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ZEIT-Interviews mit Prominenten: Was war ihnen 2003 wichtig? (Teil 1 von 2)

Hamburg (ots)

Für Rudy Pevenage, persönlicher Berater von Jan Ullrich, war
dessen Sieg beim Einzelzeitfahren am 18. Juli 2003 bei der Tour de
France das größte Ereignis: "Ich habe all meine Erfahrung in Jans
Comeback gesteckt, mein Herzblut für ihn gegeben."
Bahn-Chef Hartmut Mehdorn, Besitzer der Bahncard 100: "Ich fahre
in der Regel mehrmals pro Woche längere Strecken und muss ehrlich
sagen, dass ich kaum Verspätungen spüre."
Reinhard Hesse, Redenschreiber des Kanzlers, hat Schröders Rede am
17. November auf dem SPD-Parteitag mit vorbereitet: "Ich wusste, der
Einstieg, für den sich der Bundeskanzler entschieden hatte, würde
stark von seinem Auftritt, seiner Tagesform abhängen. Es hat sich
gezeigt, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte."
Der Steuerexperte Paul Kirchhof über die Einigung im 
Vermittlungsausschuss am 15. Dezember: "Ich glaube, dass dies ein 
erster kleiner Schritt ist auf dem Weg zur großen Reform."
Silke Rottenberg, am 12. Oktober Torhüterin der deutschen 
Nationalmannschaft: "Es ist Dezember, das Jahr ist bald rum. Du bist 
Weltmeister geworden, und so richtig hast du gar nichts davon 
mitbekommen."
Christian Berner, Chef des Lebensmittelkonzerns 
Lekkerland-Tobaccoland, zur Verpackungsverordnung am 13. Juni: "Erst 
macht man uns mit der Dosenpfand-Verordnung, einer Betonwalze 
gleich, das Geschäft kaputt. Dann entdeckt man, dass noch ein Krümel 
übrig ist. Und den will man jetzt auch noch."
Auch 2003 gehören Interviews für Günter Gaus und Reinhold Beckmann
zum Alltag. Für Gaus ist ein Interview gelungen, "wenn der 
Interviewte hinterher sagt: So habe ich das eine oder andere bisher 
noch nie betrachtet. Ich muss darüber nachdenken." - Beckmann 
hingegen: "Ein gutes Gespräch spekuliert nicht auf vordergründige 
Pointen, auf den Beifall oder die Ungeduld eines Publikums. Das 
heißt, es lebt von der Aufmerksamkeit und dem gegenseitigen 
Interesse."
Der Beifahrer
Wenn Sie dieses Jahr Revue passieren lassen, welcher Tag kommt   
   Ihnen dann sofort ins Gedächtnis?
Das erste Einzelzeitfahren von Jan Ullrich bei der Tour, am 18. 
Juli. Es war zwar nur eine Etappe, aber für mich symbolisiert es das 
absolute Comeback von Jan. Ein unglaubliches Glücksgefühl. Keiner 
von uns dachte im Februar oder März im Trainingslager in der 
Toskana, dass Jan das Zeitfahren gewinnen würde.
Sie haben an ihm gezweifelt?
Ich? Nein, niemals. Ich habe immer an Jan geglaubt.
Dabei sah es lange Zeit nicht gut aus. Ullrich stand wegen seiner 
   Dopingsperre, einer langwierigen Knieverletzung und seinem 
   unprofessionellen Lebenswandel im vergangenen Jahr vor den  
   Trümmern seiner Karriere. Wie viel Anerkennung gebührt Ihnen für  
   seinen Erfolg?
Ich habe all meine Erfahrung in Jans Comeback gesteckt, mein 
Herzblut für ihn gegeben. Aber letztlich bin ich das Rad nicht 
gefahren, ich habe Jan nur ab und zu einen Rat gegeben. Das ist 
etwas anderes. Jan hat sich den Erfolg selbst erarbeitet.
Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie vielleicht nicht der
   beste sportliche Leiter im Radsport sind, aber immerhin derjenige,
   der Ullrich am besten kennt. Welche Charaktereigenschaft Ullrichs 
   schätzen Sie am meisten?
