Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
"Besonders wertvoll" für VICTORIA, RICO UND OSKAR und BEYOND PUNISHMENT/Zwei Anwärter auf Deutschen Filmpreis starten diese Woche mit FBW-Prädikat im Kino
Wiesbaden (ots)
Am 19. Juni wird in Berlin der Deutsche Filmpreis verliehen. Nun starten gleich zwei Lola-Nominierte, die zudem von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) mit dem höchsten Prädikat "besonders wertvoll" ausgezeichnet wurden. Auffällig ist, dass das Prädikat der FBW beim Deutschen Filmpreis stark vertreten ist. Von den sechs Nominierten für den Besten Spielfilm wurden vier mit dem Prädikat "besonders wertvoll" ausgezeichnet, dazu beide Nominierungen in der Sparte "Bester Kinderfilm". Schon bei der Berlinale sorgte VICTORIA (Start: 11. Juni) von Sebastian Schipper für Aufsehen, nun ist der außergewöhnliche Film, der in nur einer Einstellung in 140 Minuten die Geschichte einer ganz besonderen Nacht in Berlin schildert, gleich für sieben Lolas nominiert. Die fünfköpfige FBW-Jury zeigte sich beeindruckt von dem mutigen und gelungenen Experiment der Filmemacher und verlieh VICTORIA das höchste Prädikat "besonders wertvoll". In der Begründung der Jury heißt es: VICTORIA ist eine Tour de Force durch Milieu und Nacht, die man gerne auch ein zweites Mal anschaut. So viel Vehemenz, Mut und Kraft hat man selten auf der Leinwand erlebt." Wie geht unsere aufgeklärte westliche Gesellschaft mit Schuld und Sühne um? Was ist das richtige Strafmaß für Mord? Und wie können Hinterbliebene, aber auch Täter mit der Tat fertig werden? Diesen brisanten, wichtigen und komplexen Fragen stellt sich Regisseur Hubertus Siegert in seinem Dokumentarfilm BEYOND PUNISHMENT (Start: 11 Juni), der als Bester Dokumentarfilm nominiert ist. Siegert bereist verschiedene Länder, die USA, Norwegen, Deutschland, zeigt dabei verschiedene Modelle der Strafverfolgung auf und begegnet Opfern und Tätern. Für die Jury der FBW, die das höchste Prädikat "besonders wertvoll" verlieh, gelingt Siegert dies alles "auf beeindruckende Weise, indem er den Film seinen Protagonisten anvertraut, so wie diese sich ihm anvertrauen." Die Jury lobte zudem den "geschickten dramaturgischen Aufbau". Dadurch erzeuge der Film "eine enorme Spannung" und wirke "emotional und wahrhaftig". Als bester deutscher Kinderfilm geht RICO, OSKAR UND DIE TIEFERSCHATTEN in diesem Jahr ins Rennen um den Deutschen Filmpreis. In den Kinos startet mit RICO, OSKAR UND DAS HERZGEBRECHE (Start: 11. Juni) die Fortsetzung der erfolgreichen Verfilmung von Andreas Steinhöfels Buchvorlagen. Diesmal müssen Rico und sein bester Freund Oskar ein Geheimnis lösen, in das sogar Ricos Mutter verwickelt ist. Es gibt spannende Verfolgungsjagden, jede Menge Wortgefechte der ungleichen Freunde und, wie der Titel schon verrät, eine Menge "Herzgebreche". "Der Film setzt Steinhöfels Bestseller par excellence in bewegte Bilder um. Hier wird viel Menschliches gezeigt und die kindliche Phantasie, Neugier und Abenteuerlust wird gefördert." Für diese "prächtige Familienunterhaltung" vergab die Expertenrunde der FBW das Prädikat "besonders wertvoll". Bereits seit einer Woche in den Kinos: KIND 44, die langerwartete Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Tom Rob Smith. Daniel Espinosa adaptierte den Kriminalfilm, der die Geschichte des russischen Offiziers Leo Demidow erzählt. In den 1950er Jahren dient er treu dem russischen Staat, muss aber, als er einem schrecklichen Verbrechen auf die Spur kommt, erkennen, dass Wahrheit in einem diktatorischen System nicht immer an oberster Stelle steht. Ein Auszug aus dem Gutachten der FBW-Jury: " Ein außergewöhnlich spannender und intelligenter Thriller, der den Zuschauer in die Sowjetunion Stalins Anfang der 1950er Jahre führt." Zudem hob sie lobend das Spiel von Tom Hardy in der Hauptrolle sowie des restlichen Casts hervor und vergab das Prädikat "besonders wertvoll". Kinostarts mit Prädikt in der kommenden Woche: Stephen Daldrys TRASH sowie der deutsche Nachwuchsfilm AGNIESZKA. Mehr Informationen zu aktuellen und kommenden FBW-Empfehlungen unter www.fbw-filmbewertung.com.
