Christoph Daum rechnet mit Rückkehr in die Fußball-Bundesliga
Hamburg (ots)
Christoph Daum rechnet fest mit seiner Rückkehr in die Fußball-Bundesliga. Nach dem Ende des Koblenzer Kokain-Prozesses in der vergangenen Woche sagt der 48 Jahre alte Fußballtrainer der ZEIT: "Auf jeden Fall geht es irgendwann zurück nach Deutschland." Momentan lägen ihm allerdings nur Angebote aus der zweiten Liga vor, daher favorisiere er als Trainer ein Engagement im Ausland. Daum, für den sich eigenen Angaben zufolge Vereine aus Europas Spitzenligen (Italien, Spanien und England) interessieren, sagt, er glaube, "dass eine Aufgabe im Ausland für den deutschen Fußball vielleicht bedeutsamer sein wird, als wenn ich eine sicherlich auch wertvolle Arbeit bei einem Zweitligisten mache". Seinen Frieden werde er aber erst mit der Rückkehr in die Bundesliga finden. Auch den Posten des Bundestrainers hält er nicht für gänzlich unerreichbar. So sagt Daum, angesprochen auf mögliche Ambitionen auf das Amt des Nationaltrainers, er halte "die Klappe" und sage nur: "Den Rest entscheiden andere." Allerdings: "Dort, wo ich arbeite, ist der Erfolg garantiert."
Daum war im Herbst 2000 so tief gestürzt wie kaum ein anderer deutscher Prominenter: Gerade war der ebenso erfolgreiche wie egozentrische Trainer von Bayer 04 Leverkusen zum künftigen Bundestrainer erkoren worden, da machten alte Kokain-Gerüchte wieder die Runde. Daum stritt zunächst alles ab und sprach von einem "absolut reinen Gewissen", floh nach einer ihn belastenden Haarprobe allerdings nach Florida. Ab Mai 2001 stellte er sich dem Prozess vor dem Landgericht Koblenz, bei dem er, so Daum zur ZEIT, "gevierteilt, geteert, gefedert" werden sollte,. Am Montag vergangener Woche wurde Daum von den Vorwürfen des Rauschgifterwerbs und der Anstiftung zum Drogenhandel freigesprochen. "Die Freude ging um den Globus", sagte Daum zu den Reaktionen auf das Ende des Prozesses. Leverkusens Manager Reiner Calmund und dessen Münchner Kollege Uli Hoeneß - die während der Kokain-Affäre auf Abstand zu Daum gegangen waren - hätten sich indes noch nicht bei ihm gemeldet.
Ob mit dem juristischen Freispruch auch die Öffentlichkeit ein positives Urteil über ihn fällen werde, vermochte Daum im Interview mit der ZEIT nicht zu beurteilen: "Warten wir ab, ob diese Gesellschaft wirklich verzeihen kann." Sich selbst habe er vorgenommen, ein anderes Leben zu führen: "Lügen in Bezug auf die eigene Person, das sollte ich nicht wieder tun. Wichtig ist, dass ich es überhaupt nicht mehr nötig habe zu lügen. Ich will alles dafür tun, nie wieder in eine solche Situation zu kommen."
Ein ZEIT-Gespräch mit Christoph Daum über die Langlebigkeit von Vorurteilen und über die Suche nach der richtigen Dosis Selbstbewusstsein
Vom Ende her betrachtet, mutet der Anfang der Affäre skurril an: Als der Fußballtrainer Christoph Daum in der vergangenen Woche vom Landgericht Koblenz von den Vorwürfen des Rauschgifterwerbs und der Anstiftung zum Drogenhandel freigesprochen wurde, als auch das Verfahren wegen illegalen Drogenbesitzes in zwölf Fällen gegen eine Zahlung von 10 000 Euro eingestellt wurde - da war fast vergessen, mit welchem Getöse Daum keine zwei Jahre zuvor so tief gestürzt war wie kaum ein deutscher Prominenter: Gerade noch war der ebenso erfolgreiche wie exzentrische Coach des Bundesligisten Bayer Leverkusen zum künftigen Bundestrainer erkoren worden, schon machten alte Kokain-Gerüchte wieder die Runde. Daum stritt zunächst alles ab und sprach von einem "absolut reinem Gewissen". Doch nach einer ihn belastenden Haarprobe floh er wie ein Schwerverbrecher ins Ausland und versteckte sich für einige Monate in Florida. Derweil spielte das ganze Land verrückt: Illustrierte überboten sich mit Titelthemen zur koksenden Gesellschaft, der Berliner Bischof Wolfang Huber räsonierte über Daum als "Ebenbild der Erlebnisgesellschaft", besonders eifrige Reporter wollten gar Kokain auf den Toiletten des Bundestags gefunden haben.