Was soll ich dazu sagen? Jan hatte dieses Jahr seine starken und 
seine schwachen Zeiten. Er ist ein super Kerl, ein sehr guter 
Sportsmann. Vielleicht hat er für den Profiradsport einen zu guten 
Charakter.
Was meinen Sie damit?
Der pure Egoismus fehlt ihm. Er ist mit dem Erreichten zu schnell 
zufrieden. Ich kenne ihn seit knapp zehn Jahren. Wir haben schon 
sehr schöne, aber auch traurige Momente zusammen erlebt.
Das klingt, als wären Sie ein bisschen enttäuscht. Würden Sie  
   einen dieser Momente beschreiben?
Ich bin nicht enttäuscht. Aber ein entscheidender Moment war
sicher, als ich vergangenes Jahr Jan unterstützt habe, von Telekom
wegzugehen. Da habe ich eine gewisse Sicherheit aufgegeben und mich
in ein Abenteuer gestürzt.
Haben Sie den Schritt je bereut?
Nein, im Leben muss man nicht nach hinten gucken. Ich wollte bei
Jan bleiben, und mein Ziel war es, dafür zu sorgen, dass seine
Karriere nicht vorbei ist.
Das Ergebnis ist bekannt. Jan Ullrich feierte mit dem von Ihnen  
   neu gegründeten Bianchi-Team ein grandioses Comeback und  
   unterschrieb wenige Monate später bei T-Mobile.
Das ist eine Entscheidung von Jan. Die muss ich akzeptieren. Eine 
solche Karriere hat man nur einmal. Ich bin nicht sein Vater.
Wie schwer war es, diese Entscheidung zu respektieren?
Ich habe zu den Fahrern unseres Bianchi-Teams im Juli noch gesagt:
Macht euch keine Sorgen, nächstes Jahr sind wir wieder ein Team. 
Aber trotz des Erfolgs bei der Tour de France hatten wir bis Mitte 
September noch keinen Hauptsponsor gefunden. Und Jan wollte eine 
schnelle Entscheidung. Klar, ich bin enttäuscht, dass es mit Bianchi 
nicht weitergegangen ist. Aber man findet im Leben nicht alles so 
vor, wie man es vielleicht gerne hätte.
Sie sagen, Sie sind nicht Jans Vater. Wie würden Sie denn Ihr 
   Verhältnis beschreiben?
Wir können uns aufeinander verlassen, haben eine sehr intensive 
Freundschaft. Es gibt da einen Spruch, den ich eigentlich sehr schön 
finde: »Ein Mann muss immer zu seinem Wort stehen.« Aber ich habe 
dieses Jahr viele Menschen kennen gelernt, die ihr Wort mir 
gegenüber nicht gehalten haben. Manchmal ergeben sich solche 
Situationen, die man nicht vorhersehen kann. Und zugegeben: Auch ich 
habe schon mein Wort gebrochen.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Dazu möchte ich nichts weiter sagen. Nur so viel: Manche 
Entscheidungen sind unausweichlich.
Rudy Pevenage,  49, ist persönlicher Berater des Radrennprofis Jan
   Ullrich. Er verhalf dem Sportler zu seinem Comeback bei der Tour  
   de France
Der Zugfahrplaner
Halb Deutschland - Verbände, Parteien, Bahnkunden - jubelte, als  
   am 1. August die Bahncard wieder eingeführt wurde, mit der man 50 
   Prozent Rabatt auf Bahntickets bekommt. Besitzen Sie selbst auch 
   eine?
Na klar. Als Vielfahrer habe ich allerdings die Bahncard 100. Das 
ist sehr bequem, weil man sich nicht mehr um Fahrkarten kümmern 
muss. Bei einem Abo-Preis von monatlich 270 beziehungsweise 450 Euro 
für die erste Klasse lohnt sich diese Karte schon für jeden Kunden, 
der beispielsweise nur einmal pro Woche von Köln nach München und 
zurück fährt.
Wie oft sind Sie selbst in diesem Jahr Bahn gefahren? Und kamen  
   Sie immer pünktlich an? Oder hatten Sie selbst Grund zur Kritik,  
   etwa wegen der häufig kritisierten Verspätungen?
