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VDE Verb. der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik

Ist die Stromversorgung in Deutschland gesichert? VDE: keine akute Gefahr, aber steigendes Risiko
Handlungsbedarf für tragfähige Energiestrategie wächst

Frankfurt (ots)

Wie sicher ist die Stromversorgung in
Deutschland? Diese Frage wird nach dem Zusammenbruch des Stromnetzes
in acht Bundesstaaten der USA und im Osten Kanadas sowie dem jüngsten
Stromausfall in Italien immer häufiger gestellt. Sie wird allerdings
nicht immer so differenziert beantwortet, wie es aus VDE-Sicht nötig
wäre. Denn einerseits besteht angesichts der guten Substanz der
Stromnetze und der Sicherheitsphilosophie in Deutschland kein Grund
zur Panikmache. Andererseits sollten nach Ansicht der VDE-Experten
die Stromausfälle zum Anlass genommen werden, eine langfristig
tragfähige Energiestrategie zu entwickeln. Wenn nämlich Energiemix
und Netzstrukturen nicht bald auf die Herausforderungen der Zukunft
eingestellt werden, könnte die Zuverlässigkeit des Stromnetzes in den
nächsten 20 Jahren erheblich sinken.
Informationsverarbeitung Hauptursache des Blackouts in den USA?
Nach VDE-Analysen wurde der Blackout durch das Zusammentreffen
zweier dauerhafter Kraftwerksausfälle und eines durch Buschfeuer
verursachten Leitungsausfälle ausgelöst. Die Leitungsausfälle führten
zu Netzüberlastungen, Kurzschlüssen und einer Kaskade von Ausfällen.
Die Spannung sank ab, die üblichen Transitrouten wurden unterbrochen
und schließlich bestanden nur noch Inselnetzbildungen mit
unausgeglichener Leistungsbilanz.
Die Hauptursache für den Blackout war jedoch eine andere: Einige
Ausfälle wurden den Netzleitstellen nicht mitgeteilt. Da der
kritische Netzzustand nicht wahrgenommen wurde, gab es auch keine
rechtzeitige Reaktion auf die entstehenden Überlastungen. Als
Erklärung dafür kommen ein Versagen der Schutz- und Leittechnik und
konzeptionelle Probleme in der Informationsverarbeitung in Frage.
Tatsache ist, dass in den USA sowohl eine Vielzahl alter
elektromechanischer Relais unterschiedlicher Hersteller und
Schutzgenerationen im Einsatz sind, als auch auf die üblichen
Sicherheitsmechanismen in den Kommunikationsdiensten (z.B. nach der
internationalen Norm IEC 61850) meist verzichtet wird. Darüber hinaus
hätte nach Einschätzung der VDE-Experten eine lokale
Blindleistungssteuerung das Problem der  Netzüberlastung mindern
können. Die genaue Rekonstruktion der Ereignisse bleibt allerdings
schwierig, da die Berichte der betroffenen Netzbetreiber nicht
konsistent sind.
Blackout wie in den USA in Deutschland unwahrscheinlich
Die VDE-Experten weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass
großflächige Stromausfälle zwar auch in Deutschland nicht generell
ausgeschlossen, aber doch sehr viel unwahrscheinlicher sind als in
den USA. Dies liegt vor allem an der deutschen Sicherheitsphilosophie
im Hinblick auf Netzkonfiguration, Schaltanlagen-Design, Schutz- und
Leittechnik sowie Lastabwurf und Regelleistung. So ist die
Netzkonfiguration - anders als in den USA - durch eine homogene
Verteilung von Last und Erzeugung sowie ein dichtes Übertragungsnetz
mit relativ kurzen Leitungslängen (Deutschland normalerweise unter
100 km, maximal 300 km, USA normalerweise mehrere 100 km, maximal
1500 km) charakterisiert.
Auch in der Schutz- und Leittechnik zeigen sich erhebliche
Unterschiede. Die Schutzausrüstung hat einen deutlich höheren
