Die Schwächen unseres Systems
Kommentar der "Fuldaer Zeitung" (2. April 2022) zu Lebensmittelpreisen
Fulda (ots)
Es erstaunt immer mehr, in welche Abhängigkeiten wir uns selbst bei elementaren, lebensnotwendigen Gütern begeben haben. Nicht nur beim Gas hat uns Russland in der Hand und kann mit einem Lieferstopp, so warnt BASF-Chef Martin Brudermüller in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", die deutsche Volkswirtschaft von heute auf morgen "in ihre schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs bringen". Auch bei wichtigen Nahrungsmitteln hat sich Deutschland (und übrigens auch der Rest der Welt) günstiger Preise wegen unsicheren Staaten unterworfen. Ein Drittel aller Weizen- und Gersteexporte weltweit stammt aus der Ukraine und Russland. Fallen die Lieferungen aus, kann das in manchen Gegenden der Welt zu Hungersnot führen.
Dass hier in Deutschland aufgrund des Engpasses bei Speiseölen - ebenfalls ein Produkt, bei dem wir uns abhängig gemacht haben - die ersten Imbissbuden keine Pommes mehr frittieren können, mag zu verschmerzen sein. Die Folgen des Krieges an den Supermarktkassen sind da schon drastischer: Wenn sich manche Lebensmittel um mehr als 50 Prozent verteuern, wenn der Handelsverband Deutschland in Kürze eine "Welle" zweistelliger Preissteigerungen prophezeit, dann ist das für viele Haushalte nicht mehr verkraftbar und verlangt genauso nach Reaktionen wie die Turbulenzen auf dem Energiemarkt - sowohl kurz- als auch langfristig.
Liegt die Abhängigkeit bei Gas und Öl in der Natur der Sache, so wirft es Fragen auf, wenn Deutschland zu 94 Prozent seinen Bedarf an Speiseölen mit Importen aus Russland und der Ukraine deckt. Blühen nicht auch hier Sonnenblumen und Raps? Wächst Getreide nicht auch bei uns? Ja, so ist es, und es erscheint aus heutiger Perspektive geradezu absurd, dass Landwirte in großem Stil EU-Hilfen bekommen, wenn sie Felder nicht mehr bewirtschaften. Allein in Hessen wurden im vergangenen Jahr mehr als 18 000 Hektar landwirtschaftlicher Flächen stillgelegt, das entspricht 25 000 Fußballplätzen, wie die FDP errechnet hat. Warum die Brachflächen temporär nicht auch für den Anbau von Lebensmitteln freigeben? Und noch eine Zahl lässt aufhorchen: Auf rund 60 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland wird Tierfutter angebaut. Stimmen da die Verhältnisse?
Der Krieg in der Ukraine führt uns schonungslos die Schwächen unseres Systems vor Augen. Nicht nur die Energie-, auch unsere Agrarpolitik ist gescheitert. Neue Strategien braucht das Land, die uns allenthalben unabhängig von Diktatoren und Kriegstreibern machen. / Bernd Loskant
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