Kirchen, Kühe und Kalaschnikows - Rund um Moskau auf Landstraßen und Feldwegen - Eine Reise mit Gerd Ruge
Köln (ots)
WDR Fernsehen, 05. April 2010, 20.15 bis 21.45 Uhr
"Ein Leben ohne Auto - unmöglich!" ruft die Blondine, die Gerd Ruge von Auto zu Auto in einem der gigantischen Moskauer Staus interviewt. Als die Sowjetunion zusammenbrach, gab es 300.000 Pkw in Russlands Hauptstadt und das waren fast alles Dienstwagen. Heute gibt es dreieinhalb Millionen und fast alle in Privatbesitz. Ein eigenes Fahrzeug, auch das hat das Lebensgefühl von Millionen Menschen verändert. Trotzdem: zwei Drittel der Russen sind mit dem neuen Leben nicht zufrieden. Aber kaum mehr als zehn Prozent meinen heute noch, das Leben im Sowjetstaat sei besser gewesen.
Rund 7000 Kilometer sind Gerd Ruge und sein Team auf Landstraßen und Feldwegen durch das Umland von Moskau gefahren, durch den Regierungsbezirk, der anderthalb mal so groß ist wie Belgien und sechs Millionen Einwohner hat. Ruge war nicht im Moskau der Millionäre und Mächtigen, sondern auf dem flachen Land.
Dabei hat er Menschen getroffen, die nicht von Parteien, Programmen und Politik sprechen wollten, sondern von ihrem Leben. Am Stadtrand bei jungen Leuten auf der Piste eines riesigen künstlichen Skitunnels hat er sich umgehört, aber auch bei Frauen, die in einem verfallenden Kulturhaus ihre viel zu knappe Rente abholen.
Ruges Reise ist ein dichtes Kaleidoskop an Eindrücken: Rechtsextreme üben im Wald mit der Kalaschnikow Bürgerkrieg und Rock-Fans, von deren Musik sich Ministerpräsident Putin gesellschaftsbildende Kraft erhofft, schwenken russische Fahnen. In einem Kloster exerzieren kleine Jungen und lernen ihre Kalaschnikow zu leiben. Ein Ingenieur ohne Job eröffnet einen Schaschlikstand, Rentnerinnen verdienen sich etwas dazu, indem sie am Straßenrand Blaubeeren verkaufen. Eine Familie von Häuslebauern zieht in ihre fensterlose Banja, das russische Schwitzbad ein, weil in der Wirtschaftskrise das Geld für den Hausbau ausgegangen ist. Ein altes Ehepaar fährt mit dem Auto auf die Weide, um die einzige Kuh zu melken. Ein Bankier kauft ein Kloster, renoviert es und kommt sonntags mit eigenem Geistlichen aus der Hauptstadt, um einen Privatgottesdienst abzuhalten. Vor Russlands größtem Kloster stehen sich die Statuen Lenins und des Heiligen Sergius fast Auge in Auge gegenüber. Und auf dem Arm des riesigen Lenin-Denkmals am Moskau-Wolga-Kanal lässt sich ein Mann beim Turnen fotografieren.
In den Staus auf den Autobahnen fragt sich Gerd Ruge, ob in den neuen Autos auch die alte russische Seele mitfährt. Sein Film zeigt Nahaufnahmen aus dem russischen Leben, unerwartete Begegnungen und Gespräche am Rande der Hauptstadt, nur scheinbar fern der Politik und immer nahe bei den Menschen.
Redaktion Tibet Sinha
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