Interprofessioneller Gesundheitskongress in Dresden: Expertengruppe stellt Kompressionstherapie auf den Prüfstand
Dresden (ots)
Zum Interprofessionellen Gesundheitskongress fanden sich am 8. und 9. April zahlreiche Interessierte aus Pflege, Medizin, Therapie und Wissenschaft zusammen, um sich über aktuelle Methoden und neue Entwicklungen zu informieren. Die Expertengruppe "Kompressionstherapie" des Starnberger Medical Data Institute (MDI) stellte im Rahmen einer hochkarätig besetzten Sitzung unter Moderation des Kölner Juristen Prof. Dr. Volker Großkopf, die aktuellen Entwicklungen in der Kompressionstherapie vor.
Als Ressortleiter der Expertengruppe "Kompressionstherapie" des MDI eröffnete Prof. Dr. Dissemond die Sitzung mit einem Beitrag über die Historie dieser Therapieform, die den Menschen von der Steinzeit über das Mittelalter bis in die heutige Zeit begleitet hat. Der phlebologische Kompressionsverband mit elastischen Kurzzugbinden, wie wir ihn heute kennen, geht auf die Pioniere der Kompressionstherapie Fischer, Pütter und Sigg zurück. Ihre Namen stehen für eine Anzahl unterschiedlicher Anlagetechniken. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte auch die Entwicklung der Kompressionsbestrumpfung ein, die über Beinanschetten aus Hundeleder oder Holz zur aktuellen, umfangreichen Palette aus Formen, Mustern und Farben führte. Eine weitere, aktuelle Option stellt die Versorgung mit adaptiven Kompressionsbandagen bzw. Klettbandagen dar, die eine einfache Justierung des Kompressionsdrucks ermöglichen. Solche Wrap-Verbände sind relativ einfach vom Betroffenen oder Angehörigen selbst anzulegen. Dr. Dissemond veranschaulichte an diesen Beispielen, dass heutzutage moderne Produkte und Methoden zur Verfügung stehen, die es dem Therapeuten ermöglichen, jedem Patienten eine individualisierte Therapieoption zu eröffnen.
Auch wenn die Entwicklung der Kompressionstherapie vorangeschritten ist, gilt es doch weiterhin, überkommene Dogmen zu hinterfragen, so ergänzte Dr. Stefanie Reich-Schupke. Die Bochumer Dermatologin sprach gängige Ansichten über die Kompressionstherapie, als kontraindiziert geltende Krankheitsbilder, und die als allgemein gesichert geltenden Vorgehensweisen an. Das Dogma, "je mehr Druck, desto besser", sei beispielsweise zu hinterfragen, so Reich-Schupke und Kompressionsversorgungen mit geringen Druckwerten, die von Patienten besser toleriert werden, seien häufiger in Betracht zu ziehen. Eine als gesichert geltende Ansicht, dass ein Kompressionsverband ein herzwärtiges Druckgefälle erzeugen soll, bei dem der Druck am Knöchel stärker einwirkt, als an der Wade, wird aktuell durch eine Studie in Frage gestellt. Diese konnte aufzeigen, das ein herzwärts zunehmender Druck die venöse Abpumpleistung steigert, was in der Fachwelt Diskussionen auslöste. In der Kompressionstherapie gilt es, so zeigte Reich-Schupke auf, die aktuellen Kenntnisse kompetent umzusetzen, dabei aber stets neue Entwicklungen und die Aussagen der Studienlage im Blick zu haben.
Die Evidenzbasierte Medizin (EBM) bezieht sich auf eben solche Studien, ergänzte Prof. Dr. Knut Kröger im Anschluss. Es ist eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahrzehnten etablierte und seit 2000 auch im Sozialgesetzbuch Niederschlag fand. EBM stützt sich bei der Empfehlung bestimmter Therapien auf Daten und Ergebnisse möglichst vieler großer Studien. Kritiker beschrieben die EBM daher als "Kochbuchmedizin", so merkte der Krefelder Angiologe an. Nach Ansicht ihrer Kritiker sei die EBM, je mehr Studien in eine Auswertung einbezogen werden, umso weniger für die individuelle Therapie zu gebrauchen, weshalb von namhaften Medizinern bereits eine "Entideologisierung" der EBM gefordert wurde. Kröger betonte den unbestreitbaren Stellenwert der EBM, unterstrich aber auch den Wert der eigenen Erfahrung. Die auf Expertenkonsens gründenden S3-Leitlinien beziehen daher sowohl die EBM, als auch eigene Erfahrungen mit ein. Manchmal komme der Rückgriff auf die Evidenz daher, so Kröger abschließend, dass nichts Besseres zur Verfügung steht. Zur Kompressionstherapie fehle es insbesondere an großen und umfassenden Studien.