Prädikatsfilme vom 11. Juni 2015
Victoria
Spielfilm, Drama. Deutschland 2014.
Es ist vier Uhr morgens. Auf der Straße stehen vier Jungs und wollen ein Auto knacken. Wenige Minuten vorher haben sie in einem Club ein Mädchen getroffen. Ihr Name ist Victoria. Victoria kommt aus Spanien, ist seit drei Monaten in Berlin. Sie kennt noch niemanden, hat keine Freunde. Aber sie will etwas erleben. Was genau, das kann sie nicht sagen. Doch heute Nacht, um vier Uhr, kann alles passieren. Und in den nächsten zweieinhalb Stunden wird alles passieren. Zu Beginn des Films fängt die Kamera Victorias Gesicht ein. Und von diesem Moment an wird sie die Hauptdarstellerin Laia Costa auch nie wieder wirklich verlassen. Regisseur Sebastian Schipper und die großartigen Bilder des Kameramanns Sturla Brandth Grøvlen begleiten Victoria auf ihrem Weg in eine Nacht, deren Ausgang der Zuschauer fürchtet, herbeisehnt, entgegenfiebert. Der Film erzählt in nur einer einzigen Einstellung in Echtzeit. Die Filmzeit im Leben der Figuren ist Realzeit, die der Zuschauer mitgeht und mitgehen muss. Denn nicht nur schauspielerisch und inszenatorisch ist die Geschichte, die sich im Laufe der Zeit immer dramatischer zuspitzt, eine wahre Tour-de-force, die auch beim Zusehen mitnimmt, berührt und fesselt. Die Kamera macht den Zuschauer zum Komplizen. Immer ist sie dicht dabei, zeigt, wie sich Victoria und der Anführer der Jungs, Sonne, annähern und verlieben, zeigt, wie die Jungs in einer Gang von Außenseitern als Brüder füreinander einstehen, zeigt die Unausweichlichkeit jeder Handlung. Die Szenerie ist authentisch, das nächtliche Berlin ist nicht nur Setting, sondern zusätzliche Hauptfigur. Das Spiel aller Darsteller ist überzeugend, glaubwürdig, ohne Zweifel wahrhaftig. Allen voran leisten Laia Costa und Frederick Lau als Sonne Unglaubliches. Der Film nimmt sich zu Beginn Zeit, um diese beiden Figuren umeinander kreisen zu lassen. Doch diese Zeit ist gefüllt von kleinen und feinnuancierten Gesten, Blicken und Momenten, die selbst in der Ruhe vor dem Sturm Großes entstehen lassen. Die Tonebene und die Musik von Nils Frahm tun ihr Übriges, um die Handlung anzutreiben, Stimmung zu setzen und dem Film zusätzlich poetische Kraft zu verleihen. VICTORIA ist Überwältigungskino, ein wilder und rauer Trip, aber gleichzeitig auch Film in seiner reinen Form. Sebastian Schippers mutiges Experiment ist aufgegangen. Denn er findet die perfekte Form, um diese Geschichte zu erzählen. Und erschafft so kraftvolles und innovatives deutsches Kino. VICTORIA ist ein intensives Filmerlebnis, das man nicht mehr vergisst.
http://www.fbw-filmbewertung.com/film/victoria
Beyond Punishment
Dokumentarfilm. Deutschland 2014.
