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Neue DGE-Ernährungsrichtlinien: Entscheidende Schritte und verpasste Chancen – ProVeg: Empfehlungen bleiben weiter hinter internationalen Standards zurück

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Neue DGE-Ernährungsrichtlinien: Entscheidende Schritte und verpasste Chancen

ProVeg: Empfehlungen bleiben weiter hinter internationalen Standards zurück

Berlin, den 05.03.2024

Die DGE hat ihre offiziellen Empfehlungen für den Verzehr von Fleisch und Milch gesenkt.1 Im Hinblick auf eine gesunde und nachhaltige Ernährung empfiehlt sie ab sofort einen höheren Anteil pflanzlicher Nahrungsmittel. ProVeg zeigt sich sehr erfreut über diese Neuerung: „Mit der Änderung der Richtlinien könnte der Fleischverzehr in Deutschland weiter sinken“, prognostiziert Ernährungsreferentin Anna-Lena Klapp. Die Ernährungsorganisation stellt zugleich fest, dass die deutschen Empfehlungen zu pflanzlichen Alternativprodukten weiter hinter internationalen Standards zurückbleiben.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat heute im Rahmen ihres wissenschaftlichen Jahreskongresses die lang erwartete Überarbeitung ihrer Ernährungsrichtlinien veröffentlicht. Mit der bisherigen offiziellen lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlung von 2017 hatte die DGE im internationalen Vergleich eher schlecht abgeschnitten, was die Förderung pflanzenbetonter Ernährungsweisen angeht.2 Nun hat sie die Verzehrempfehlungen von Fleisch und Wurst sowie von Milch und Milchprodukten um je eine Portion gesenkt.

„Die Tragweite der offiziellen Empfehlungen der DGE lässt sich kaum genug betonen. Jedes Gramm Fleisch weniger wirkt sich exponentiell aus“, urteilt Ernährungswissenschaftlerin Klapp. Die Richtlinien beeinflussen unter anderem die Menüplanung in der Gemeinschaftsverpflegung – in Betriebskantinen, an Universitäten und an Schulen. In fünf Bundesländern sind sie für die Gestaltung der Schulverpflegung sogar verbindlich. Die Richtlinien sind außerdem Teil der Ausbildung von Ernährungsfachkräften. „Nationale Ernährungsrichtlinien prägen, was wir essen, was wir über gesunde Ernährung wissen und welche Ernährung wir unseren Kindern beibringen“, erläutert Klapp.

Empfehlungen spiegeln Ernährungswandel

Die aktualisierten Richtlinien erheben erstmals den Anspruch, neben Ernährungs- und Gesundheitsaspekten auch Nachhaltigkeits- und Umweltkriterien zu berücksichtigen.3 Die DGE nähert sich damit dem Vorbild der interdisziplinären EAT-Lancet-Kommission an, die 2019 die Planetary Health Diet veröffentlicht hat.4 „Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung erkennt ihre gesellschaftspolitische Aufgabe an“, folgert Klapp.

„Die Bevölkerung in Deutschland verändert ihre Ernährung bereits erkennbar, in den Köpfen und im Verhalten“, so Klapp weiter. Seit der letzten Aktualisierung der Richtlinien ist der jährliche Pro-Kopf-Fleischverzehr in Deutschland deutlich um rund 9 kg gesunken.5 46 Prozent der Bevölkerung ernähren sich inzwischen flexitarisch und senken bewusst ihren Konsum tierischer Produkte.6

Konsumverlagerung statt Nachhaltigkeit?

Die gesenkten Empfehlungen beschränken sich jedoch hauptsächlich auf den Verzehr von Fleisch, Milch und Milchprodukten. Die Richtwerte für Fisch sind nahezu unverändert geblieben. Klapp sieht daher die Gefahr einer Verlagerung des Konsums tierischer Produkte auf Fisch.