Auf die Anforderungen der Kompressionstherapie sind die Versorger unterschiedlich vorbereitet, so merkte Dr. Christian Münter an. Notaufnahmen oder Hausärzte haben, so berichtete der Hamburger Allgemeinmediziner, nicht oft mit Kompressionsversorgungen zu tun und verfügen somit selten über geschultes Personal und adäquates Material. Zu den Einrichtungen, die auf auf die indizierten Krankheitsbilder spezialisiert sind gehören Wundsprechstunden oder Schwerpunktpraxen, wo die Betroffenen nach den aktuellsten Standards und Leitlinien versorgt werden. Dabei stelle sich aber stets die Frage nach der Fortsetzung der begonnenen Therapie, wenn der Patient wieder nach Hause, zurück in eine betreuende Einrichtung, oder in die häusliche Pflege geht. Die Verordnungen der auf Kompressionstherapie spezialisierten Therapeuten, Phlebologen, Angiologen und Gefäßchirurgen müssen daher exakt und die verwendete Technik einheitlich sein. Auch wenn die mit den Möglichkeiten der Kompressionstherapie vertrauten Spezialisten manchmal einen eingeschränkten Visus haben, wie Münter kritisch anmerkte, habe die Therapie durch spezialisierte Versorger viele Vorteile, so zum Beispiel hinsichtlich der Diagnostik und des adäquaten Materialeinsatzes. Es gelte aber für alle Beteiligten, den "Blick über den Tellerrand" nicht zu scheuen.
Kompetenzen und Kenntnisse der Versorger in Deutschland erläuterte Kerstin Protz im Anschluss anhand aktueller Studien zur tatsächlichen Versorgungssituation. Die Projektmanagerin Wundforschung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sprach über aktuelle Erkenntnisse, die eine ungenügende Verbreitung des Wissens um Material und Methoden der Kompressionstherapie beim Ulcus cruris venosum nahelegen und Defizite auf Seiten der Versorger hinsichtlich deren Anwendung offenbaren. Bei Patienten bestünde zudem ein erheblicher Verbesserungsbedarf hinsichtlich Informationen zur Wirkweise der Therapie und zum Umgang mit den Kompressionsmaterialien. Protz forderte Pflegende und Therapeuten dazu auf, Möglichkeiten zur Schulung anzunehmen und gleichzeitig ihre Patienten besser aufzuklären. Die Nutzung von Materialien, die eine Orientierung zur Druckbestimmung ermöglichen, wie Binden mit visuellen Markern oder die adaptive Klettbandage JuxtaCures® stellen nach Ansicht der Hamburger Krankenschwester und Fachautorin weitere Verbesserungsmöglichkeiten dar. Als Lösungsansatz für die Defizite in dem Bereich Kompressionstherapie und die damit verbundenen Maßnahmen benannte Protz weiterführende Qualifizierungen und Schulungen, die sich nicht nur an Therapeuten und Pflegende, sondern auch an Patienten und ihre Angehörigen richten.
Der abschließende Vortrag des Pflegedirektors Josef Hug, fasste die Ergebnisse eines Projekts des Karlsruher Klinikums zusammen: das Klinikum soll "Thrombosefreies Krankenhaus" werden. Damit die im Krankenhaus begonnene Therapie im ambulanten Bereich nahtlos fortgesetzt werden kann wird, Hug zufolge, das Überleitungsmanagement hierbei mit eingebunden. Der erste Schritt zur Realisierung dieses ehrgeizigen Ziels war die Identifizierung von Stationen, die einen erhöhten Bedarf an Strümpfen zur Thromboseprophylaxe (MTPS) aufwiesen, sogenannte Hauptanwender, dann wurden diese auf einheitliche MTPS umgestellt. Es folgte eine Befragung von Patienten in der gleichermaßen die persönliche Erfahrung mit dem Produkt, als auch der Informationsstand zu dessen Anwendung und Wirkung erfasst wurde. Der nächste Schritt war die Befragung der Mitarbeiter. Von diesen schätzen die meisten ihren Informationsstand als ausreichend ein, wie Hug anmerkte. Die Patientenbefragung wird mit dem Ziel, bis Jahresende 150 Patienten einzubinden, fortgeführt. Das Klinikum Karlsruhe hat die Kompressionstherapie als Fokusthema definiert und strebt eine einheitliche Qualifizierung der Mitarbeiter an.
Die Kompressionstherapie ist eine moderne, hochwirksame und aktuelle Methode der Versorgung, deren Erfolg auf auf den Möglichkeiten der Patienten, den Angaben der Verordner, der Qualität des Materials und den Fähigkeiten der Anwender basiert. Für eine flächendeckende und umfassende Versorgung der Betroffenen ist entscheidend, dass moderne Materialien und Methoden sich in der Versorgungsrealität als selbstverständlicher Bestandteil der alltäglichen Praxis etablieren.
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