"Desinteresse, Gleichgültigkeit, Gefühlskälte" - Ehemalige Odenwaldschüler erheben schwere Vorwürfe gegen Eltern
Hamburg (ots)
Im Skandal um den jahrelangen Missbrauch an der Odenwaldschule haben zwei ehemalige Schüler schwere Vorwürfe gegen einen Teil der Eltern erhoben. Der Journalist Johannes von Dohnanyi, 58, schreibt in der ZEIT, manche Eltern seien "durch ihr Desinteresse, ihre Gleichgültigkeit, ihren Egoismus und ihre Gefühlskälte zu Mit-Schuldigen, ja sogar Mit-Tätern" geworden. "Das Extrem ihres Versagens steht Pars pro Toto für die Mängel und Verfehlungen einer ganzen Elterngeneration." Dohnanyi war von 1967 bis 1971 Schüler an der Odenwaldschule; sein Vater ist der frühere Bundesbildungsminister und Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi.
Der Journalist zitiert aus einer Reihe von E-Mails ehemaliger Schüler, die die Verhältnisse in ihren Elternhäusern beschreiben. In der Mail eines Missbrauchsopfers heißt es: "Ohne die Gefühlskälte und die Gleichgültigkeit unserer Eltern wäre all dies nicht möglich gewesen." Johannes von Dohnanyi sieht in den familiären Verhältnissen eine Erklärung dafür, warum Schüler sich nicht gegen die sexuellen Übergriffe von Lehrern gewehrt haben: "Für viele (...) Opfer war es die erste Erfahrung von Zuwendung und menschlicher Nähe überhaupt." Noch heute, schreibt Dohnanyi, reagierten viele Eltern "eiskalt. Wer sich habe anfassen lassen, sei selbst schuld gewesen - so lautet eine typische Antwort." Er selbst sei nicht missbraucht worden.
Ein weiterer ehemaliger Odenwaldschüler, Alexander Drescher, wirft seinen Eltern vor, sie hätten gewusst, dass er Anfang der 70er Jahre von dem damaligen Musiklehrer Wolfgang H. missbraucht worden sei. Dennoch hätten sie geschwiegen. "Mein Vater muss ihn (den Musiklehrer, die Red.) sofort durchschaut haben", sagte Drescher der ZEIT. "Er kannte so viele Homosexuelle. Und er nahm das, was er sah, wohl mit Wohlgefallen auf." Auch seine Mutter habe sich den Nöten ihres Sohnes verschlossen und erst jetzt in einem Brief um Entschuldigung gebeten.
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