Volkswagen-Konzerchef Ferdinand Piëch im ZEIT-Interview: "Dinosaurier haben Zukunft: in einem Kapitalverbund"
Hamburg (ots)
Der Volkswagen-Konzernchef Piëch denkt an eine Zusammenarbeit mit einem überseeischen Partner im Kapitalverbund. Im Interview mit der Wochenzeitung DIE ZEIT sagt Piëch: "Das kann ich mir sehr wohl vorstellen, aber mit zwei Zentralen, zwei individuell auf ihr Marktgebiet ausgerichteten Unternehmen." Denn die größten Automobilkonzerne - Piëch nennt sie "Dinosaurier" - hätten nur eine Chance, wenn sie die vier großen Wirtschaftsregionen Asien, Europa, Nordamerika und Südamerika "nicht von einem Zentrum aus regieren". Deshalb: "Dinosaurier haben Zukunft: in einem Kapitalverbund mit klarer regionaler Aufgaben- und Arbeitsteilung". Ein Plädoyer für eine föderalistische Führung: "Mein Audi-Chef hat große Freiheit, solange er schöne schwarze Zahlen schreibt."
Piëch hat den Konzern auf Vordermann gebracht, doch die Börse honoriert das nicht. Piëch: "Sie hat es lieber, wenn man 30.000 Leute entlässt. Sie meint, Rationalisierung gehe zwangsläufig mit Entlassungen einher. Doch bei 30.000 Entlassungen hätten wir 30.000 Kunden verloren. In Wolfsburg und Umgebung wäre jeder Dritte arbeitslos geworden." Piëch weiter: "'Wo zuviele Menschen sind, müssen welche weg' - das ist eine verkürzte Sicht! Denn in diesem Kreislauf muss das Sozialsystem viele Leute auffangen. Wir als Volkswagen-Konzern sind groß genug für einen eigenen Kreislauf." Auf seine damalige Entscheidung angesprochen, als Audi-Chef 4.000 Leute zu entlassen, antwortet Piëch: "Eine bittere Erfahrung. ... So etwas macht man einmal im Leben, danach sucht man andere Wege".
Dennoch gehört der Aktienkurs für Piëch "in der Priorität ganz weit nach oben". "Wir müssen ihn in Ordnung bringen. Doch zu diesem Zweck dürfen wir gewiss nicht Volkswagen als Übernahmekandidaten darstellen - dann ginge es nämlich schnell nach oben."
Um größere Transparenz zu erlangen, wird Volkswagen nach dem International Accounting System IAS bilanzieren. "Die Anleger werden überrascht sein, dass wir viel mehr wert sind, als sie meinten." Aber: "Es ist ein Seilakt, Aktionären klarzumachen, dass die Langfristsicherung eines Unternehmens Geld kostet. Mit dem neuen Bilanzierungssystem wird es aus prinzipiellen Gründen ein stärkeres Auf und Ab der Gewinne geben."
Über den umstrittenen Rationalisierer José Ignacio López, der 1996 aus dem Vorstand des Volkswagen-Konzens ausschied, sagt Piëch: "López war der Wildeste - nicht der Effektivste." Der Spanier habe zu sehr seine Landsleute bevorzugt. Über sich selbst sagt Piëch: "Ich bin Mitteleuropäer: nicht national geprägt."
In Sachen Flexibilität sollten wir "von der New Economy lernen", meint Piëch. Wichtig sei ein besserer Service: "Wir lernen, sind aber in Sachen Kundenbehandlung noch weit vom Ziel".
Piëchs Vertrag läuft 2002 aus. Bleiben will er "sicher nicht". "Die Mitarbeiter sollen sich auf eine Nachfolge einstellen können. Frisches Blut tut wieder gut." Auf die Frage nach möglichen Nachfolgern antwortet er: "Da gibt es intern wie extern Selbsternannte und Denkbare - im Moment zu viele. Aber sobald der Nachfolger feststeht, ist der alte König tot, mausetot: Er ist nicht nur eine lahme Ente, sondern er hat Glück, wenn er noch gegrüßt wird." Ob er das "hehre Ziel", Vorsitzender des Aufsichtsrates zu werden, erreichen könne, weiß er nicht: "Das müssen die Aktionäre wollen."
Piëch freut sich nach seinem Ausscheiden erst einmal auf eine Weltumseglung mit seiner Frau: "Die wird nicht seekrank. Das ist der Vorteil: Einer muss ja das Kommando behalten."
Diese PRESSE-Vorabmeldung aus der ZEIT Nr. 39/2000 mit Erstverkaufstag am Donnerstag, 21. September 2000 ist unter Quellen-Nennung DIE ZEIT zur Veröffentlichung frei. Der Wortlaut des ZEIT-Textes kann angefordert werden.
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