Erik hat seine Tochter verloren. Mit 16 Jahren wurde sie von ihrem Freund Karl nach einem langen Streit erschossen. Sechs Jahre später wird Karl aus der Haft entlassen. So will es das norwegische Strafrecht. Erik und seine Familie sind verunsichert und haben Angst. Gleichwohl wünscht sich Karl ein Gespräch. Er will sich erklären, seine Tat verantworten. Sean in New York wiederum will die Verantwortung für seine Tat nicht übernehmen, auch nach vielen Jahren Gefängnis nicht. Er wurde verurteilt, weil er einen Teenager getötet hat. Und in der Bronx sitzen die Schwester und Mutter des Toten und beide haben nur einen Wunsch: dass Sean die Schüsse auf den Jungen zugibt und damit auch ihren Schmerz annimmt. Der Dokumentarfilm BEYOND PUNISHMENT von Hubertus Siegert untersucht die Frage nach dem Sinn von Schuld und Bestrafung und beleuchtet sie aus verschiedenen Perspektiven. Die Rechts- und Strafsysteme der verschiedenen Länder dienen dabei als Hintergrund für die persönlichen Schicksale. Vorsichtig und mit Feingefühl nähert er sich den Protagonisten, ohne sie und ihre Geschichte plakativ auszuschlachten. Zwischen USA und Norwegen, wo auf so unterschiedliche Art und Weise das Prinzip der Bestrafung umsetzen, setzt Siegert eine Geschichte aus Deutschland. Patrick, den Sohn des vorletzten Opfers der RAF, lässt Siegert in einen Austausch mit Manfred treten, einem der Mitbegründer der militanten RAF. Patrick weiß bis heute nicht, wer seinen Vater getötet hat. Manfred war es nicht, doch auch durch ihn starb ein Mensch. Das Gespräch zwischen beiden steht sinnbildlich für den Versuch, die extreme seelische Last mittels Verständnis des Gegenübers loslassen zu können, auch wenn eine Vergebung meist unmöglich erscheint. Immer wieder steht die kritische und manchmal verzweifelte Frage der Protagonisten im Raum, wie sie überhaupt Vergebung leben können. Denn verrät der, der vergibt, nicht den, der getötet wurde? Der Film lebt vom großen Vertrauen der Interviewten zum Filmemacher. Sie erzählen von ihren Gefühlen, ob Täter oder Opfer. Und kommen dem Zuschauer gleichermaßen nah. Ein- und Ausstieg des Films zeigen den Besuch eines Gesprächskreises in einem amerikanischen Hochsicherheitsgefängnis. Opfer und Täter kommen im Rahmen des Projektes "Restorative Justice" zusammen und erzählen. Auch hier kann es nicht um Vergebung gehen. Aber, und das macht der Film klar, es geht um unseren Umgang mit Schuld und Bestrafung und das überfällige Infragestellen mancher Strafsysteme. BEYOND PUNISHMENT von Hubertus Siegert ist ein in erster LInie bewegendes, dabei aber reflektiertes und lehrreiches Dokumentarfilmkino mit außergewöhnlichen Protagonisten und einer Botschaft, die anregt, nachzudenken und Fragen zu stellen.
http://www.fbw-filmbewertung.com/film/beyond_punishment
Rico, Oskar und das Herzgebreche
Spielfilm, Kinder- und Jugendfilm. Deutschland 2015.
Dass Oskar ein paar Tage bei Rico und seiner Mutter übernachtet, ist gar kein Problem. Im Grunde gehört er ja irgendwie sowieso schon zur Familie. Den Helm braucht er nicht mehr, dafür trägt er nun eine Sonnenbrille, die ihm helfen soll, inkognito zu bleiben. Kein Wunder, denn seit ihrem letzten gemeinsamen Abenteuer sind die beiden Jungs im Kiez berühmt. Nun aber wartet ein neuer Fall, den es zu lösen gilt: Beim wöchentlichen Bingo, das Ellie Wandbek veranstaltet, stellen sie fest, dass bei der Vergabe der Gewinne geschummelt wird. Und sie merken, dass Ricos Mutter irgendein großes Geheimnis hat, über das sie nicht reden will. Zusammen machen sich Rico und Oskar auf, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Eins ist jetzt schon klar: Langweilig wird es den beiden Freunden auf keinen Fall. Wie auch? Bei all dem Herzgebreche! Das zweite Abenteuer, das auf den gleichnamigen Büchern von Andreas Steinhöfel basiert, steht dem großen Kinder- und Jugendfilmerfolg RICO, OSKAR UND DIE TIEFERSCHATTEN aus dem Jahr 2014 in Sachen Einfallsreichtum, Spielfreude und Spannung in nichts nach. Unter der Regie von Wolfgang Groos entstand die Welt der "Dieffe 93", einer Straße in Berlin-Kreuzberg, in der sich erneut allerhand kuriose, skurrile und unterhaltsame Gestalten versammeln. Da ist Milan Peschel der seltsame Nachbar, der Steine züchtet, oder Katharina Thalbach als völlig überkandidelte Leiterin der Bingo-Spiele, die mit ihrem Sohn (Moritz Bleibtreu) nichts Gutes im Schilde zu führen scheint. Wie auch Henry Hübchen, Ursela Monn, Ronald Zehrfeld und Karoline Herfurth spielen sie ihre Rollen mit Freude und augenzwinkerndem Humor. Doch die Helden sind zweifelsohne Anton Petzold und Juri Winkler als Rico und Oskar. Wie sie als Team arbeiten, sich ergänzen und sich immer wieder aus der Patsche helfen, ist berührend, unterhaltsam und mit sehr viel Liebe zu Detail und genau dem richtigen Timing leichtfüßig herausgearbeitet. Aus der spannenden Handlung und den abwechslungsreichen Ideen entsteht ein Krimi für Kinder mit raffinierten Verfolgungsjagden, die aber immer kindgerecht inszeniert sind. Die Ausstattung ist bis ins Detail stimmig ausgewählt und erschafft eine ganz eigene Kiez-Welt. Voller Typen, Schauwerten und der spürbaren Wärme eines liebevollen Zuhauses. RICO, OSKAR UND DAS HERZGEBRECHE ist nicht nur eine mehr als gelungene Fortsetzung. Auch für sich genommen ist dies ein warmherziges und perfekt inszeniertes Filmvergnügen für die ganze Familie.