Im Januar 2001 kehrte Daum schließlich nach Deutschland zurück und stellte sich ab Mai im Koblenzer Prozess, parallel arbeitete der Berufspendler als Trainer des türkischen Erstligisten Besiktas Istanbul. Von Prozesstag zu Prozesstag verlor die Öffentlichkeit allerdings mehr und mehr das Interesse an dem Fall - so stand das Echo auf den Freispruch in keinem Verhältnis zum anfänglichen Rummel. Eher unbeobachtet auch gab Daum vorige Woche als Trainer bei Besiktas auf.
Wie kann es weitergehen nach diesen zwei Jahren? Welchen Wert hat ein Freispruch, wenn der nicht auch von Vorurteilen befreit? Fragen an einen Menschen, der gerne wieder das wäre, was er vor der Affäre war: ein Fußballtrainer.
Herr Daum, kommen Sie: Wer hat alles angerufen, um Ihnen zum gewonnenen Prozess zu gratulieren?
Hier gab's nichts zu gewinnen, der Prozess wurde beendet. Die Anrufliste kann ich trotzdem nicht wiedergeben. Wir haben drei Apparate zu Hause, auf zweien habe ich oft Stereo telefoniert, und am dritten hat meine Lebensgefährtin die Glückwünsche entgegengenommen. Ich habe am Anfang eine Liste erstellen wollen, ich habe gedacht: Schreib die Namen auf, dann kannst du dich später für die Glückwünsche bedanken. Aber bei 120 Namen habe ich dann aufgehört. Da kamen Anrufe aus Florida und Südafrika und Südamerika, die Freude ging wirklich um den Globus.
Wir hatten eher an naheliegendere Personen gedacht, an Reiner Calmund etwa, den Manager von Bayer 04 Leverkusen, an Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß. An Personen also, die Ihnen vor und während des Prozesses nicht so wohlgesinnt waren.
Herr Calm hat nicht angerufen und Herr Hoeneß auch nicht.
Werden Sie sich melden? Wird es Aussprachen geben?
Um zu triumphieren? Meinen Sie, ich hätte dann noch irgendeine Chance, in dieser Gesellschaft wieder Fuß zu fassen? Ach, lassen wir das, lassen wir die Vergangenheit. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe Fehler gemacht. Ich habe Kokain konsumiert, ich habe öffentlich gelogen. Ich hatte Zeit nachzudenken.
Kein Drang zur Abrechnung?
Ich bin zu einer Aufarbeitung noch gar nicht fähig und weiß auch nicht, ob ich es jemals will. Mich noch einmal in die ganze Angelegenheit rein zu begeben - das würde vielleicht Hass schüren oder Rachegelüste, und das will ich nicht. Sie wissen, ich habe während des Prozesses viel mitgeschrieben ...
... in Ihrer inzwischen sattsam bekannten lila Kladde ...
... das sind 184 handschriftliche Seiten, dazu noch Notizen und Hinweise meiner Anwälte, alles in allem 16 DIN-A4-Ordner. Da sind Dokumente der Zeitgeschichte. Die kommen jetzt in einen Kasten rein und dann ein dickes Schloss davor.
Und dann? Wie geht es weiter im Leben?
Liegt das allein in meiner Kraft? Warten wir ab, ob diese Gesellschaft wirklich verzeihen kann.
Ihr Lieblingsautor ist eher skeptisch: "In der Realität können wir einen Fehler, der stattgefunden hat, zwar wiedergutmachen durch eine spätere Tat, aber wir können ihn nicht tilgen, nicht ungeschehen machen."
Max Frisch. Weniger brillante Autoren in allerdings stimmungsmachenden Boulevardzeitungen haben mir prophezeit, dass ich auf ewig geächtet bleibe. Aber das wäre doch absurd: Ich bin in 95 Prozent der Anklagepunkte freigesprochen worden, und in den restlichen fünf Prozent wurde das Verfahren eingestellt.
Vielleicht gibt es einen Unterschied zwischen einem juristischen Urteil und dem öffentlichen Urteil. Müssen Sie jetzt immer mit einem Pappschild vor der Brust rumlaufen, auf dem steht: "Ich habe einen Fehler gemacht, tut mir leid, aber ich bin freigesprochen"?
Privat brauche ich das Schild nicht. In der Nachbarschaft, beim Bäcker und beim Zeitungshändler habe ich seit Prozessende nur Zuspruch erfahren. "Da wollte man an einem Promi ein Exempel statuieren", haben die gesagt und: "Es hat doch eh schon lange keiner mehr durchgeblickt." Ich glaube, was ich vor allem gelernt habe, ist ,zu unterscheiden zwischen Freunden und Schulterklopfern. Das ist der Mindestextrakt, den ich als Gewinn mitnehmen kann.