Ich fahre in der Regel mehrmals pro Woche längere Strecken und
muss ehrlich sagen, dass ich kaum Verspätungen spüre. Und selbst wenn
man mal zehn Minuten zu spät am Ziel ankommt, ist das ja meist kein
großes Problem. Im Gegensatz zur Bahn sind längere Autofahrten heute
nahezu unkalkulierbar, und auch viele innerdeutsche Flüge sind
unpünktlich. Beides wird von den Reisenden aber meist mit Gleichmut
hingenommen. Die Anforderungen an die Bahn sind einfach höher,
deswegen haben wir jetzt vom Vorstand aus eine
Pünktlichkeitsoffensive gestartet, die allen internen Ursachen auf
den Grund geht.
Wie lange, glauben Sie, wird es noch dauern, bis die Bahn ein 
   reibungslos funktionierendes Unternehmen ist, mit dem alle  
   zufrieden sind?
Ein hoch komplexes vernetztes System mit 30 000 Personenzügen pro 
Tag wird leider niemals völlig reibungslos funktionieren, allein 
schon wegen der Außeneinflüsse, mit denen wir zu kämpfen haben. Aber 
wir geben uns alle Mühe, für unsere täglichen 4,5 Millionen Kunden 
ein gutes Angebot zu einem fairen Preis auf die Schiene zu stellen. 
Und wir werden besser, unsere gewaltigen Investitionen - rund 45 
Milliarden Euro im Fünfjahreszeitraum - wirken sich positiv aus.
Noch nie stand die Bahn so sehr in der Kritik. Wie bringen Sie  
   Ihren Mitarbeitern bei, trotzdem an ihr Unternehmen zu glauben?
Unsere Mitarbeiter machen einen schwierigen Sanierungsprozess
durch, und die Endphase einer Sanierung ist meist die härteste. Die
Beschäftigtenzahl hat sich seit der Gründung der Deutschen Bahn AG
nahezu halbiert, die Produktivität ist um etwa 160 Prozent gestiegen.
Aber die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner wissen, dass wir auf dem
richtigen Weg sind, und die weitaus überwiegende Anzahl ist hoch
motiviert. Wir müssen kundenorientiert und profitabel arbeiten, wenn
wir uns im Wettbewerb behaupten wollen. Nur ein wirtschaftlich
erfolgreiches Unternehmen bietet sichere Arbeitsplätze. Wenn wir
unsere Ziele erreichen, werden auch die Mitarbeiter davon
profitieren.
Hartmut Mehdorn, 61, ist Vorstandsvorsitzender der Deutsche Bahn  
   AG, die sich in diesem Jahr an einem neuen Preissystem versuchte
Der Brecht-Beauftragte
Wann haben Sie gespürt, dass Ihre, Verzeihung, Gerhard Schröders 
   Parteitagsrede gut ankommen würde?
Das war irgendwann im ersten Teil, als klar war, dass der 
Bundeskanzler mit der Einstiegspassage die Delegierten erreicht 
hatte.
Hatten Sie daran gezweifelt?
Nicht wirklich. Aber der Kanzler hatte sich entschieden, einen 
emotionalen, nachdenklichen Anfang zu wählen. Im Vorfeld hatten wir 
auch über die Alternative gesprochen: einen entschiedeneren, 
sachlichen Einstieg. Ich wusste, der Einstieg, für den er sich 
entschieden hatte, würde stark von seinem Auftritt, seiner Tagesform 
abhängen. Es hat sich gezeigt, dass er die richtige Entscheidung 
getroffen hatte.
Wann fiel die Entscheidung?
Am Wochenende vor dem Parteitag. Als Schröder in Hannover den 
Entwurf der Rede bearbeitet hat, den wir, Mitarbeiter des 
Kanzleramtes und des Parteivorstandes, geliefert hatten.
Was hatte der Kanzler zu monieren?
Als er aus Hannover zurückkam, sagte er zu uns: Alles wunderbar, 
aber es liest sich besser, als es sich spricht. Löst ein paar 
Einschübe auf, macht kürzere Sätze, dann kommt das besser rüber.
Bis wie lange vor Redebeginn wurde noch an dem Text gearbeitet?
