ZDF-Magazin "Frontal 21": Umstrittene Sozialkassen beim BMW-Betriebsrat Experten: Unabhängigkeit in Gefahr
BMW: Ordnungsgemäße Abwicklung sichergestellt (FOTO)
Mainz (ots)
Beim Autobauer BMW wurde offenbar über Jahre hinweg gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstoßen. Nach Recherchen des ZDF-Magazins "Frontal 21", über die in der Sendung am Dienstag, 14. Juli 2015, 21.00 Uhr, berichtet wird, verfügen BMW-Betriebsräte über sogenannte Sozialkassen mit zum Teil sechsstelligen Euro-Beträgen. Danach hatte der BMW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Manfred Schoch Vollmacht über ein Bankkonto einer sogenannten Sozialkasse des Gesamtbetriebsrats (GBR). "Frontal 21" vorliegenden Rechnungen und Konto-Anweisungen zufolge wurden von dem Konto bei der BMW-Bank Ende 2009 rund 370 000 Euro für die Einrichtung des BMW-eigenen Hotels "Ammerwald" in Österreich gezahlt. Die Rechnung für ein "Wasserspiel" über 8000 Euro zum Beispiel ging direkt an den GBR-Vorsitzenden Schoch. Einen Tag später wies er den Betrag vom Konto der Sozialkasse zur Zahlung an.
Die 370 000 Euro auf dem GBR-Konto hatte der Betriebsrat über eine Tombola eingenommen. Die Preise, wie ein 3er-BMW oder zwei Motorräder, hatte das Unternehmen gestiftet. BMW bestreitet die Existenz des Bankkontos und die Ausgaben auf Anfrage nicht. Die Verwendung des Tombola-Erlöses für das Hotel "Ammerwald" sei jedoch "eine Beteiligung der Mitarbeiter an dieser Erholungseinrichtung" gewesen. In dem Hotel können langjährige Angestellte kostenlos Urlaub machen.
Nach Recherchen von "Frontal 21" gibt es in zahlreichen Werken weitere Sozialkassen. Verwaltet werden diese vom Betriebsrat, finanziert insbesondere aus dem Verkauf aussortierter Autoteile, die BMW dem Betriebsrat überlässt. Die Arbeitnehmervertreter verfügen so über hohe Summen - auch in bar. Aus den Sozialkassen können sich Mitarbeiter beispielsweise den Zahnersatz oder eine Brille mitfinanzieren lassen. Wer den Zuschuss bekommt, entscheidet der Betriebsrat.
"Der Betriebsrat verstößt eindeutig gegen das Gesetz", sagt Bernhard Steinkühler, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Gewählte Arbeitnehmervertreter müssten vermögenslos sein, damit ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Konzern nicht gefährdet wird. Die Arbeitnehmervertretung könne, wenn überhaupt, "über eine kleine Handkasse verfügen, aus der dann das Porto bezahlt wird oder Kopierpapier", aber nicht über solche Summen. Auch der Unternehmensexperte Manuel René Theisen, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht die Unabhängigkeit des BMW-Betriebsrates in Gefahr: "Der Gesetzgeber schreibt vor, dass ein Betriebsrat nicht in die Versuchung kommen darf, Geld auszugeben. Denn letztendlich ist es Geld des Unternehmens, das hier verteilt wird."
Auf Nachfrage von "Frontal 21" teilte ein Sprecher des BMW-Konzerns mit, eine "ordnungsgemäße Abwicklung" der Sozialkassen sei sichergestellt. "Trotzdem wird kontinuierlich die Rechtslage geprüft und erforderliche Anpassungen werden eingeleitet." Doch schon am 6. Mai 2008 schrieb der Leiter "Nationale Steuern BMW" in einer E-Mail, die "Frontal 21" ebenfalls vorliegt, an den Referenten des Gesamtbetriebsrates, "dass der Betriebsrat gemäß Paragraf 41 Betriebsverfassungsgesetz direkt kein eigenes Vermögen verwalten darf, um seine Unabhängigkeit und die ehrenamtliche Tätigkeit nicht zu gefährden".
Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Schoch selbst verweist ebenso wie BMW darauf, dass die Staatsanwaltschaft München I im Jahr 2011 nach einer anonymen Anzeige keine Ermittlungen aufgenommen hatte. Die Behörde vermochte aufgrund "der lückenlosen, transparenten Darstellung der Herkunft und Verwendung der jeweiligen Beträge" aus der GBR-Sozialkasse, mit der das Hotel ausgestattet wurde, keinen strafrechtlichen Sachverhalt zu erkennen. Und weiter: "Eine persönliche Bereicherung des Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats steht ebenfalls nicht in Frage." Ob jedoch eine Beeinflussung des Betriebsrats durch BMW vorlag, habe die Staatanwaltschaft damals nicht geprüft, weil kein entsprechender Strafantrag vorlag, teilte die Behörde "Frontal 21" jetzt mit. Außerdem stellten "mögliche Verstöße gegen das Betriebsverfassungsgesetz noch nicht automatisch eine Straftat dar".
Oppositionelle Arbeitnehmervertreter sehen sich wegen der Sozialkassen im Betriebsrat gegenüber der Mehrheitsliste unter Führung von Manfred Schoch benachteiligt. Der Münchner Betriebsrat Murat Yilmaz, der eine eigene Liste gegründet hat, sagt, es gebe "keine Chancengleichheit", weil Schochs Liste die Sozialkassen als Wahlkampfargument bei den Betriebsratswahlen einsetze. Dies bestreitet der Gesamtbetriebsrat jedoch auf Nachfrage von "Frontal 21": "Die Unterstützungsleistungen bei Langzeiterkrankungen, bei Reha-Maßnahmen, bei schweren Erkrankungen innerhalb der Familie, sozialen Notfällen usw. können listenunabhängig von allen Betriebsrätinnen und -räten vorgenommen werden. Diese Leistungen haben eine lange, positive Historie. Im Wahlkampf wurden diese von keiner Liste thematisiert."
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