Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR)
Sehen zu können entscheidet nicht über Gemeinschaft
Wuppertal (ots)
Seit mehr als 50 Jahren produziert die Wuppertaler Stadtmission Hörandachten für blinde und sehbehinderte Menschen. Die CDs sind eines von mehreren Angeboten, mit denen sich das freie evangelische Werk gezielt an Menschen mit einer Sehbehinderung richtet und ihnen mehr Teilhabe am Gemeindeleben ermöglicht.
Paul Gerhard Sinn hat sich in einen Raum der Wuppertaler Stadtmission zurückgezogen. Vor ihm auf dem Tisch steht ein Mikrofon, angeschlossen an einen Laptop, vor dem Mikrofon befinden sich drei Bücher, aufgeklappt und übereinandergelegt. Der Leiter der Wuppertaler Stadtmission macht sich bereit: Er trinkt noch einen Schluck aus der Kaffeetasse, setzt die Kopfhörer auf und drückt auf Aufnahme. Heute will Paul-Gerhard Sinn die Hörandachten für die kommenden zwei Monate einsprechen. Für jeden Tag eine, insgesamt 61 an der Zahl, bestehend aus einer Begrüßung, Gebeten, einem Bibelvers sowie einem Bibeltext und dessen Auslegung. Dazu nutzt der Stadtmissionar die geistlichen Impulse des Neukirchener Kalenders, einem Andachtskalender zur täglichen Bibellese. Dazwischen werden die Tonaufnahmen noch mit Musik gemischt.
CDs werden deutschland- und europaweit verschickt
Seit etwas mehr als 50 Jahren gibt es die Hörandachten der Wuppertaler Stadtmission für blinde und sehbehinderte Menschen. Zunächst auf Kassette aufgenommen, stehen die Andachten mittlerweile auf CD zur Verfügung und werden an rund 280 Abonnentinnen und Abonnenten deutschland- wie europaweit verschickt. Bald sollen sie auch als Podcast über die Homepage der Wuppertaler Stadtmission abrufbar sein. Die Hörandachten hatte das freie Werk innerhalb der evangelischen Kirche um das Jahr 1970 herum von einer privaten Initiative übernommen, die das Angebot nicht fortführen konnte. Für die Stadtmission stand außer Frage, das Projekt zu übernehmen. "Dort, wo Menschen sich an uns wenden, schauen wir gemeinsam, wie wir helfen können", erklärt Paul-Gerhard Sinn.
Weitere Angebote entstanden - ganz nach Bedarf
Nach den Hörandachten entwickelten sich rasch weitere Angebote für Menschen mit einer Sehbehinderung. "Je nachdem, was gerade benötigt war", erklärt der Stadtmissionar. So gab es viele Jahrzehnte lang einen Fahrdienst, der - ähnlich wie ein Taxi - blinde und sehbehinderte Menschen zu ihren Erledigungen beförderte. Aufgrund der Corona-Pandemie sank jedoch der Bedarf, sodass der Fahrdienst eingestellt wurde. Auch die jährlich im Sommer veranstalteten Urlaubsfreizeiten innerhalb Deutschlands fanden pandemiebedingt nicht statt. In diesem Jahr möchte die Wuppertaler Stadtmission aber wieder Ausflüge in die nähere Umgebung anbieten.
Auf Berührung und Begleitung angewiesen
"Für Menschen mit einer Sehbehinderung waren die vergangenen zwei Jahre eine sehr schwere Zeit, denn sie sind auf Berührung und Begleitung angewiesen", sagt Paul-Gerhard Sinn. Weil Körperkontakt jedoch mit Angst vor Ansteckung verbunden war, hätten viele blinde und sehbehinderte Menschen nur schwer eine Begleitperson gefunden und teils wie unter Quarantäne gelebt. "Da war es umso wichtiger, dass wir bei unseren Treffen die Menschen abgeholt haben und mit ihnen zusammen waren", erklärt der Stadtmissionar.
Gottesdienste zeichnen sich durch besondere Elemente aus
Einmal im Monat findet in der Gemarker Kirche im Wuppertaler Stadtteil Barmen ein Sehbehindertentreff statt, alle acht Wochen gibt es einen Gottesdienst für blinde und sehbehinderte Menschen in der Citykirche in Wuppertal-Elberfeld. "Dieser zeichnet sich durch methodische Elemente und Begegnungsformen für die Teilnehmenden aus, die sich speziell an Menschen mit einer Sehbehinderung richten", sagt der Stadtmissionar. Zum Beispiel indem Liedverse vorgelesen werden oder durch eine stärkere Beschreibung von Dingen und der Situation.
Auch Menschen, die sehen können, sind willkommen
Dennoch seien auch Menschen ohne eine Sehbeeinträchtigung bei den Gottesdiensten herzlich willkommen. Vielen werde dadurch erst deutlich, mit welch unterschiedlichen Voraussetzungen sehbehinderte Menschen am Gemeindeleben teilnehmen, hat der Stadtmissionar und ausgebildete Diakon beobachtet. "Deswegen stellen wir bewusst diese Elemente in den Mittelpunkt", erklärt Paul-Gerhard Sinn, "damit die Teilnehmenden wahrnehmen, dass Sehen zu können kein Faktor ist, der über Gemeinschaft entscheidet."
(Autorin: Simone Becker)
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