CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Merz: Keine Wertevermittlung ohne Werte,
kein Religionsunterricht ohne die Kirchen
Berlin (ots)
In der heutigen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht zu der Normenkontrollklage gegen die Einführung des Faches "LER" an den Schulen Brandenburgs trägt der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz MdB, folgende einführende Begründung vor:
Es gilt das gesprochene Wort.
Der Gegenstand, den wir heute verhandeln, zeichnet sich durch eine grundsätzliche Bedeutung aus, wie sie in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts seit 1951 selten einem Verfahren zugekommen ist. Rein formal geht es zwar nur um das Schulgesetz des Landes Brandenburg, materiell geht es aber um das Verhältnis von Staat und Kirche, von Staat und Gesellschaft, um Freiheit im und vor dem Staat.
Was darf der Staat regeln? Was darf er nicht regeln? Und: Was muss er regeln? Vor allem: Wie muss er es regeln?
Die wertgebundene Freiheitsidee des Grundgesetzes ist der eigentliche Gegenstand dieses Verfahrens.
Wenn in diesem Kontext ein Wort des früheren Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde zutrifft, dann ist es der Satz, der Staat lebe von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren könne. Er kann sie auch nicht schaffen.
Er findet sie vor und transformiert sie in geltendes Recht. Dies haben die Väter des Grundgesetzes in der Gestalt von Artikel 7 Absatz 3 Satz 2 getan, indem sie dem Staat die Anweisung erteilten, unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes den Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften zu erteilen. Dieser Gedanke des Grundgesetzes markiert einen Eckstein des Staatskirchenrechts, der durch das Brandenburgische Schulgesetz in verfassungswidriger Weise verschoben worden ist.
Das Grundgesetz verpflichtet den Staat in unserer demokratisch verfassten Gesellschaftsordnung und pluralistischen Gesellschaft zu weltanschaulicher Neutralität.
Er selbst, der Staat, kann keine verbindlichen Werte schaffen oder vorgeben.
Dies hat aus der Gesellschaft heraus zu erfolgen und hierbei kommt den Kirchen eine herausragende Bedeutung zu. Durch den Religionsunterricht in den Schulen nehmen die Kirchen einen unverzichtbaren Bildungs- und Erziehungsauftrag wahr, den der Staat nicht erfüllen kann. Deshalb muss der Staat mit den Kirchen kooperieren und sie in Form des Religionsunterrichts in die Schule integrieren.
Stattdessen grenzt das Brandenburgische Schulgesetz die Kirchen und alles Religiöse aber aus. Das Fach L-E-R soll "bekenntnisfrei, religiös und weltanschaulich neutral unterrichtet" werden, wie es in dem Gesetz heißt. Aber ethische und religiöse Werte können nicht durch eine reine Vermittlung von religionskundlichem Wissen den Schülern nahegebracht werden.
Wertevermittlung ohne Werte und ohne ein Bekenntnis zu bestimmten Werten kann es schlechterdings nicht geben. Deshalb liegt es in der Logik des Brandenburgischen Schulgesetzes, dass in dieses Vakuum der Staat hineinstößt. Schon eine Bewertung religiös geprägter Inhalte von Wertbestimmungen enthält zwangsläufig einen eigenen Standpunkt, vermittelt durch den staatlichen Lehrer, der damit ein Bekenntnis abgibt. Dies aber kommt dem Staat von Verfassungs wegen nicht zu.
Wir, die antragstellenden Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, haben in unserem Normenkontrollantrag auch das Fach L-E-R als solches nicht angegriffen. Wir haben uns nur dagegen gewandt, dass es als Ersatz für den Religionsunterricht vorgeschrieben wird.
Wir fordern ein, dass der Religionsunterricht als gleichberechtigtes Fach in den Pflichtenkatalog des Brandenburgischen Schulgesetzes aufgenommen wird, und zwar mindestens als Wahl-Pflichtfach - in Gleichberechtigung mit den übrigen Unterrichtsfächern, wie es das Grundgesetz vorschreibt.
Es geht uns dabei nicht nur um verfassungsrechtlich verbürgte Ansprüche von Schülern und Eltern sowie der Kirchen. Es geht uns auch und vor allem um Grundvoraussetzungen staatlich geregelten Zusammenlebens in einer freiheitlichen und pluralistischen Demokratie.
Es geht um die Orientierungsfähigkeit von Menschen, gerade in Existenzfragen, vor allem um junge Menschen, die, selbst wenn sie religiös nicht gebunden sind, doch auf der Suche nach Antworten auf ihre Fragen nach Werten sind.
Ich möchte noch einmal betonen, dass diese Werte der Staat nicht vorgeben kann. Er findet sie vor und kann sie allenfalls transportieren. Dazu berufen sind nicht allein die Kirchen, aber vor allem sie, die mit ihrem spezifischen Beitrag zum Bildungsauftrag durch schulischen Religionsunterricht einen unverzichtbaren Beitrag zur Realisierung des grundgesetzlichen Staatsverständnisses leisten. Die Werteerziehung kann der Staat für sich nicht in Anspruch nehmen, er rekurriert nur auf Werte, die ihm vorgegeben sind.
In einer wertegebundenen Demokratie übernimmt er sie. Pluralistisch-freiheitlich überlässt er sie in ihrer Verwirklichung dem Einzelnen. Damit überlässt es die Freiheitskonzeption des Grundgesetzes dem Einzelnen, ohne staatlichen Oktroi, seine Ziele zu formulieren.
