Krankenhaus-Report 2016 - Ambulante Leistungen im Krankenhaus: Experten kritisieren "Wildwuchs"
Berlin (ots)
In deutschen Krankenhäusern wird immer häufiger ambulant behandelt, also ohne dass die Patienten über Nacht bleiben. So sind in den letzten drei Jahrzehnten rund 20 verschiedene ambulante Versorgungsformen entstanden, die im Krankenhaus durchgeführt werden: von Hochschul- und Notfallambulanzen über Ambulantes Operieren im Krankenhaus bis hin zur Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung (ASV). Anlässlich der Veröffentlichung des neuen Krankenhaus-Reports des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) bemängeln Experten nun den "Wildwuchs" in diesem Versorgungsbereich und fordern einen einheitlichen Ordnungsrahmen.
Mitherausgeber Prof. Jürgen Wasem stellt angesichts der Fülle von Versorgungsmöglichkeiten fest: "Hinter dieser Vielfalt steckt kein rationales Ordnungsprinzip. De facto werden hier identische Leistungen in verschiedene Rechtsformen verpackt und dann auch noch unterschiedlich vergütet." Ähnliche Unterschiede gebe es auch bei der Bedarfsplanung, bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen oder den Zugangsregeln zu Innovationen. "Und in puncto Qualitätssicherung sind ambulante Krankenhausleistungen ohnehin Wüsten", so Wasem weiter. Deshalb müsse die Politik an der Schnittstelle zwischen ambulanten und stationären Leistungen endlich einheitliche Spielregeln für alle und einen neuen Ordnungsrahmen vorgeben. Die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen könne der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) übernehmen.
Auch Prof. Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, kritisiert die Strukturprobleme zwischen den Sektoren: "Das deutsche Gesundheitswesen ist wie ein geteiltes Land. Zwischen Kliniken und Praxen verläuft eine kaum überwindbare Mauer, die für Patienten gefährlich und für alle viel zu teuer ist."
Das Fehlen von einheitlichen Spielregeln führe vielfach zu konträren Interessen. Echte Zusammenarbeit, etwa zwischen niedergelassenen und stationär tätigen Kardiologen, sei weder vorgesehen noch möglich. Mit der Folge, dass es zu Informationsbrüchen, Missverständnissen, Behandlungsfehlern, Mehrfachdiagnostik, vermeidbaren hohen Arztkontakten und Mengenausweitungen komme. Gerlach weiter: "Kaum einer übernimmt für Patienten mit mehreren Krankheiten, die gleichzeitig von verschiedenen Ärzten und Kliniken behandelt werden, die Gesamtverantwortung und schützt sie vor zu viel oder falscher Medizin." Hausärzte seien für diese Lotsenfunktion zwar prädestiniert, befänden sich aber innerhalb des Gesundheitssystems in einer geschwächten Position. Gerlach fordert eine regional vernetzte, sektorübergreifende Versorgung, in der die Honorare für stationäre Kurzzeitfälle und vergleichbare ambulante Behandlungen angeglichen werden.
Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, ruft die Beteiligten zur Kooperationsbereitschaft auf: "Auf Schnittstellenprobleme wurde bislang von der Politik mit zahlreichen Einzellösungen reagiert. Die bisherigen Modelle inklusive der Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung sind sicher gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Das kann so nicht bleiben, da muss der Gesetzgeber noch mal neu ansetzen." Der Status quo führe seit Jahren nur zu Patchwork und den altbekannten rituellen Verteilungskämpfen zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern. "Was ich mir wünsche, ist mehr Miteinander statt dieses andauernden Jeder-gegen-Jeden mit Sonderinteressen und Systemegoismen. Die Leistungserbringer müssen sich darauf einlassen, gemeinsame Qualitäts-, Verwaltungs- und Finanzierungsstandards zu entwickeln, sonst kommen wir nicht weiter."
Voraussetzung für eine Neuausrichtung der fachärztlich-ambulanten Versorgung sei mehr Transparenz. Dazu brauche es eine einheitliche Dokumentation von ambulanten und fachärztlich-ambulanten Leistungen. So könne man Doppelstrukturen und Qualitätseinbußen sichtbar machen und damit Vergleichbarkeit schaffen. In einem zweiten Schritt müsse sektorübergreifend festgelegt werden, welche Kapazitäten und Strukturen für den Bedarf wirklich notwendig seien. "Wenn wir so weit sind, kann ein neuer ordnungspolitischer Rahmen abgesteckt werden."
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