amnesty international legt Jahresbericht 2000 vor
Menschenrechtskrisen sind keine Naturkatastrophen
Berlin / Bonn (ots)
- Sperrfrist: Mittwoch, 14. Juni 2000, 11.00 Uhr MESZ -
Jahresbericht von amnesty international dokumentiert auf 624 Seiten Menschenrechtsverletzungen in 144 Staaten / Kritik an mangelndem politischen Willen zur Durchsetzung der Menschenrechte / Deutsche Politiker sollen gegenüber Putin Lage in Russland kritisieren / Folter, Willkürhaft, "Verschwindenlassen", Hinrichtungen und politischen Morden stehen Erfolge zu Gunsten der Opfer gegenüber
Die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) hat anlässlich der Vorstellung ihres Jahresberichts an die Machthaber appelliert, die Menschenrechte ganz oben auf die politische Agenda zu setzen. "Menschenrechtskrisen sind keine Naturkatastrophen. Jede der Tragödien der vergangenen Jahre hätte verhindert werden können", sagte ai-Generalsekretärin Barbara Lochbihler bei der Vorstellung des 624 Seiten starken Berichts in Berlin. "Das gilt für Burundi und Osttimor genauso wie für Kosovo und Tschetschenien. Auch in Bezug auf diese Länder hatten Organisationen wie amnesty international vorher in Berichten vor einer Zuspitzung der Situation gewarnt. Die internationale Gemeinschaft konnte die Eskalationen vorhersehen, zeigte aber nicht genügend politischen Willen, um sie zu verhindern". Statt militärisches Eingreifen als einziges wirksames Mittel zur Lösung solcher Konflikte zu betrachten, sollten die Regierungen nach Auffassung der Menschenrechtsorganisation viel mehr tun, um Menschenrechtskrisen schon im Vorfeld zu verhindern.
Einen Tag vor dem Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Deutschland dokumentiert der ai-Jahresbericht schwere Menschenrechtsverletzungen in Russland und Tschetschenien. "Wir fordern die deutschen Politiker auf, in den Gesprächen mit Putin die unbefriedigende Menschenrechtslage unmissverständlich zur Sprache bringen", mahnte Barbara Lochbihler. "Die Regierung der Russischen Föderation ist verantwortlich für die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Konflikt in Tschetschenien. Wir verlangen, dass sie endlich Beobachtern einen uneingeschränkten Zugang zu den geheimen ,Filtrationslagern' und zu allen Orten in Tschetschenien und den angrenzenden Gebieten gewährt."
Der ai-Jahresbericht 2000 dokumentiert die Menschenrechtssituation in 144 Staaten und beschreibt die weltweiten Aktivitäten der Menschenrechtsorganisation im vergangenen Jahr. So zählte ai in 63 Staaten gewaltlose politische Gefangene. In mindestens 132 Ländern waren Folter oder Misshandlungen an der Tagesordnung, in 38 Staaten kam es zu politischen Morden. In 37 Ländern fielen Menschen dem "Verschwindenlassen" zum Opfer. Todesurteile zählte amnesty international in 63 Ländern, Hinrichtungen in 31 Staaten. Neben den Regierungen waren auch bewaffnete politische Gruppen für Menschenrechtsverstöße in 46 Ländern verantwortlich. "Die tatsächlichen Zahlen dürften sogar noch weit höher sein als die von amnesty international dokumentierten", sagte Barbara Lochbihler. "Denn als Nichtregierungsorganisation, die sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert, sind unsere Ressourcen bei den Recherchen und Veröffentlichungen begrenzt."
Der "Dokumentation des Grauens" im ai-Jahresbericht stehen zahlreiche Erfolge durch den Einsatz für die Menschenrechte gegenüber: An den täglich von amnesty international veröffentlichten Eilaktionen (Urgent Actions) nehmen weltweit über 80.000 Menschen teil. Sie schreiben Appellbriefe und Faxe an Regierungsbehörden, um politische Haft, Misshandlungen, Folter oder Hinrichtungen zu verhindern. Im Jahr 1999 startete amnesty international 538 neue Eilaktionen zu Gunsten von Menschen in 86 Ländern, sowie 421 Eilaktionen, in denen die Organisation bereits vorher tätig war. In gut einem Drittel der Fälle hatten sie damit auch im vergangenen Jahr Erfolg: Gefangene wurden freigelassen, Hinrichtungen ausgesetzt, Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt. Ärzte, Rechtsanwälte oder Angehörige konnten zuvor isolierte Gefangene besuchen. amnesty international hat als wissenschaftlicher Kooperationspartner der EXPO2000 Hannover GmbH im Themenpark Ausstellungsbereich "Mensch" eine Urgent-Action-Station aufgebaut und will tausende Besucher der Weltausstellung ermutigen, sich mit Eilaktionen für akut von Menschenrechtsverletzungen bedrohte Personen einzusetzen. Auch in der Innenstadt von Hannover finden bis Oktober zahlreiche Faxaktionen statt. "Für viele Gefangene ist amnesty international die letzte Hoffnung", sagte Barbara Lochbihler und verwies auf zahlreiche Dankesschreiben von Freigelassenen, die immer wieder bei amnesty international eingehen. "Das ist Verpflichtung für uns, im Einsatz für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen nicht nachzulassen."
Als wichtiges Zeichen der Hoffnung benannte Barbara Lochbihler ausserdem die Entwicklung im Fall Pinochet: "Internationales Recht besteht nicht einfach in einer Ansammlung von Verträgen, die beliebig missachtet werden können. Sie bilden einen wirksamen Mechanismus zum Schutz von Einzelpersonen." Grundlage für die Arbeit von amnesty international waren Delegationsreisen und Prozessbeobachtungen, die amnesty international im Berichtszeitraum in 70 Staaten vorgenommen und deren Ergebnisse die Organisation in 99 ausführlichen Länder- und Themenberichten veröffentlicht hat.
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