitzka sagte weiter: "In der Rückschau ist es immer noch unvorstellbar, dass wir es in den ganzen Tagen und auch in Köln zugelassen haben, dass hier vor den Augen der Öffentlichkeit ein reales Kriminalstück aufgeführt wird, das letztlich drei Todesopfer gefordert hat - der junge Italiener Emanuele de Giorgi, ein Polizist bei der Verfolgungsjagd und schließlich Silke Bischoff ließen ihr Leben."

Er bedauert, dass in Bremen nicht zugegriffen worden sei. "In Bremen gab es die Chance des Zugriffes. Degowski war kurz mit den Geiseln allein, stieg sogar irgendwann aus dem Wagen aus. Hier hätte man eingreifen können, aber nichts passierte. Einmal waren die Täter sogar eingenickt. In Köln konnten wir nicht zugreifen, die Situation in der Innenstadt war viel zu gefährlich für alle. Vor allem auch für die vielen Journalisten, einige führten sogar Interviews. Rösner und Degowski durften sich vor einem Millionenpublikum mit ihren Waffen produzieren und ihre Macht ausleben. Dass der Journalist Udo Röbel dann in den Wagen stieg, um den Geiselnehmern den Weg zur Autobahn zu zeigen, war unakzeptabel, weil er zum handelnden Akteur wurde. Bei der Fahrt aus der Stadt fuhren einige Journalisten im Tross hinterher, daneben unsere SEK-Kommandos in zivilen Fahrzeugen. Es war bizarr. Aber die Medien haben daraus gelernt, auch der Pressekodex wurde entsprechend geändert."

Auch die Polizei habe aus dem Fall Gladbeck und den Fehlern gelernt. Granitzka: "Wir haben das Drama sehr intensiv aufgearbeitet und viele richtige Schlussfolgerungen gezogen. Einer der wichtigsten Schlüsse war, dass man nicht eine kleine Polizeidienststelle vor Ort mit einer so komplexen Einsatzlage allein lassen sollte. Nicht, weil die Kollegen es nicht können, sondern weil die Verantwortung zu groß ist. Außerdem braucht es Experten aus vielen Bereichen, damit sind wir bei der zweiten Konsequenz. Es wurden sogenannte ständige Stäbe eingerichtet, denen speziell geschulte Beamte angehören. Außerdem wurden Spezialeinheiten gebildet, zunächst in NRW, dann in der ganzen Republik. Zudem ist es heute Standard, dass sofort Rettungswagen und Sanitäter angefordert werden. Es ist eine völlig neue Organisation für solche Großlagen entstanden. In NRW gibt es heute beispielsweise fünf Sonderkriminalhauptstellen und ständige Stäbe bei der Polizei."

Zu den weiteren Konsequenzen aus dem Drama sagte er: "Nach Gladbeck haben wir uns auch mit Polizeibehörden in den USA und anderen Ländern ausgetauscht. Ausgewählte Polizeiführer werden heute als Einsatzleiter für besondere Lagen zertifiziert. Sie durchlaufen spezielle Kurse, werden von Medizinern und Psychologen geschult. Auch die Befehlsstellen sind heute viel moderner, es ist sogar festgelegt, wer im Krisenfall auf welchem Platz sitzt. Jeder kennt die Telefonnummer des anderen. Der Einsatz während des Überfalls auf die Aachener Landeszentralbank mit Geiselnahme wurde 1999 zentral von Köln aus geführt. Die Hauptsache ist, dass sie schnell Fachleute aus verschiedenen Gebieten an einem Ort versammeln und sie gemeinsam Strategien erarbeiten. Auch rechtlich sind die Beamten von heute viel besser geschult. Wir waren doch in einer Grauzone unterwegs. Es gab nicht den definierten Rettungsschuss, Notwehr und Nothilfe waren die Grundlage des Handelns."

In dem Interview mit der Zeitung äußert er sich detailliert über den Zugriff auf der A3.

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