Standard, und der Informationsaustausch erfolgt über sichere
Verbindungen (und nicht über das Internet). Während in Deutschland
beispielsweise bei Ersatz eine Komplettumrüstung auf digitale Technik
erfolgt und hohe Sicherheitsstandards angewandt werden, wird in den
USA oft mit veralteter Technik auf einem niedrigeren
Sicherheitsniveau gearbeitet. Beim Schaltanlagen-Design setzt
Deutschland im Stromverbund UCTE auf Mehrfachsammelschienenanlagen
bis Dreifachsammelschiene. Diese sind zwar nicht so billig wie die in
Nordamerika verwendeten Polygonschaltungen, aber flexibler und
zuverlässiger. Ähnlich positiv für Deutschland fällt der Vergleich
beim Lastabwurf und bei der Regelleistung aus.
Italien-Szenario näher an deutscher Energieproblematik
Die Ereignisse in den USA sind also geografisch und sachlich
relativ weit entfernt von der deutschen Energieproblematik. Anders
verhält es sich bei dem Stromausfall in Italien am 28. September
2003, von dem 57 Mio. Menschen betroffen waren. Italien ist wie
Deutschland Teil des europäischen Stromverbunds UCTE, ist aber
gegenwärtig schon mit größeren Strukturproblemen konfrontiert, die
bei energiepolitischer Fahrlässigkeit auch auf Deutschland zukommen
könnten: zu geringe Erzeugung im eigenen Land, hohe
Importabhängigkeit, häufige Netzauslastung bis an die äußerste
Grenze, zu wenig Investitionen in Erzeugung und Netze.
Am 28. September führte nach bisherigen Erkenntnissen der Ausfall
einer 380 kV-Übertragungsleitung in der Schweiz und durch
anschließende Überlastung Ausfälle weiterer Übertragungsleitungen zu
einem Importausfall in Höhe von mehr als 6.000 MW. Das hieraus
entstehende Leistungsdefizit führte zum Netzzusammenbruch in Italien.
Um die Frequenz im europäischen UCTE-Verbund stabil zu halten, musste
die Leistung von Kraftwerken reduziert und teilweise
Pumpspeicher-Kraftwerke angefahren werden.
Risiken für deutsches Stromversorgungssystem steigen
In gewisser Weise war Deutschland als UCTE-Verbundmitglied bereits
betroffen. Bedenklicher ist aber, dass Deutschland momentan auf ein
ähnliches Szenario wie Italien zusteuert, wenngleich zum Teil aus
anderen Gründen. Deutschland ist noch weitestgehend von einer
verbrauchsnahen Stromerzeugung geprägt. Aber durch die großflächige
Nutzung der Windkraft im Norden, die Stillegung von Kraftwerken und
durch immer mehr Horizontaltransite im liberalisierten Energiemarkt
findet zurzeit eine Verschiebung statt. Die Netzstabilität ist zwar
gegenwärtig noch nicht gefährdet. Die Energietechniker im VDE weisen
jedoch darauf hin, dass Deutschlands Netze nicht für Stromtransite
über große Entfernungen konzipiert und geeignet sind.
Auch im Bereich Regelleistung können sich nach Ansicht des VDE
Probleme auftun. Durch den wachsenden Anteil der schwankungsstarken
Windleistung steigen die Anforderungen an die Regelfähigkeit der
Kraftwerke, an die Spannungshaltung und an die lastnahe
Blindleistungsbereitstellung. Diese wird sich regional zusätzlich
durch die erwähnten horizontalen Transite erhöhen.
Perspektivisch ist die Versorgungszuverlässigkeit aus VDE-Sicht
deshalb in Gefahr, und zwar aus technischen, wirtschaftlichen und
politischen Gründen. Ähnlich wie in den USA findet auf dem deutschen
und europäischen Strommarkt ein harter Preiswettbewerb statt. Unter
dem Druck, Strom zu niedrigen Preisen anzubieten, werden
Investitionen zurückgestellt, Betriebszeiten von Anlagen verlängert
