Horst Teltschik über Michail Gorbatschow: Seine Standhaftigkeit hat den Ost-West-Konflikt beendet
Ein guter Freund - und eine historische Figur
Berlin (ots)
Michail Gorbatschow machte vor 30 Jahren den Weg frei für die Deutsche Einheit. Bei dem historischen Treffen Kohl-Gorbatschow am 10. Februar 1990 in Moskau war auch Kanzlerberater Horst Teltschik anwesend. Zum 90. Geburtstag von Gorbatschow am 2.3. sagte Teltschik der "Heilbronner Stimme" (Dienstag): "Er ist für mich ein guter Freund - und eine historische Figur, von der wir nur von Glück reden können, dass wir sie haben."
Teltschik sagte weiter: "Ich habe Michail Gorbatschow natürlich einen langen Brief zum Geburtstag geschrieben. Er hatte mir im Juni auch zu meinem 80. Geburtstag einen wunderbaren Brief mit vielen guten Wünschen geschickt. Der Kontakt zwischen uns ist nie abgerissen, auch wenn Michail inzwischen leider sehr krank ist."
Die internationale Politik könne auch heute von Gorbatschow eine Menge lernen, nämlich "Verlässlichkeit, dass man zu seinem Wort steht und ihnen Taten folgen lässt, und Dialogbereitschaft". Er fügte hinzu: "Als Michail Gorbatschow ins Amt kam war er sofort bereit, die Gipfeldiplomatie mit den Amerikanern wieder aufzunehmen. Im Kalten Krieg galt: Wenn die zwei Elefanten nicht miteinander kommunizieren, dann gibt es in Europa keine Bewegung. Michail hat die Fenster weit aufgestoßen und das Gespräch gesucht. Dafür sollten wir ihm zutiefst dankbar sein."
Teltschik erzählt im Interview auch, wie er einmal in höchster Not helfen konnte: "Michails leider inzwischen verstorbene Frau Raissa ließ mir einmal eine Nachricht zukommen, ich war inzwischen Geschäftsführer bei Bertelsmann und nicht mehr in der Politik. Jelzin hatte ihrem Mann den gepanzerten Wagen weggenommen. Sie fürchtete ein Attentat und fragte, ob ich helfen könne. Schließlich gelang es mir, über Mercedes ein gepanzertes Auto zu bekommen."
Ohne Gorbatschow als Kremlchef sei der Wandel im Ostblock nicht denkbar gewesen, sagt Teltschik, der von 1999 bis 2008 die Münchner Sicherheitskonferenz leitete: "Wir haben seine Vorgänger ja hautnah erlebt, unter Breschnew, Andropow und Tschernenko wäre eine solche grundlegende Richtungsänderung mit Perestroika und Glasnost nicht möglich gewesen. Vor allem die Regierung Honecker tat sich allerdings schwer mit dem neuen Kurs, ohne Anstoß durch Präsident Gorbatschow wäre da gar nichts passiert." Zum Treffen am 10. Februar 1990, an dem Kohl und Teltschik, Präsident Gorbatschow und dessen persönlicher Berater Anatolij Tschernajew sowie zwei Dolmetscher teilnahmen, sagte er: "Ich habe viel erlebt in meiner Laufbahn, aber da lief mir ein Schauer über den Rücken. Mir wurde klar: Ich erlebe gerade Weltgeschichte." Er betonte zudem: "Die Standhaftigkeit Gorbatschows hat diesen Ost-West-Konflikt beendet."
Teltschik kritisiert den Umgang mit Russland unter Wladimir Putin. Bei seiner Rede am 25. September 2001 habe Putin von allen Parteien stehende Ovationen erhalten: "Er sprach von Russland als ein freundlich europäisches Land. Er hat versucht, eine Brücke zu schlagen, es gab also durchaus eine positive Perspektive für die deutsch-russischen Beziehungen unter Putin." Leider habe sich die Distanz seither immer mehr vergrößert. Teltschik weiter: "Mein Gefühl ist: Wir hätten viel mehr miteinander reden müssen, auch über gemeinsame Initiativen. Rund die Hälfte der heute lebenden Russen ist nach 1990 geboren. Es ist eine Generation, die nicht mehr indoktriniert worden ist durch Marxismus, Leninismus, Stalinismus. Aber haben wir, so wie es Kanzlerin Angela Merkel auch fragt, selbst genügend Brücken gebaut? Warum gibt es bis heute so wenig Jugend- und Kulturaustausch mit Russland?"
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