Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
Tom Hanks im Kino mit Prädikat "besonders wertvoll" für Clint Eastwoods SULLY/Kinostart mit Prädikat auch für MARIE CURIE und DIE HÄNDE MEINER MUTTER
Wiesbaden (ots)
Die Notlandung im Hudson River im Januar 2009 hat den Flugkapitän Chelsey "Sully" Sullenberger berühmt gemacht. Er rettete damit 155 Menschen das Leben und wurde als "Held vom Hudson" gefeiert. Doch während er ein Interview nach dem nächsten gibt, vermehren sich die Vorwürfe durch die ermittelnde Behörde, die ihm fehlerhaftes Verhalten vorwirft. SULLY (Start: 1. Dezember), der neueste Film von Altmeister Clint Eastwood überzeugt als packendes und doch stilles Drama. Die fünfköpfige Expertenrunde der FBW zeichnet den Film mit dem höchsten Prädikat "besonders wertvoll" aus und schreibt in ihrem Gutachten: "Mit diesem Film beweist Eastwood, dass er nicht nur ein großer Routinier seines Fachs ist, sondern viel mehr als gelungene Dramen abzuliefern versteht. Schön, dass der Filmemacher dabei zwar virtuos die Klaviatur der Emotionen zu spielen versteht, dabei aber kaum je der Versuchung erliegt, seinen Film ins allzu Gefühlsselige abgleiten zu lassen. Ein bewegendes Plädoyer für mehr Menschlichkeit."
Marie Noelle-Sehrs MARIE CURIE (Start: 1. Dezember) begleitet die berühmte Wissenschaftlerin über sechs Jahre ihres Lebens. 1903, als Marie und ihr Mann Pierre der Nobelpreis für Physik verliehen wird, scheinen die Curies auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angekommen. Aber Pierre kommt bei einem Unfall ums Leben. Marie muss feststellen, dass eine Frau in der Welt der Wissenschaft nichts zu sagen hat. Dennoch forscht sie weiter und besteht mit überzeugenden Leistungen als Frau in einer Männerwelt. In der Diskussion zeigte sich die Jury begeistert von der Dramaturgie und der Ästhetik des Films. Regisseurin Marie Noelle-Sehr setze, so die Jury, "auf eine angemessene, beinahe altertümlich wirkende Visualisierung. Mit ruhigen, wohltemperierten Szenen beweist sie ein gutes Gespür für die Zeit um die Jahrhundertwende." Auch die Leistung der Hauptdarstellerin Karolina Gruszka hebt die Jury lobend hervor. Sie zeige "eine Marie Curie, die genauso besonnen wie verletzlich wirkt, eine Frau, die nicht für den beruflichen Erfolg an sich steht, sondern für Gleichberechtigung mit den männlichen Kollegen". Die Jury kommt zu dem Schluss: "Ein feinfühliges Porträt über eine frühe Feministin, anspruchsvoll und ehrlich." Sie vergibt das Prädikat "besonders wertvoll".
Markus hat mit Ende dreißig schon viel im Leben erreicht. Eine glückliche Ehe, ein gesunder Sohn, ein geregelter Job. Nur das Verhältnis zu seinen Eltern und Geschwistern ist distanziert. Doch Markus hinterfragt das nicht. Bis eines Tages auf einer Familienfeier etwas passiert und auf einmal alles anders ist. Denn plötzlich kann sich Markus an seine Kindheit erinnern. Und an das, was ihm seine Mutter damals angetan hat. Mit DIE HÄNDE MEINER MUTTER (Start: 1. Dezember) beendet Regisseur und Autor Florian Eichinger seine Filmtrilogie zum Thema Gewalt in der Familie. In ihrer Begründung für das einstimmig vergebene höchste Prädikat "besonders wertvoll" schreibt die Jury der FBW: "Was für ein ausgefeiltes, hervorragendes Drehbuch liegt diesem Film zugrunde! Sorgfältig recherchiert im Thema und dramaturgisch den Spannungsbogen ohne Action und höchst sensibel stetig nach oben treibend. Dass die Mutter als Täterin nicht an den Pranger gestellt wird, ist eine weitere Stärke des Films. Andreas Döhler als Markus und Jessica Schwarz als seine Frau beweisen unter der sicheren Regieführung ihre schauspielerische Klasse. Eine sehr gute Kamera und die Arbeit der Montage gehören zu den weiteren handwerklichen Pluspunkten eines unter die Haut gehenden, in allen Belangen gelungenen und eminent wichtigen Filmwerkes."
Mehr Informationen zu aktuellen und kommenden FBW-Empfehlungen unter www.fbw-filmbewertung.com.