Das mag in Teilen gesünder sein, nachhaltig ist es aber nicht. Nach Angaben des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) waren bereits am 29. Februar rechnerisch alle Fische und Meerestiere aus der deutschen Nord- und Ostsee und den Binnengewässern für dieses Jahr aufgegessen.7 „Wir benötigen klare Empfehlungen der DGE, wie sich eine gute Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren auch pflanzlich decken lässt“, merkt Klapp mit Blick auf die schrumpfenden Fischbestände an.

Starker Einfluss der Wirtschaft

Auffällig ist, dass die DGE die im ersten Entwurf vorgesehene erhebliche Reduktion der Verzehrmenge von rotem und verarbeitetem Fleisch abgeschwächt hat. Ein internes Papier mit künftigen Richtwerten für Fleisch und Wurst hatte 2023 für Aufregung bei den Verbänden der Milch- und Fleischwirtschaft gesorgt.8 „Die DGE begründet die Abschwächung ihrer Empfehlungen mit der Annäherung an aktuelle Konsummuster, obwohl der Fleischkonsum in Deutschland deutlich sinkt. Die Entscheidung wirkt daher eher wie ein Zugeständnis an die Fleischlobby“, bemerkt Klapp.

Eine 2023 von ihr durchgeführte internationale Analyse offenbart den Einfluss der Wirtschaft: Je größer der Anteil der Fleischindustrie am Bruttoinlandsprodukt eines Landes, desto eher empfiehlt es seiner Bevölkerung zur Deckung bestimmter Nährstoffe ausschließlich tierische Produkte – und nennt weniger pflanzliche Optionen.

Verpasste Chance

Die DGE ist sich darüber im Klaren, dass die Bevölkerung in Deutschland mehrheitlich an eine fleischbetonte Ernährung gewöhnt ist. Pflanzliche Alternativprodukte gelten gerade für Flexitarier als Hilfestellung für eine pflanzenbetontere Ernährung. Deutschland verzeichnet den höchsten Umsatz mit pflanzlichen Alternativprodukten in Europa.9

Wer Alternativprodukte anerkennt, kann sinnvolle Empfehlungen aussprechen und den Menschen zum Beispiel mit Kalzium angereicherte Sojamilch und Alternativprodukte mit einem geringen Zucker-, Salz- und Fettgehalt nahelegen. „Die Chance, das wachsende Angebot an Alternativprodukten mit Blick auf die Gesundheit mitzugestalten, hat die DGE mit den neuen Ernährungsrichtlinien eindeutig verpasst“, stellt Klapp fest. Fast die Hälfte aller nationalen Ernährungsrichtlinien weltweit erwähnen bereits pflanzliche Alternativen zu Fleisch oder Tiermilch. Unter anderem führen die USA, Großbritannien und die Niederlande Sojamilch mit Kalzium als adäquate Alternative zu Kuhmilch auf.10

ProVeg fordert Nährstoffgruppen

ProVeg spricht sich deshalb dafür aus, anstelle tierischer Nährstoffquellen besser Nährstoffgruppen mit tierischen und pflanzlichen Quellen anzugeben. „In die Proteingruppe gehören dann auch Hülsenfrüchte und Tofu. Kalziumreiches Mineralwasser fällt in die Kalziumgruppe“, veranschaulicht Klapp. So würden sich alternative Nährstoffquellen leicht identifizieren lassen, wenn man ein Nahrungsmittel nicht mag, nicht verträgt oder aus ethischen oder ökologischen Gründen nicht zu essen bereit ist.

Tatsächlich hebt die neue Richtlinie Hülsenfrüchte und Nüsse als eine eigene Nahrungsmittelgruppe hervor. Die Platzierung neben Obst und Gemüse trägt ihrer wichtigen Bedeutung als gesunde und nachhaltige Proteinquellen jedoch keine Rechnung. „Der erste Schritt hin zu ausgewogenen Ernährungsrichtlinien, die gesundheitlichen, nachhaltigen und gesellschaftlichen Anforderungen gerecht werden, ist getan. Wir sind in Deutschland aber noch lange nicht am Ziel“, folgert Klapp deshalb.