Herr Daum! Das ist die Erfahrung einer Banalität.
Dann werfen Sie mir eben Naivität vor.
Wie wäre es mit einem zweiten Lernsatz: Ich, Christoph Daum, werde nie wieder lügen?
In meinem Job möchte ich das Wort Lügen durch den Begriff Taktieren ersetzen.
Dann erklären Sie uns mal den Unterschied.
Lügen in Bezug auf die eigene Person, das sollte ich nicht wieder tun. Wichtig ist, dass ich es überhaupt nicht mehr nötig habe zu lügen. Ich will alles dafür tun, nie wieder in eine solche Situation zu kommen. Das kann man verhindern, indem man sein Leben ganz anders gestaltet: abspannen, die Familie als Ausgleich zulassen, was auch leicht ist mit einem kleinen Sohn, der mir vermittelt, nicht mehr der einzige Hauptdarsteller in meinem Leben zu sein. Das ist auch alles banal, aber um konkret sagen zu können, was die Erfahrung des Prozesses für mich und mein Leben bedeutet, ist es noch zu früh. Ich bin noch nicht wieder deckungsgleich mit mir. Dazu gibt es zu viele Dinge um mich herum, die ich nicht verstehe. Dazu wache ich noch zu oft auf, schweißgebadet, mit Vorwürfen im Kopf, die ich nicht begreife.
Zum Beispiel?
Noch immer begreife ich nicht, wie mein Ruf, mag ich vorher auch noch so polarisierend gewesen sein, derart rasant umkippen konnte. Da haben ja sehr viele Leute in erstaunlichem Tempo eine Gehirnwäsche vorgenommen, da schien es ja von Rendsburg nach Oberammergau eine Absprache gegeben zu haben, mich innerhalb von zwölf Stunden per Ferndiagnose zum schwer Suchtabhängigen zu erklären.
Könnte es nicht sein, dass mehr das Großmaul Daum als der Kokain-User Daum gestraft wurde? Oder der lauteste, bunteste Vertreter einer lauten, bunten Branche?
Kann sein, ich weiß es nicht. Ja, ich war laut, andere waren lauter. Ja, ich habe Gebote überschritten.
Andere aber auch: Da waren Ottmar Hitzfelds außereheliche Vegnügungen, Franz Beckenbauers außereheliche Vaterfreuden ...
... was ich alles nicht mit mir vergleichen möchte und mich doch frage, warum bei mir eine solche Hysterie entfacht wurde.
Sie haben immer polarisiert.
Ich habe immer viel initiiert. Ich habe als Trainer vieles als Erster gemacht, was erst mal auf Unverständnis gestoßen ist.
Viel Psychologisches, Spieler über Scherben laufen lassen ...
... das Schöne ist: Ein paar Jahre später haben's die anderen doch auch gemacht. Nur: Derjenige, der's zuerst macht, der kriegt erst mal reichlich in die Fresse.
Sie behaupten, um andere wird nur deshalb nicht so ein großes Buhei gemacht, weil die nicht so innovativ sind? Das kann nicht der Grund sein.
Ich habe natürlich immer versucht, meine Theorien zu vertreten. Das war nicht immer der leichteste Weg.
Dann war es wohl eher die Art, in der Sie Ihre Theorien vertreten haben, nicht der Inhalt.
Tja. Wenn ein anderer so etwas gemacht hat, hieß es immer nur: "Ja, ist gut."
Ob die Leute angesichts des Geschehenen irgendwann einmal wieder Christoph Daum, den erfolgreichen Fußballtrainer, sehen? Und nicht Daum, den Kokser?
Ich will da optimistisch sein.
Kann der Goldene Weg zur beruflichen Rehabilitierung schon wieder in die Bundesliga führen? Oder besser ins Ausland? Oder wäre ein Rückzug ins Private am besten - für vier, fünf Jahre?
Warum soll ich nicht Fußballtrainer sein? Fünf Jahre lang nicht zu arbeiten, wissen Sie was? Da kann ich in meinem Beruf doch gleich die Rentenkarte beantragen. Nein, nein, es sind in den vergangenen Tagen sehr, sehr viele Anfragen eingegangen. Aus Italien, Spanien, England und auch aus Deutschland.
Dann also Deutschland?
Theoretisch natürlich. Ich sage: Dort, wo ich arbeite, ist der Erfolg garantiert. Muss ich mich jetzt in den Staub werfen? Ich habe genügend für dieses Land getan, ich war innovativ tätig im Fußball, ich bin immer vorangegangen, ich war und bin karitativ tätig, und meine Steuern habe ich auch immer gezahlt, ich war und will auch wieder Vorbild sein. Ich habe ein Gebot übertreten, ich habe gelogen, ich habe der Sache selber den Turbo gegeben und habe das tausendfach bereut - aber glauben Sie mir, was ich in diesem Prozess mitgemacht habe, das war Buße satt: Die haben mich gevierteilt, geteert, gefedert.