Kurz vor Beginn, am Morgen vor der Rede, wollten wir noch auf die 
aufkommende Patriotismusdebatte und auf die antisemitischen 
Äußerungen des CDU-Abgeordneten Hohmann reagieren. Wir haben den 
Kanzler gefragt: Sollen wir dir das noch reinschreiben? Er hat 
abgewinkt, gelacht und gesagt: Lasst mich in Frieden, das mach ich 
alleine. Dann hat er das dann an der entsprechenden Stelle 
eingeflochten ...
... und dabei Brecht zitiert, ganz so, wie seine Redenschreiber  
   das auch gerne tun.
Ja, die Patriotismuspassage hat er mit einem Zitat aus der 
Kinderhymne abgebunden, womit Brecht ein zweites Mal in der Rede zu 
Ehren kam. An anderer Stelle hatte er sich schon für einen Satz aus 
der Dreigroschenoper - »Ja, mach nur einen Plan« - entschieden.
Von der Rede wurde viel erwartet. Haben Sie in solchen Situationen
   noch Lampenfieber?
Natürlich spürt man vor einem solchen Ereignis den Druck, das
können Sie auch Lampenfieber nennen. Alle sind angespannt, man sitzt
in diesen improvisierten Parteitagsbüros und wartet, bis es losgeht.
Das ist so ein bisschen wie vor einem Fußballspiel. Irgendwann sagt
der Trainer: Geht raus und spielt. Schröder musste vor der Rede noch
ein kompliziertes Telefonat mit EU-Kommissionspräsident Prodi führen.
Dann war der Moment gekommen, wir wussten, wir hatten unsere Arbeit
getan, jetzt kommt es auf ihn an. Nur auf ihn.
Reinhard Hesse,  47, ist einer der Redenschreiber von Gerhard 
   Schröder. Er wirkte an der Rede des Kanzlers am 17. November auf  
   dem SPD-Parteitag mit, in der Schröder seine Partei auf die   
   Reformpläne einstimmte
Der Reformlotse
Herr Professor Kirchhof, Mitte November haben Sie Ihr Steuermodell
   vorgelegt. Es war der einfachste und radikalste aller  
   Reformansätze, ein Gesetzestext, der auf neun Seiten Platz hat und
   einen Steuersatz von 25 Prozent auf jede Form von Einkommen  
   vorsieht. Das, worauf sich Regierung und Opposition nun am 15. 
   Dezember im Vermittlungsausschuss geeinigt haben, ist weit davon 
   entfernt. Sind Sie enttäuscht?
Nein, ich glaube, dass dies ein erster kleiner Schritt ist auf dem
Weg zur großen Reform. Man hat mit dem Subventionsabbau begonnen, 
wenn auch nicht ausreichend. Man hat die Steuersätze gesenkt, wenn 
auch sehr zaghaft. Man hat die Richtung vorgezeigt, nun muss ein 
großer Wurf folgen. Die Erwartungen der Menschen, die Bedürfnisse 
der Wirtschaft drängen unausweichlich auf eine Strukturreform.
Man hatte in der vergangenen Zeit mitunter den Eindruck, dass die 
deutsche Politik sich bei grundlegenden Veränderungen schwer tut.
Ich darf an den großen Wurf vor 14 Jahren erinnern: die 
Wiedervereinigung. Damals hat die Welt den Atem angehalten ob der 
Reformfähigkeit Deutschlands. Noch sind wir davon ein bisschen 
erschöpft. Aber diese Erschöpfung müssen wir überwinden und die 
nötigen Reformen angehen: im Arbeitsrecht, im Sozialrecht und im 
Steuerrecht.
Ist unsere Gesellschaft denn zu so grundlegenden Reformen  
   überhaupt in der Lage?
Ich stehe seit über 25 Jahren als Professor im Hörsaal. Und wir 
hatten eigentlich noch nie eine so aufgeschlossene, 
artikulationsfähige, auch an den Grundsatzfragen interessierte 
Studentengeneration wie heute. Eine, die sich auch mit Kulturfragen 
und mit Fragen der Menschenrechte beschäftigt, die sich bewusst ist, 
dass sie dieses schöne Rechtssystem in vielen Details wesentlich 
erneuern muss - und das auch tun will. Also: Wenn wir es nicht 
schaffen, dann schafft es die nächste Generation. Aber besser wäre 
es, wir würden nicht so lange warten.
