Es muss passen, was nicht passt
Kommentar der Fuldaer Zeitung (25. September) zur bevorstehenden Bundestagswahl
Fulda (ots)
Entschieden ist nichts. Auch wenn die SPD auf der Zielgeraden vor der Union liegt, auch wenn in der Union einige schon Planspiele entwerfen, wie sich als Nummer zwei die Regierung anführen ließe. Wahlumfragen sind keine Wissenschaft, sondern Momentaufnahmen. Deswegen ist es verkehrt, Laschet bereits abzuschreiben oder Scholz als neuen Kanzler auszurufen. Laschets zur Schau getragene Gelassenheit beruht auf eigener Erfahrung: Ungefähr einen Monat vor der Landtagswahl in NRW 2017 sah ein Institut Schwarz-Gelb bei 35 Prozent, am Wahlabend waren es 46,1. Und erst im Juni lagen die Demoskopen in Sachsen völlig daneben, als sie bis zum Schluss ein Kopf-an-Kopf-Rennen von CDU und AfD prognostizierten. Am Wahlabend lag die CDU mit 16 Punkten vorn.
Was sich allerdings nach einem kurzen, müden und inhaltsleeren Wahlkampf festhalten lässt: Union und Grüne haben jeweils aufs falsche Pferd gesetzt. Laschet und Baerbock haben nicht gezündet, im Gegenteil. Ohne sie wären die Werte für ihre Parteien anders. Aber so kommt es eben, wenn innerparteilicher Proporz ausschlaggebend bei der Wahl der Kandidaten ist und nicht die Stimmung an der Basis. Da hat es die SPD besser gemacht und Vizekanzler Scholz, der selbst etliche Leichen im Keller hat, als legitimen Nachfolger Merkels präsentiert - mit Erfolg. Aus der schon totgesagten SPD machte der Kandidat innerhalb von Wochen die stärkste Kraft.
Die erodierende Parteienlandschaft nährt die Spekulation, dass das Kanzleramt durchaus noch Amtssitz von Angela Merkel sein wird, wenn am 1. Januar 2022 die Neujahrsansprache über die Bildschirme flimmert. Die Regierungsbildung wird so schwierig werden wie selten zuvor. Denn man kann es drehen und wenden, wie man will: Es passt nicht wirklich gut zusammen, was wir am Sonntag gewählt haben werden. Jamaika, Ampel, große Koalition, Linksbündnis - gegen die Gräben, die sich da auftun, wären schwarz-grüne Koalitionsverhandlungen wahrscheinlich ein Spaziergang gewesen.
Was das für das Land, durch das nach 16 Jahren Merkel endlich ein Ruck gehen müsste, bedeutet, ist offensichtlich: Ein Bündnis aus drei Parteien aus unterschiedlichen politischen Richtungen wird kaum den dringend notwendigen Reformwillen und die Kraft dafür aufbringen. Jede Partei würde Dogmen auf dem Altar der Macht opfern: "Gibst du mir, so geb ich dir!" Die bereits jetzt absehbare Schwäche einer neuen Bundesregierung ist die eigentliche Tragik am Ende dieses Wahlkampfs, dessen Ausgang wir morgen Abend wohl noch nicht kennen werden. / Bernd Loskant
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