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) zeichnet herausragende Filme mit den Prädikaten wertvoll und besonders wertvoll aus. Über die Auszeichnungen entscheiden unabhängige Jurys mit jeweils fünf Filmexperten aus ganz Deutschland. Die FBW bewertet die Filme innerhalb ihres jeweiligen Genres.
Prädikatsfilme vom 1. Dezember 2016
Sully
Spielfilm, Drama. USA 2016.
Der 15. Januar 2009. US-Airways Flug 1549. Der erfahrene Flugkapitän Chesley Sullenberger, genannt "Sully", und sein Kopilot starten ihren Flug in La Guardia. Minuten später zerstört die Kollision mit einem Vogelschwarm beide Triebwerke. Von der Flugsicherung ertönt die Freigabe für die Rückkehr nach La Guardia. Doch Sully weiß: Dafür ist keine Zeit. Alles was bleibt, ist eine Notwasserung. Und tatsächlich gelingt das Unfassbare. Der Airbus landet auf dem Hudson River, alle 155 Menschen an Bord überleben. Die Flugsicherheitsbehörde hinterfragt jedoch Sullys Entscheidungen, die ihn in den Medien längst zum "Held vom Hudson" gemacht haben. In SULLY erzählt Regisseur Clint Eastwood nicht nur die unglaublich anmutende Geschichte der Notwasserung auf dem Hudson River nach, sondern er porträtiert auch den Helden dieser Geschichte auf sensible, ruhige und kluge Art und Weise. Denn während sich der Hype einer medialen Berichterstattung und die unangenehmer werdenden Nachfragen der Behörde wie ein Unwetter über Sully zusammenziehen, wirkt er selbst zurückhaltend und nachdenklich. Tom Hanks spielt Sully als sich selbst stets hinterfragenden Zweifler, der an Panikattacken und Angstvisionen leidet. Hanks erscheint als Idealbesetzung für Sully: empathisch, dennoch zurückhaltend, ein Mann von nebenan, dem man all die Sorgen und Zweifel abnimmt, die man selbst hätte - und dem man doch von Anfang an vertraut. Die Bilddramaturgie von Tom Sterns Kamera ist exakt und in jedem Bild perfekt durchkomponiert. Auch die Dialoge sind auf den Punkt und in ihrer Reduzierung effizient. Die Höhepunkte des Films sind die Verhöre, in denen, einem Gerichtsfilm ähnlich, Sully seine getroffenen Entscheidungen untermauern kann, und die Notwasserung selbst. Immer wieder eröffnet Eastwood neue Aspekte, wechselt in der Perspektive vom Cockpit zum Passagierraum und zurück. Die Genauigkeit der Rekonstruktion der Ereignisse zeigt die meisterhafte Leistung von Schauspiel, Regie, dem Special-Effects-Department und der Recherche. SULLY ist ein stilles und doch packendes Drama über Heldentum, Verantwortung, Schuld und Mut, das bewusst macht, eines nie zu vergessen: den menschlichen Faktor.
http://www.fbw-filmbewertung.com/film/sully
Marie Curie
Drama, Spielfilm. Deutschland, Frankreich, Polen 2016.
1903 wird Marie Curie als erster Frau, zusammen mit ihrem Ehemann Pierre, der Nobelpreis für Physik verliehen. Doch lange soll das Glück der zweifachen Mutter nicht anhalten. Kurz darauf kommt Pierre bei einem Unfall ums Leben. Trotz diesem tragischen Schicksalsschlag setzt sie ihre Arbeit fort und versucht sich in der von Männern dominierten Arbeitswelt durchzusetzen. Auch wenn sie eine neue Liebe in ihrem verheirateten Arbeitskollegen Paul Langevin findet, werden ihr weitere Stolpersteine in den Weg gelegt. Denn Langevins Ehefrau erfährt von der Affäre und schaltet die Pariser Presse ein, deren Berichterstattung Curies beruflichem und privatem Leben schadet. Regisseurin Marie Noelle wirft mit MARIE CURIE einen sehr intimen Blick auf das beeindruckende Leben der Wissenschaftlerin und wählt den Zeitraum zwischen der Verleihung des ersten und des zweiten Nobelpreises im Jahr 1911. In einzelnen Schlüsselmomenten schafft es Noelle gekonnt, eine starke und zielstrebige Frau zwischen harter, diskriminierender Arbeitswelt und leidenschaftlichem Liebesleben zu porträtieren. Gleichzeitig wird sie auch als liebevolle Mutter dargestellt, die sich um die Erziehung ihrer Kinder sorgt und als verantwortungsvolle Wissenschaftlerin, die immer wieder betont, wie wichtig es ist, dass der Missbrauch ihrer Arbeit mit allen Mitteln verhindert werden soll. Zu verdanken ist die Komplexität der Figur auch Karolina Gruszka, die mit ihrem Schauspiel diesen Konflikt hervorragend darstellt. Durch die Diskriminierung, die die Protagonistin von ihren männlichen Kollegen erfährt, vermittelt der Film auch eine feministische Botschaft und verleiht ihm auch heute noch Aktualität. Dank verschiedener ästhetischer Mittel wie Weichzeichner und geringer Schärfentiefe erhält der Film seinen individuellen Stil und die wunderschön in Szene gesetzten Bilder sorgen für eine zusätzliche Faszination. Mit MARIE CURIE ist Marie Noelle ein würdiges Porträt einer der wichtigsten weiblichen Wissenschaftlerinnen gelungen, die die Welt der Physik und Chemie nachhaltig und weitreichend beeinflusst hat. Und wenn man im Abspann sieht, wie Marie Curie durch das zeitgenössische Frankreich spaziert, dann spürt man, dass ein Mensch wie sie nie in Vergessenheit geraten darf.
