Operation Löschtaste
Verfahren gegen ZEIT-Redakteure
Hamburg (ots)
Sehr geehrte Kollegen,
am 20. Juli 2000 hat DIE ZEIT einen Artikel unter dem Titel "Operation Löschtaste" veröffentlicht. Er beschrieb minutiös die Vernichtung, Verschredderung und Beseitigung gewaltiger elektronischer Datenmengen und Aktenbeständen aus dem Kanzleramt Helmut Kohls kurz vor der Regierungsübernahme Gerhard Schröders. Mit krimineller Energie wurden brisante Dokumente entfernt, die womöglich unlautere Geschäfte offenbart hätten. Keiner der verantwortlichen Beamten oder Politiker musste sich bisher einem Richter verantworten. Eine Anklage wurde noch nicht erhoben.
Heute nun hat das Amtsgericht Hamburg drei von der Staatsanwaltschaft angeklagte ZEIT-Redakteure, Thomas Kleine-Brockhoff, Martin Klingst und Bruno Schirra, mit Strafvorbehalt verwarnt und ihnen auferlegt, je 6000 Mark an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen. Der Strafrichter meinte, es sei nicht die Sache des Amtsgerichts, sich der Anklage und der Verteidigung mit dem Aufwand zu widmen, den eine große Strafkammer treiben könne. Das heißt offensichtlich, dass der Richter keine Zeit hatte für einen aufwendigen Prozess der Wahrheitsfindung. Dieses Vorgehen bezeichnete er als "pragmatisch". Die drei Redakteure hätten den Tatbestand des Paragraphen § 353d Zif 3 des Strafgesetzbuches erfüllt und auch rechtswidrig gehandelt. Warum, war der mündlichen Urteilsbegründung nicht zu entnehmen.
Johann Schwenn, Verteiger der ZEIT-Redakteure: "Die Angeklagten hätten freigesprochen werden müssen. Sie haben weder einen Straftatbestand erfüllt noch haben sie rechtswidrig gehandelt. Was sie getan haben, ist die Pflicht der Presse. Das Urteil wird nicht das letzte Wort bleiben."
Die ZEIT wird in Berufung gehen. Nach unserem Verständnis kann ein Gesetz, das bisher in keinem einzigen Fall zu einem rechtskräftigen Urteil geführt hat, der Aufgabe der Presse nicht im Wege stehen, nach Artikel 5 des Grundgesetzes, das Recht der Bürger auf Information zu wahrzunehmen. Es ist ein kleines Maulkorbgesetz, das in diesem Falle dazu dienen würde, einen der größten politischen Skandale der Bundesrepublik im Dunkeln zu lassen.
Hintergrund:
In der Hauptverhandlung ging es um die Löschung von drei Gigabyte Daten sowie die Beseitigung wichtiger Akten über den CDU-Finanzskandal aus dem Bonner Kanzleramt vor dem Regierungswechsel 1998. Angeklagt sind aber nicht die damals Verantwortlichen aus Helmut Kohls Kanzleramt. Der Vorwurf lautet auch nicht Verwahrungsbruch. Angeklagt sind drei ZEIT-Redakteure, die unbestritten wahrheitsgemäß über diesen Staatsskandal berichtet haben. Ihnen wird nun von der Staatsanwaltschaft Hamburg vorgeworfen, in einem ihrer Artikel "amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens und eines Disziplinarverfahrens in wesentlichen Teilen im Wortlaut" noch vor der öffentlichen Verhandlung zitiert zu haben. Dies sei nach § 353d StGB strafbar.
Weiterere Informationen: Verena Schröder Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Tel.: 040/3280-303, Fax: 040/3280-558 e-mail: schroeder@zeit.de
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