Also überlässt das Grundgesetz jedem Einzelnen, wie er denken und glauben soll. Das Grundgesetz macht damit unmissverständlich deutlich, dass niemand sonst sich in diese zutiefst private Angelegenheit einmischen darf. Es macht darüber hinaus - und beides gehört zusammen - deutlich, dass eine eigene religiös-weltanschauliche Identität und Überzeugung nicht im luftleeren Raum entsteht, sondern sich aus vorstaatlichen Quellen speist. Die abendländische Kultur, die entscheidend vom Christentum geprägt wurde, ist eine solche .
Den letzten Dingen nachzugehen, ist Bedürfnis jedes Menschen. Viele von ihnen befinden sich in einer tiefempfundenen Wertekrise. Ihr nachzugehen, ist auch Aufgabe des Staates. Aber er kann die Antwort nicht geben. Und er darf die Antwort nicht geben. Dies aber versucht das Brandenburgische Schulgesetz, indem es nicht nur eine unverbindliche Weltanschauungs- und Religionskunde den Schülern verordnet, sondern diese unter dem Zeichen der Toleranz in den Rang einer Ersatzreligion hebt. Wenn der L-E-R-Unterricht tatsächlich weltanschaulich neutral konzipiert wäre, stellt sich doch die Frage, warum dann die Möglichkeit der Befreiung davon besteht. Die Pflicht des Staates zur Wertneutralität ist verletzt.
Wir haben als Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesen Normenkontrollantrag gestellt, weil wir der Auffassung sind, dass nicht der Staat im Sinne einer "bürgerlichen Religion" a la Rousseau dem Bürger vorzugeben hat, was er zu denken und was er zu glauben habe. Der Staat hat sich vielmehr zurückzunehmen und die überzeugungsbildende Kraft den dafür Verantwortlichen zuzubilligen. Dies sind unter der Ägide des Grundgesetzes u.a. die Kirchen.
Von zentraler Bedeutung in dieser heutigen mündlichen Verhandlung wird die Anwendbarkeit der Bremer Klausel des Artikels 141 GG sein. Wir halten sie nicht für anwendbar auf die Schulgesetze der neuen Länder. Im Einzelnen möchte ich den Ausführungen unserer Verfahrensbevollmächtigten nicht vorgreifen, aber nur darauf hinweisen, dass dies bei Abschluss des Einigungsvertrages allgemeine Überzeugung war. Der damalige Verhandlungsführer der Bundesrepublik Deutschland (alt) und Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, hat mit Schreiben vom 5. September 1990 auf eine entsprechende Anfrage dem Vorsitzenden der Kommission für Erziehung und Schule der Deutschen Bischofskonferenz, dem Erzbischof von Paderborn Johannes Joachim Degenhardt, mit, es bestehe keine Notwendigkeit, die Frage der grundrechtlichen Verbürgung des Religionsunterrichts in den neuen Bundesländern gegenüber den Vertretern der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zum Gegenstand besonderer Verhandlungen oder Vereinbarungen zu machen.
Voraussetzung der Anwendung des Artikel 141 GG sei es, dass ein Land, dessen Recht Artikel 7 Absatz 3 Satz 1 aufhebt, in dem Zeitraum zwischen dem Erlass der fraglichen Norm (vor dem 1. Januar 1949) und dem Inkrafttreten des Grundgesetzes innerhalb seines Territoriums ununterbrochen als Rechtssubjekt existiert haben müsse. Zutreffend wies Dr. Schäuble darauf hin, dass gerade die neuen Bundesländer diese Voraussetzung nicht erfüllen, da sie durch die Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik zum sozialistischen Zentralstaat und die damit verbundene Zerschlagung sämtlicher Länderstrukturen faktisch und rechtlich untergegangen sind. Durch das Ländereinführungsgesetz von 1990 sind sie gänzlich neu gegründet worden. Sie können sich also auf länderrechtliche Ausnahmereglungen im Sinne des Artikels 141 GG nicht auf die Landesverfassungen aus den Jahren 1946 und 47 berufen. Dieses war bei Abschluss des Einigungsvertrages so selbstverständlich, dass Artikel 141 GG in der Ratifizierungsdebatte sowohl in der Volkskammer als auch im Deutschen Bundestag wie auch und insbesondere im Bundesrat überhaupt keine Rolle gespielt hat.
In inhaltlicher Verantwortung der Kirchen ist der staatliche Religionsunterricht zu erteilen - als staatliche Gewährleistung, wie es Artikel 7 Absatz 3 vorsieht. Das Grundgesetz hat sich damit nicht in das Niemandsland der Gleich-Gültigkeit begeben, sondern ist eine Verbindlichkeit eingegangen, die auszugestalten es selbst nicht für sich in Anspruch nimmt, sondern in einem Kooperationsverhältnis mit anderen, nämlich den Kirchen wahrnehmen will.
Diese Konzeption ist auch das Staatsverständnis der Antragssteller. Dies ist der Grund, warum wir Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einer Aushöhlung des geltenden Staatskirchenrechts entschieden widersprechen. Nicht der Staat soll das Bedürfnis nach Vergewisserung über die letzten Dinge befriedigen, über Sinn und Zweck des Daseins, über all das, was menschlichem Einfluss letztlich entzogen ist. Er darf diese religiöse Kompetenz der Kirchen nicht antasten. Deshalb hat der Brandenburgische Landtag mit der Verabschiedung des Schulgesetzes gegen eine der wichtigsten Bestimmungen des Grundgesetzes verstoßen.
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