Kompressionstherapie bei venösen und lymphatischen Erkrankungen
Berlin (ots)
Der Kongress Pflege 2017 bot vom 20. bis zum 21. Januar die Möglichkeit zur Fachfortbildung und zum interprofessionellen Austausch. Über 1.000 Besucher nahmen an Fachvorträgen, Workshops und Präsentationen zu den neuesten Entwicklungen in der Pflege teil. In einem hochkarätig besetzten Workshop informierte die Expertengruppe des Starnberger Medical Data Institute über den Hintergrund, die Möglichkeiten und die Versorgungsrealität der Kompressionstherapie. Anschließend hatten die Teilnehmer Gelegenheit, ihre Kenntnisse in praktischen Übungen umzusetzen.
Unter Moderation von Professor Dr. Knut Kröger, Ressortleiter der Expertengruppe Kompressionstherapie des Medical Data Institute (MDI), gaben Dr. Anya Miller, Kerstin Protz, Professor Dr. Joachim Dissemond und Kröger selbst einen Überblick über die Grundlagen und die Versorgungspraxis der Kompressionstherapie. Deren Prinzipien gehen auf antike Erkenntnisse zurück, die schon von Hippokrates und Galenus beschrieben wurden, und noch heute gültig sind: Ein Verband sollte Schmerzen vermeiden, leicht anzulegen sein, richtig sitzen und gefällig aussehen. Antikes Wissen wurde von mittelalterlichen Gelehrten wieder aufgegriffen, die Kompressionsversorgungen beispielsweise mit Bleimanschetten durchführten. Im Laufe Jahrhunderte kamen, laut Dissemond, ungewöhnliche Materialien zum Einsatz, wie Holzverschalungen, Manschetten aus Hundeleder und Bänder sowie schmale Lederriemen. Die Entwicklung der Zinkleimbandagierungen (engl.: Unna-boot) durch Paul Unna führte die Kompressionstherapie in die Neuzeit. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts etablierten sich die elastischen Binden und schließlich Kompressionsstrümpfe, die heutzutage die Kompressionsstherapie prägen. Zu den neuen Entwicklungen gehören die adaptiven Kompressionssysteme, die zum Teil vom Patienten selbst über Klettverschlüsse einstellbar sind. Die aktuelle Vielzahl an Produkten und Versorgungsoptionen ermöglicht es, so Dissemond, heutzutage jedem Patienten eine passende Versorgung zukommen zu lassen.
Wie sich die moderne Versorgung an den Prinzipien der Evidence based medicine (EBM) orientiert und was dies für die Praxis bedeutet, erläuterte Kröger anschließend. Der Begriff kam in den 90er Jahren in der Statistik auf und hielt zur Jahrtausendwende Einzug in das deutsche Sozialgesetzbuch. Seither besitzt die EBM, die sich auf die Studienlage und auf Forschungsergebnisse stützt, einen unbestreitbaren Stellenwert, so Kröger. Die Definition therapeutischer Vorgehensweisen erfolgt aus den Daten möglichst vieler groß angelegter Studien, was, laut Kröger, von manchen Ärzten als "Kochbuchmedizin" kritisiert wird. Umso größer die Anzahl der einbezogenen Studien, desto eher definiere die EBM nämlich einen "Durchschnittspatienten" der dem individuellen Fall "der beim Arzt in der Sprechstunde steht" wenig entspricht. Daher kommt der eigenen Erfahrung des Therapeuten ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Wertigkeit zu. Sei ermöglicht dem Arzt die Einschätzung, ob Maßnahmen angemessen sind oder ob eine Modifikation des therapeutischen Vorgehens angebracht ist. Medizinische Leitlinien beziehen daher, zusätzlich zur EBM, Expertenmeinungen mit ein. In einigen medizinischen Themengebieten, auch in der Kompressionstherapie, bestehe ein Mangel an großen, umfassenden und aussagekräftigen Studien.
Die Berliner Ärztin Dr. Anya Miller verwendet in ihrer Praxis die Kompressionstherapie bei Menschen mit lymphatischen Erkrankungen. Bei einem Großteil dieser Patienten lassen sich weitere Krankheiten diagnostizieren, so die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Lymphologie. Dazu gehören orthopädische, dermatologische, neurologische und kardiovaskuläre Erkrankungen. Hinzu kommen Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus und Niereninsuffizienz, und auch oftmals eine Adipositas. Das Lymphödem wird durch die sogenannte komplexe Entstauungstherapie (KPE) behandelt, an die sich grundsätzliche eine Kompressionsversorgung anschließt. "Lymphdrainage ohne Kompression ist Wellness auf Kasse", verdeutlichte die Dermatologin, denn wenn die lymphatischen Stauungen durch die Maßnahmen des Lymphtherapeuten gemindert wurden, kann nur eine adäquate Kompressionsversorgung den Entstauungserfolg gewährleisten. Die Kompressionstherapie sei somit, neben der manuellen Lymphdrainage, Bewegung und Hautpflege, eine der vier Säulen der erfolgreichen Lymphtherapie, so Miller. Darauf basiere die Patientenedukation und dessen Anleitung zum eigenverantwortlichen Selbstmanagement. Neben dem praktischen Know-how fordert die Lymphtherapie also auch edukative Fähigkeiten vom Therapeuten.
Über die Versorgungspraxis der Kompressionstherapie bei Patienten mit Venenleiden und Ulcus cruris venosum informierte anschließend die Hamburger Fachautorin Kerstin Protz. Sie stellte vorhandene Kompetenzen und Kenntnisse der Versorger in Deutschland vor und zeigte Verbesserungsmöglichkeiten durch Schulung und Weiterbildung auf. Protz bewertet das in Studien ermittelte Wissen der Versorger als unzureichend und stellte fest, dass Kenntnisse um Material und Methoden der Kompressionstherapie ungenügend verbreitet sind. Zudem bestehen Defizite bei der Anwendung. Das sei unter anderem darin begründet, dass diese Therapieform in der pflegerischen Ausbildung kaum und im medizinischen Studium gar nicht vermittelt würde. Anschließend erläuterte Protz in Vorbereitung des folgenden Praxisteils die Grundlagen der Kompressionsbandagierung. Hierbei bestünde für keine der bekannten Techniken eine Evidenz, so die Wundexpertin. Entscheidend für den Erfolg ist, dass die gewählte Methode sicher beherrscht und die Grundsätze beachtet werden. Als Lösungsansatz zur Beseitigung der Defizite in der Kompressionstherapie empfiehlt Protz adäquate Schulungsmaßnahmen, die sowohl theoretisches Wissen, als auch praktische Fertigkeiten vermitteln.
Im Anschluss hatten die Teilnehmer entsprechend Gelegenheit, sich bei praktischen Übungen mit den Materialien der Kompressionstherapie vertraut zu machen. Dabei konnten auch die adaptiven Kompressionssysteme in Augenschein genommen und der Tragekomfort am eigenen Bein getestet werden. Der Workshop des Medical Data Institute auf dem Kongress Pflege 2017 setzte die Theorie der Kompressionstherapie somit anschaulich in Beziehung zur praktischen Anwendung dieser Versorgungsform.
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