Paul Kirchhof, 60, Steuerexperte und früherer 
   Bundesverfassungsrichter, schlug ein neues, ganz einfaches 
   Einkommen- und Unternehmensteuerrecht vor
Deutschland ist Weltmeisterin
Lassen Sie uns über Geld reden.
Das ist ein wichtiges Thema im Frauenfußball, weil es so ein
großes Problem ist. Fehlende Sponsoren sind ja der Grund, warum sogar
namhafte Frauenfußballmannschaften eingehen. Zum Beispiel der TSV
Siegen, bei dem ich früher gespielt habe, oder davor Bergisch
Gladbach. Einfach verschwunden. Wir müssen Firmen dazu bringen, den
Frauenfußball zu unterstützen.
Viel mehr, als die Weltmeisterschaft zu gewinnen, können Sie dafür
   wohl nicht tun, oder?
Das ist natürlich ein toller Erfolg, und nun hat die 
Nationalmannschaft auch mit Katjes erstmals einen eigenen Sponsor 
gefunden. Aber das reicht nicht. Wichtig ist, dass das Geld auch in 
die unteren Klassen fließt, damit das Niveau der Bundesliga steigen 
kann. Jetzt ist es ja so, dass die Frauen meistens nur drei-, 
viermal in der Woche trainieren können, einfach deshalb, weil viele 
noch acht, neun Stunden am Tag arbeiten müssen.
Sie aber nicht, oder?
Ich bin eine von sechs DFB-Frauen, die in der Sportfördergruppe
der Bundeswehr sind. Mein Dienstplan ist mein Trainingsplan.
Konnten Sie mit der WM Ihren Sold aufbessern?
Die Sporthilfe zahlt Amateursportlern 6000 Euro, wenn sie eine 
Weltmeisterschaft gewinnen - das gilt für alle Sportarten. Nach der 
WM hat der DFB beschlossen, den Spielerinnen zudem eine Prämie von 
9000 Euro zu zahlen.
Und sonst?
Ich bekomme erst in der nächsten Woche endlich einen Manager. Ich 
hatte noch kaum Zeit, mich zu vermarkten. In den vergangenen Wochen 
war ich viel für Fernsehsendungen unterwegs, beim Tigerentenclub, 
Stars in der Manege und so weiter. Da sieht man, was die WM für 
einen Frauenfußball-Boom ausgelöst hat.
Und für die Auftritte gibt's kein Geld?
Na ja, Stars in der Manege ist schließlich eine Spendensendung. Es
ist doch schon toll, eingeladen zu werden. Und um in der 
Öffentlichkeit zu stehen, muss man eben oft Dinge machen, die 
einfach gut für das Prestige sind. Meine Autogrammstunden lasse ich 
mir inzwischen aber angemessen honorieren.
Was muss man denn machen, um sich gut zu verkaufen?
Geradeaus reden können hilft bestimmt. Aussehen ist nicht alles.
Ich werde mir jedenfalls nicht die Haare wachsen lassen. Auch mit
einem pfiffigen Kurzhaarschnitt kann man heute sehr werbeträchtig
sein, das ist doch in. Aber natürlich ist Aussehen wichtig, auch für
mich selbst. Früher dachte ich nur: Hauptsache, ich kann Fußball
spielen. Seit ein paar Jahren lege ich mehr Wert darauf, nicht mehr
ganz so maskulin zu erscheinen. Ich wollte mich einfach verändern.
Es hatte also nichts damit zu tun, dass Sportkommentatoren über  
   das Aussehen von Spielerinnen lästern?
Das ist ja heute nicht mehr so. Und ich muss ehrlich sagen, dass
ich manche Klamotten, mit denen ich herumlaufen muss, auch nicht so
ansprechend finde. Ich fühle mich auch nicht wohl in Hosen und
Trikots, die mir viel zu groß sind.
Da wären wir wieder beim Sponsor.