Quellen

1 Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (2024): Gut essen und trinken – DGE stellt neue lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen für Deutschland vor, veröffentlicht am 05.03.2024. Online unter: https://www.dge.de/presse/meldungen/2024/gut-essen-und-trinken-dge-stellt-neue-lebensmittelbezogene-ernaehrungsempfehlungen-fuer-deutschland-vor/

2 Klapp, A.-L., N. Feil & A. Risius (2022): A Global Analysis of National Dietary Guidelines on Plant-Based Diets and Substitutions for Animal-Based Foods, in: Current Developments in Nutrition, Jahrgang 6, Ausgabe 11, November 2022. Online unter: https://cdn.nutrition.org/article/S2475-2991(23)00560-7/fulltext

3 DGE-Symposium zur neuen FBDG auf dem 61. Wissenschaftlichen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. am 05.03.2024 in Kassel

4 EAT-Lancet Commission (2019): Healthy Diets From Sustainable Food Systems. Summary Report of the EAT-Lancet Commission. Online unter: https://eatforum.org/content/uploads/2019/07/EAT-Lancet_Commission_Summary_Report.pdf

5 Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (2023): Fleisch und Geflügel. Versorgung mit Fleisch in Deutschland im Kalenderjahr 2010–2022 (Neuberechnung). Online unter: https://www.ble.de/DE/BZL/Daten-Berichte/Fleisch/fleisch_node.html

6 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2023): Deutschland, wie es isst: Der BMEL-Ernährungsreport 2023, veröffentlicht am 13.10.2023. Online unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/ernaehrungsreport-2023.html

7 Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (2024): End Of Fish Day: Deutsche Fischprodukte bereits jetzt aufgebraucht, veröffentlicht am 27.02.2024. Online unter: https://www.bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/news/end-of-fish-day-deutsche-fischprodukte-bereits-jetzt-aufgebraucht/

8 Tönnies (2023): Ernährungsempfehlung der DGE ein „Missverständnis“, veröffentlicht am 23.06.2023. Online unter: https://toennies-agrarblog.de/ernaehrungsempfehlung-der-dge-ein-missverstaendnis/

9 GFI Europe (2023): Deutschland: Entwicklung des Marktes für pflanzliche Lebensmittel im Einzelhandel 2020–2022. Online unter: https://gfieurope.org/wp-content/uploads/2023/03/Marktentwicklung-Plantbased-in-Deutschland-2020-2020-DE.pdf

10 Klapp, A.-L., N. Feil & A. Risius (2022): A Global Analysis of National Dietary Guidelines on Plant-Based Diets and Substitutions for Animal-Based Foods, in: Current Developments in Nutrition, Jahrgang 6, Ausgabe 11, November 2022. Online unter: https://cdn.nutrition.org/article/S2475-2991(23)00560-7/fulltext

Kontakt
Lena Renz
Senior PR Manager ProVeg 
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+49 176 177 858 52
Über ProVeg
ProVeg International ist eine Ernährungsorganisation, die sich für die Transformation des globalen Ernährungssystems einsetzt. Unsere Mission ist, bis 2040 weltweit 50 Prozent der Tierprodukte durch pflanzliche und kultivierte Nahrungsmittel zu ersetzen. ProVeg arbeitet mit relevanten Akteuren am Übergang zu einem Ernährungssystem, in dem sich alle für genussvolles und gesundes Essen entscheiden, das gut für alle Menschen, Tiere und unseren Planeten ist. ProVeg hat den „Momentum for Change“-Preis der Vereinten Nationen erhalten und arbeitet eng mit den wichtigsten UN-Organisationen für Ernährung und Umwelt zusammen. Mit Büros in 12 Ländern auf 4 Kontinenten und mehr als 200 Mitarbeitenden erzielt ProVeg eine globale Wirkung.
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