http://www.fbw-filmbewertung.com/film/rico_oskar_und_das_herzgebreche
Kind 44
Spielfilm, Drama, Thriller. USA; Großbritannien; Tschechien; Rumänien 2015.
Russland, 1953: Der Kriegsheld Leo Demidow steht als Geheimdienstoffizier hoch im Kurs bei den Befehlshabern, seine Frau Raisa erwartet ein Kind. Für ihn könnte das Leben nicht besser sein. Als eines Tages jedoch der Sohn seines Kollegen und Freundes ums Leben kommt, ändern sich die Dinge. Die Autopsie des Jungen lässt Rückschlüsse auf ein Gewaltverbrechen zu. Zunächst glaubt Leo an einen Irrtum, stellt jedoch fest, dass ein Serientäter am Werk ist. Mit Unterstützung von Raisa fängt Leo an, nachzuforschen und unbequeme Fragen zu stellen. Doch bald muss er feststellen, dass das System, an das er glaubte, sich nun radikal gegen ihn stellt. Denn im "Paradies" darf es kein Verbrechen geben. Eine grausame Geschichte in einem autoritären System - das ist die Ausgangslage von KIND 44. Regisseur Daniel Espinosa verfilmte den gleichnamigen Erfolgsroman von Tom Rob Smith, der im Jahr 2008 weltweit die Bestsellerlisten stürmte, auf beeindruckende Weise und mit hoher atmosphärischer Dichte. Das Russland Stalins wird als grau, dunkel und dreckig dargestellt. In den Gesichtern der Menschen zeigt sich wenig Hoffnung, die Sicht auf die Welt ist verbaut von systemkonformen Parolen, die freie Gedanken und selbstständiges Denken verhindern sollen und den Menschen in den Dienst eines Systems stellen. Diese inneren und äußeren Konflikte spiegelt die Hauptfigur Leo, die mit Tom Hardy ideal besetzt ist, perfekt wider. Sein stoischer Gesichtsausdruck lässt kaum Gefühlsregungen erkennen, seine bullige Körperhaltung signalisiert Stärke und Entschlossenheit. Umso beeindruckender, wenn Momente der Erkenntnis und Verletzbarkeit sich in seiner Mimik reflektieren. Dann sieht man die Gebrochenheit eines Mannes, der alles verliert, an das er bisher glaubte und um sein Leben und das seiner Familie kämpft. Die restliche Besetzung überzeugt bis in die kleinste Rolle mit großartigen Charakterdarstellern. Noomi Rapace als Raisa entwickelt sich von einer duldenden Frau ohne Stimme zur Kämpferin an Leos Seite. Gary Oldman als Ermittler wird zum Mentor und zur inneren Stimme Leos, die ihm den Weg weist. Und Joel Kinnaman spielt den intriganten Rivalen eindrucksvoll mit Kälte und Verbissenheit. Im dicht gewebten Handlungsverlauf vermischt das Drehbuch von Richard Price geschickt klassische Thrillerelemente mit dem dramatischen gesellschaftskritischen Überbau aus der Buchvorlage. Je länger der Film dauert, desto spannender werden die Fragen, desto komplexer die Verwicklungen, bis hin zum Showdown, der so nah inszeniert ist, dass er auch für den Zuschauer fast körperlich spürbar wird. Jon Ekstrand liefert einen dramatisch treibenden Score, die exzellente Kamera von Oliver Wood fängt authentische Bilder ein, die die Welt und das System von damals erfahrbar werden lassen. Mit KIND 44 ist Daniel Espinosa nicht nur eine kongeniale Literaturverfilmung gelungen. Sondern auch ein wichtiger gesellschaftskritischer Film, der aufklärt über eine Zeit, in der ein System sich über alles stellte. Sogar über die Wahrheit.
http://www.fbw-filmbewertung.com/film/kind_44
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