und die Aufwendungen in Instandhaltungsmaßnahmen zurückgefahren.
Darüber hinaus nehmen die Anlagenauslastung und der Energiehandel zu,
während Netze verschlankt, Netzreserven abgebaut und
Erzeugungsreserven minimiert werden. Weiter können sich der Verlust
von Fachwissen und der sich abzeichnende Nachwuchsmangel negativ
auswirken.
Bisher verhinderte die gute Substanz der deutschen Stromnetze
einen spürbaren Qualitätsverlust bei der Stromversorgung. Angesichts
der Hitze und niedrigen Flusswasser-Pegelstände der vergangenen
Wochen konnten jedoch regional und zeitlich begrenzte
Stromabschaltung auch in Deutschland nicht mehr ausgeschlossen
werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob auch in
einer wirklichen Notsituation noch genügend Kraftwerkreserven zur
Verfügung stünden - zumal dann, wenn mehrere der genannten
Risikofaktoren ungünstig zusammenwirken.
Energiestrategie für zukunftsfähigen Energiemix
Die Zuverlässigkeit der deutschen Stromversorgung wird auch durch
drohende Leistungsdefizite in Frage gestellt. So ist geplant,
zwischen 2004 und 2021 alle Kernkraftwerke stillzulegen sowie die
Kohleverstromung zu reduzieren. Das damit entstehende
Leistungsdefizit soll durch Erneuerbare Energien kompensiert werden.
Dies stellt eine enorme technische und finanzielle Herausforderung
dar. Denn um die dezentrale Energieeinspeisung im allgemeinen sowie
die Übertragung von Windenergie von Nord nach Süd im besonderen
erhöhen zu können, sind - wie bereits angesprochen - erhebliche
Netzausbauten mit komplizierten Genehmigungsverfahren nötig.
Darüber hinaus betragen die genannten Leistungsschwankungen der
Windenergie-Einspeisung bis zu 100%, so dass erhebliche Regelleistung
durch konventionelle Kraftwerke bereitgestellt werden muss. Diese
Kraftwerke stehen aber nach der bisherigen Zurückhaltung in den
Planungen für das Energieszenario 2020 nicht termingerecht zur
Verfügung. Denn der Ersatzbedarf bis 2020 betrifft die Hälfte aller
Kraftwerke und beläuft sich auf etwa 40.000 MW. Der VDE weist deshalb
darauf hin, dass auch in Zukunft ein Energiemix aus Kohle, Gas,
Kernkraft und regenerativen Energien gesichert und eine langfristig
tragende Energiestrategie entwickelt werden muss.
VDE-Task Force eingerichtet
Nach Meinung des VDE müssen die Stromausfälle in Nordamerika,
England, Südschweden und Dänemark sowie in Italien gründlich
analysiert werden. Auf dieser Basis gilt es, Schlussfolgerungen für
das deutsche Stromversorgungssystem zu erarbeiten. Zu diesem Zweck
hat die Energietechnische Gesellschaft im VDE eine Task Force
eingerichtet. Sie arbeitet nach ihrer 1. Sitzung Ende September an
einem Bericht über die Stromausfälle, der im November der
Öffentlichkeit vorgestellt und in Berlin mit Vertretern aus der
Politik diskutiert werden soll.
Wie auch immer die Ergebnisse der Analysen im Detail aussehen
mögen: Bereits die bekannten Fakten zeigen klar, dass die deutsche
Stromversorgung gründlich auf den Prüfstand gestellt werden muss.
Darüber hinaus ist es dringend erforderlich, ein zukunftsfähiges
Konzept für die Energieversorgung in den nächsten Jahrzehnten zu
entwickeln und die dafür nötigen Investition zu tätigen.

Pressekontakt:

Ursula Gluske-Tibud
Pressereferentin

VDE Verband der Elektrotechnik
Elektronik Informationstechnik e.V.
Stresemannallee 15
60596 Frankfurt am Main
Tel. 069 6308218
Fax 069 96315215
E-Mail pr.gluske-tibud@vde.com
Internet www.vde.com

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