Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
Prädikat "besonders wertvoll" für DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK/Kinostart auch für den mutigen Dokumentarfilm NO LAND'S SONG
Wiesbaden (ots)
Ohne Frage ist "Das Tagebuch der Anne Frank" eines der wichtigsten literarischen Dokumente des 20. Jahrhunderts. Schon vielfach sind die niedergeschriebenen Gedanken und Gefühle des jüdischen Teenager-Mädchens, das sich im Zweiten Weltkrieg mit ihrer Familie vor den Nazis in einem Amsterdamer Hinterhaus verstecken musste und im Lager Bergen-Belsen ums Leben kam, filmisch adaptiert worden. Doch bei der Neuverfilmung von Hans Steinbichler (Start: 3. März) handelt es sich tatsächlich um die allererste deutsche Kinoproduktion des Stoffes. Eine der herausragenden Qualitäten des Films, so die fünfköpfige FBW-Jury, sei, dass die Geschichte "konsequent aus der Perspektive Anne Franks erzählt wird". So wirke der Film "weniger wie ein historischer Kostümfilm, sondern eher wie eine überzeugende Coming of Age-Geschichte". Überzeugen kann der Film auch, so die Jury, "weil das hochkarätige, stimmig besetzte Darstellerensemble präzise und inspiriert spielt und weil durch Ausstattung, Szenenbild und die Arbeit der Kamera die klaustrophobische Enge der Räume intensiv vermittelt wird." In ihrer Begründung kommt die Jury zu dem Schluss: "Steinbichler schafft eine künstlerisch überzeugende und zeitgemäße Umsetzung des Stoffes. Weil er ihre Geschichte nicht als eine Geschichtsstunde, sondern als ein bewegendes, menschliches Drama gestaltet, gibt er ihr neben der gerade heute so wichtigen Aufklärung über Antisemitismus und Holocaust noch eine weitere, zugleich universelle und tagesaktuelle Bedeutung." Dafür verleiht die Jury das höchste Prädikat "besonders wertvoll".
Die Komponistin und Künstlerin Sara Najafi lebt in Teheran. Dort sind die Gesetze und Regelungen für Frauen, die auf einer Bühne singen wollen, extrem streng. Denn die Frauenstimme ist im Iran als Solo-Stimme vor Publikum verboten. Trotzdem möchte Sara ein Konzert mit weiblichen Soloparts auf die Beine stellen. In Frankreich bereitet sie mit befreundeten Sängerinnen und Musikern das große Event vor. Doch die iranische Regierung versucht immer wieder, das Projekt doch noch zu verhindern. Schon mit seinem ersten Film FOOTBALL UNDER COVER hat Regisseur Ayat Najafi den Mut iranischer Frauen porträtiert, die sich die Restriktionen der Gesetze und Traditionen nicht mehr gefallen lassen. In seinem neuen Dokumentarfilm NO LAND'S SONG (Start: 10. März) porträtiert Najafi seine Schwester, die stellvertretend für die neue Generation moderner junger Frauen steht, die das Alte hinterfragen und den Mut haben, Neues zu wagen. Die Expertenrunde der FBW vergab einstimmig das Prädikat "besonders wertvoll" und schreibt in ihrem Gutachten: "Der Film ist ein sensibles Plädoyer für Engagement, Kunst, kämpferische Lebensfreude und natürlich Musik. Aber auch für den Widerstand gegen die Mechanismen repressiver Staaten."
Mehr Informationen zu aktuellen und kommenden FBW-Empfehlungen unter www.fbw-filmbewertung.com.
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) zeichnet herausragende Filme mit den Prädikaten wertvoll und besonders wertvoll aus. Über die Auszeichnungen entscheiden unabhängige Jurys mit jeweils fünf Filmexperten aus ganz Deutschland. Die FBW bewertet die Filme innerhalb ihres jeweiligen Genres.
Prädikatsfilme vom 3. bis 10. März 2016
Das Tagebuch der Anne Frank
Spielfilm, Drama. Deutschland 2016.