http://www.fbw-filmbewertung.com/film/marie_curie
Die Hände meiner Mutter
Spielfilm, Drama. Deutschland 2016.
Markus ist Ende dreißig, glücklich verheiratet, ein geregelter Job, ein gesunder Sohn. Nur das Verhältnis zu seinen Eltern und Geschwistern ist distanziert, man sieht und besucht sich kaum. Warum das so ist, weiß Markus selbst nicht so genau. Als dann aber sein Sohn auf einer Geburtstagsfeier nach einem Toilettenbesuch mit seiner Oma eine kleine Wunde an der Stirn hat, ist es plötzlich, als hätte sich ein Schalter umgelegt. Denn auf einmal erinnert sich Markus. An seine Kindheit. An die nächtlichen Besuche seiner Mutter in seinem Zimmer. Und an das, was seine Mutter dort mit ihm tat. Als Kind hat er das nicht verstanden. Er hat sich nur geschämt und gewusst, dass es falsch ist. Und er hat es verdrängt. Nun, als Erwachsener, muss er sich der Vergangenheit stellen. Markus Frau Monika will ihm helfen, doch weiß nicht wie. Markus Eltern wiederum wollen "von früher" nichts wissen. Sie verdrängen weiterhin und halten so eine Mauer des Schweigens aufrecht, die sich durch die gesamte Familie zieht. Mit DIE HÄNDE MEINER MUTTER beendet Regisseur und Autor Florian Eichinger seine Filmtrilogie zum Thema Gewalt in der Familie und überzeugt auf allen Ebenen, sowohl formal als auch emotional. Um dem Zuschauer die schockierenden Details des Missbrauchs durch die Mutter zu vermitteln, ohne ihn zu überfordern, wählt Eichinger dabei ein besonderes Stilmittel: Er lässt Markus die Szenen der Erinnerung als sein erwachsenes Ich durchleben. Andreas Döhler leistet hier Großes. Im Hier und Jetzt spielt er gebrochen, verzweifelt, doch mit erwachsener Reife. Doch wenn er in seine Erinnerungen zurückkehrt, dann wandelt sich auch sein Spiel. Naiv wird es, jung, verängstigt, unschuldig. Döhler offenbart in seinem Spiel eine kindliche Seele - und genau dieses Spiel macht dem Zuschauer das Entsetzliche der Tat bewusst. Auch Jessica Schwarz als Monika, Heinz Pinkowski als Gerhard und Katrin Pollitt als Markus Mutter überzeugen in jeder Minute. Der Film urteilt niemals lapidar über die Mutter als Täterin und den Vater als Mitwisser, sondern zeigt, wie schwierig es ist, mit einem solchen Thema umzugehen. Für den Film sind alle Mitglieder der Familie Opfer der Tat, der Umstände, ihres Wesens. Die Dramaturgie des Films ist klar, die Erinnerungen bauen sich organisch in die Handlung ein, die Dialoge sind gestochen scharf, viele Szenen leben jedoch auch von stummen Blickwechseln, von inneren Kämpfen, die ohne Worte auskommen. Die Gespräche mit Therapeuten und der undramatische Umgang mit der Problematik schaffen Authentizität, lassen dabei aber nie die Emotionen auf der Strecke. DIE HÄNDE MEINER MUTTER ist eine überzeugende, beeindruckende und tief bewegende Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema. Ein wichtiger, kluger und reflektierter Film, der Mut machen kann, über solch ein Thema zu reden. Denn das Schlimmste, was man tun kann, ist schweigen.
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