Ein Plädoyer, Sie nun sofort bei Clubs wie Hertha BSC, Schalke 04 oder dem FC Bayern München zu engagieren?
Der Franz Beckenbauer hat ja immer gesagt, mach erst mal deinen Prozess, und dann schau'n mer mal. Ich habe meinen Prozess gemacht ... Aber ernsthaft, ich muss anfügen, dass derzeit konkrete Anfragen aus Deutschland nicht aus der Ersten Bundesliga gekommen sind. Da sind die Planungen doch schon abgeschlossen. Außerdem glaube ich auch, dass eine Aufgabe im Ausland für den deutschen Fußball vielleicht bedeutsamer sein wird, als wenn ich eine sicherlich auch wertvolle Arbeit bei einem Zweitligisten mache.
Das Selbstbewusstsein ist Ihnen in den vergangenen Monaten eher nicht abhanden gekommen.
So selbstsicher, wie es zu sein scheint, bin ich noch nicht. Das ist eher mein Ziel. Ich bin mit breiter Brust in den Prozess gegangen, dann wurde ich arg zusammengefaltet. Aber wissen Sie: Ich habe das Bewusstsein, dass ich unschuldig vorgeführt worden bin. Wer will mir da mein Selbstbewusstsein nehmen? Kein Mensch auf dieser Welt kann mir mein Selbstbewusstsein nehmen! Trotzdem gab es besonders in diesem Prozess auch die Momente der Machtlosigkeit, der Ohnmacht - also, so ganz aufrecht marschiere ich noch nicht wieder durchs Leben.
Immerhin sprechen Sie sich wieder zu, dem deutschen Fußball helfen zu können. Sie sind eindeutig auf dem Weg der Besserung.
Sollte ich nicht? Ich bin doch mehr ein internationaler als ein nationaler Trainer, zumindest habe ich ein internationales Image. Würde ich selbst nicht glauben, dass ich noch effektiver für den deutschen Fußball arbeiten könnte, wenn ich meine Erfahrungen aus dem Ausland einfließen lasse, könnte ich mir gleich die Kugel geben.
Die alten Sprüche.
Sie werden mich jetzt nicht aus der Reserve locken.
Also gut: Sie werden jetzt erst einmal die Seria A in Italien, die Primera Divison in Spanien oder die Premier League in England aufmischen und dann ...
... ich werde erst mal gar nichts aufmischen, sondern mich sammeln und später wieder nach Deutschland zurückkommen.
Mit anderen Worten: Sie könnten beispielsweise englischer Meister werden, internationale Triumphe feiern - aber Ihren Frieden werden Sie erst mit der Rückkehr in die Fußball-Bundesliga finden?
Ja, auf jeden Fall geht es irgendwann zurück nach Deutschland. Wenn ich jetzt wirklich die Möglichkeit habe, in einer europäischen Topliga zu arbeiten, dann, glaube ich, wird das auch unglaublich wertvoll für den deutschen Fußball sein.
Sie träumen immer noch vom Job des Bundestrainers.
Wir haben in Deutschland ein sehr gutes Gespann in dem Amt. Rudi Völler und Michael Skibbe arbeiten bis ... ja, bis wann noch mal? Bis 2004?
Bis 2006.
Bis 2006? Ich soll jetzt über 2006 reden? Also, ich habe ja schon immer gerne innovativ gedacht, aber so tief in die Glaskugel gucken? Nein danke.
So defensiv? Der Christoph Daum vor dem Prozess hätte wenigstens gesagt, er träumt von diesem Job.
Und jetzt hält er die Klappe und sagt nur: Den Rest entscheiden andere.
Herr Daum, irgendwann werden auch Sie das Zeitliche segnen. Bei Ihnen wird es dann einen Lexikoneintrag geben. Schreiben Sie doch mal den Text fort: Daum, Christoph, geboren 1953 in Zwickau ...
Den kann ich doch noch nicht schreiben. Der Text ist ja maximal erst halb fertig, den müsste ich ja jedes Jahr aktualisieren.
Wie wäre es mit diesem Anfang: Daum, Christoph, geboren 1953 in Zwickau, deutscher Fußballtrainer, stolperte auf dem Höhepunkt seiner Karriere über eine Drogenaffäre ...?
Wissen Sie, welche Höhepunkte noch auf mich warten?
Das Gespräch führten Helmut Schümann und Henning Sussebach
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