Anne Frank. Jeder kennt ihren Namen, ihre Geschichte, ihr Schicksal. Und doch hat über all die Jahrzehnte das Tagebuch des jungen Mädchens, dessen zu junges Leben in einem Vernichtungslager der Nationalsozialisten grausam beendet wurde, nichts von seiner Bedeutung und Wichtigkeit verloren. Der Regisseur Hans Steinbichler beginnt seine Verfilmung von Anne Franks Tagebuch in den glücklichen Urlaubstagen der Familie Frank Anfang der 1930er Jahre in den Schweizer Bergen. Es sind schöne malerische Bilder voller Unbeschwertheit, die Steinbichler als starken Kontrast gegen die spätere Tristheit im Versteck setzt. Im Jahr 1934 entschließt sich Otto Frank, mit seiner Frau Edith und seinen zwei Töchtern Anne und Margot, von Frankfurt nach Amsterdam auszuwandern. Dort glaubt sich die Familie in Sicherheit vor der Verfolgung durch die Nazis. Doch 1942, Anne und Margot sind nun Teenager, müssen die Franks sich in einem Hinterhaus verstecken, zusammen mit einer anderen Familie. Der Platz im Haus ist begrenzt, dazu müssen alle mucksmäuschenstill sein, kein Laut darf nach draußen dringen. Dem Film gelingt es auf bedrückende und sehr authentische Weise, diese Enge und Einschränkung der eigenen Bewegungsfreiheit für den Zuschauer nachvollziehbar zu machen. Gerade für die lebenslustige Anne, die von dem Nachwuchstalent Lea van Acken mit einer beeindruckenden Mischung aus einer naiv lebensfrohen Unbeschwertheit eines Kindes und der nachdenklichen Ernsthaftigkeit einer heranwachsenden jungen Frau gespielt wird, eine fast unerträgliche Situation. Von Anfang an jedoch kann sie sich ihrem Tagebuch anvertrauen, in dem sie von allem berichtet. Dem Film gelingt dabei nicht nur eine authentische Darstellung der historischen Ereignisse. Er erzählt auch die Geschichte eines heranwachsenden Mädchens, mit all den Problemen, die im Teenager-Alter eine wichtige Rolle spielen. Die erste Liebe, Konflikte mit den Eltern, die Sorge um eine Zukunft. Die Tagebucheintragungen legen sich immer wieder dramaturgisch geschickt als Erzählerstimme über die Bilder, so sprechen viele Sequenzen für sich, ohne dass zusätzliche Dialoge etwas erklären müssen. Ulrich Noethen und Martina Gedeck überzeugen in ihren Rollen, ebenso wie der Rest des starken Ensembles. Dazu kommt eine akkurate Ausstattung, die an der historischen Genauigkeit keine Minute zweifeln lassen. Am 1. August 1944 schreibt Anne Frank das letzte Mal in ihr Tagebuch, in der Hoffnung, später einmal, nach dem Krieg, Schriftstellerin zu werden. Kurze Zeit später dringen die Nazis in das Versteck im Hinterhaus ein. Die Familie wird nach Auschwitz - und Anne und Margot Frank später nach Bergen-Belsen - deportiert. Als Leser des Tagebuchs verlässt man hier Anne Frank, doch Steinbichlers Film lässt Anne ihre Geschichte zu Ende erzählen. Otto Frank, der als einziger der Bewohner des Hinterhauses überlebte, setzte sich mit der Veröffentlichung des Tagebuchs zum Ziel, dass die Menschen von der Geschichte seiner Tochter erfahren. DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK entspricht diesem Wunsch auf berührende und ehrliche Weise. Ein wichtiger und bewegender Film über ein Schicksal, das bis heute berührt, mahnt und wachrüttelt. Und das heute aktueller denn je ist.
http://www.fbw-filmbewertung.com/film/das_tagebuch_der_anne_frank_1
No Land's Song
Dokumentarfilm. Deutschland, Frankreich 2014. Startdatum: Prädikat besonders wertvoll
Sara Najafi ist eine iranische Komponistin und Künstlerin. Sie lebt in Teheran und weiß, wie scharf die iranischen Gesetze sind, wenn es um Frauen und Gesang geht. Denn die Frauenstimme ist im Iran als Solo-Stimme vor einem rein männlichen bzw. gemischten Publikum verboten. Trotzdem setzt sich Sara ein ehrgeiziges Ziel: Sie möchte ein Konzert auf die Beine stellen, mit ihren eigenen Kompositionen und vor allem mit weiblichen Soloparts. Entschlossen reist sie nach Frankreich, um dort mit befreundeten Sängerinnen und Musikern den Auftritt vorzubereiten. Als die iranische Regierung jedoch immer mehr Steine in den Weg legt, erscheint ein Erfolg des Projekts fast unmöglich. Doch Sara Najafi hat einen Traum. Und sie ist nicht bereit, ihn aufzugeben. Schon mit seinem ersten Film FOOTBALL UNDER COVER hat Regisseur Ayat Najafi den Mut iranischer Frauen porträtiert, die sich die Restriktionen der Gesetze und Traditionen nicht mehr gefallen lassen. Nun folgt er seiner Schwester, die stellvertretend für die neue Generation moderner junger Frauen steht, die das Alte hinterfragen und den Mut haben, Neues zu wagen. Ohne Rücksicht auf die eigene Sicherheit. Es ist dieser Mut und diese Bereitschaft, bis zum Äußersten zu gehen, die in jeder Minute des Films spürbar ist. Ayat Najafi selbst hält sich im Hintergrund, beobachtet das Geschehen, lässt die Protagonisten selbst kommentieren. Atemlos verfolgt der Zuschauer, wie auf jeden kleinen Erfolg zwei Rückschläge folgen, wie die Arbeit von Monaten nur mit einer einzigen Aussage der Regierung zunichte gemacht wird. Doch am Ende siegt der Mut, die Beharrlichkeit und das Engagement aller Beteiligten über die Ressentiments der Gesetzgeber. Konsequent lässt Najafi die Kamera auch laufen, wenn das Filmen verboten ist. Zu sehen sind dann verdeckte Tonaufnahmen, zu hören sind die Worte, die die Absurdität der Oberen entblößt. Dazu erklingen immer wieder wunderschöne Melodien, eine Mischung aus traditionellen Weisen und neuen Kompositionen von Sara und anderen iranischen Künstlerinnen, die in ihrer Kraft und Stärke zu Tränen rühren. Und die zeigen, dass die Musik in ihrer Schönheit ein Geschenk für jeden Menschen ist. Unabhängig von Kultur und Geschlecht. NO LAND'S SONG ist ein spannend gemachter und genauestens beobachtender Dokumentarfilm, der einen Blick auf eine Gesellschaft wirft, wo mutige Frauen jeden Tag um Gleichberechtigung kämpfen müssen. Und das Recht, ihre Stimme zu erheben. Um zu sprechen, um zu protestieren, um zu singen.
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