Es wäre natürlich gut, für seine Leistung entsprechend honoriert
zu werden. Aber dafür müssen wir das Geld erst einspielen. Wenn man
am Wochenende zu einem Frauenfußballspiel ins Stadion geht, sitzen da
ein paar hundert Zuschauer - trotz Weltmeisterschaft. Wenn die Männer
spielen, sind es schon mal 50 000. Wir müssen einfach dahin kommen,
dass die Menschen sich beides angucken - Frauenfußball und
Männerfußball. Beim Tennis ging das ja auch, da sah man an einem Tag
Boris Becker und am nächsten Steffi Graf.
Dann gäbe es hier auch eine Profiliga für Frauen.
So bald gibt es die bestimmt nicht. Ich kann mir aber vorstellen, 
dass es in den nächsten fünf bis zehn Jahren Halbprofitum gibt. Dann 
hätten wir ja viel erreicht. Ich bin 31, das werde ich nicht mehr 
als Spielerin erleben.
Das heißt, Ihnen bleibt vom WM-Sieg am 12. Oktober vor allem die 
   schöne Erinnerung?
Fürs Erinnern habe ich gerade wirklich keine Zeit. Ich denke eher 
manchmal: Es ist Dezember, das Jahr ist bald rum, du bist 
Weltmeister geworden, und so richtig hast du gar nichts davon 
mitbekommen.
Silke Rottenberg, 31, wurde als Torhüterin der deutschen 
   Nationalmannschaft am 12. Oktober Fußballweltmeisterin. Der 
   überraschende Erfolg hat das Interesse am Frauenfußball angefacht,
   aber ausgezahlt hat es sich für die Spielerinnen noch nicht
Wo steckt der Pfandschlupf?
Welches war Ihr einprägsamster Tag 2003?
Wir wollen doch über das Dosenpfand reden. Da habe ich mehrere 
einprägsame Tage erlebt. Wollen Sie die alle hören?
Wenn es nicht zu lange dauert.
Erstens, der 3. Juni. Die Mitglieder der so genannten
Lenkungsgruppe scheitern damit, ein einheitliches
Pfandrücknahmesystem für Dosen einzuführen. Zehn Tage später, am
Freitag, dem 13., erklärt Bundesumweltminister Trittin, dass er die
Verpackungsverordnung auf jeden Fall umsetzen wird - ob mit oder ohne
einheitliches System. Ich habe damals als Vertreter des einzigen
Großunternehmens in der Lenkungsgruppe gesagt: »Gut, lasst es uns
probieren.« Wir ließen auf unsere Produkte ein P drucken, sodass
jeder, der seine Dose zurückbringt, ohne Bon ein Recht auf das
bezahlte Pfand hat. Damals hieß es noch, ab 1. Oktober dürfe es
bundesweit keine Bons mehr geben. Und dann beschließen am 17.
September plötzlich ein paar Beamte der Länder und des
Bundesumweltministeriums in einer außerordentlichen Sitzung, dass die
Zettelwirtschaft mit den Bons ein Jahr verlängert wird. Unglaublich!
Irgendwann muss in der erwähnten Lenkungsgruppe der Begriff des 
   »Pfandschlupfs«, des nicht eingelösten Pfandgeldes, aufgekommen 
   sein. Wann haben Sie zum ersten Mal davon gehört?
Das muss im Januar gewesen sein. Frau Künast, die sich als 
Verbraucherministerin versteht, hat dieses Wort eingeführt. Allein 
das Wort ist glitschig wie ein Aal. Künast meinte, weil so viele 
Kunden die Dosen nicht zurückbrächten, könnte man - schlupf, schlupf 
- das angeblich überschüssige Geld in einen Fonds einzahlen.
Was ist daran verkehrt? Das Bundeswirtschaftsministerium hat 
errechnet, dass 450 Millionen Euro Pfandgeld nicht eingelöst wurden. 
75 Millionen soll der Bund an Mehrwertsteuer einbehalten haben, der 
Rest müsste also bei Ihnen liegen.
Dieses Geld haben nicht wir Groß-, sondern die Einzelhändler. Noch
mal: Erst macht man uns mit der Dosenpfand-Verordnung, einer 
Betonwalze gleich, das Geschäft kaputt. Dann entdeckt man, dass noch 
ein Krümel übrig ist. Und den will man jetzt auch noch.
Dieser Krümel ist fast eine halbe Milliarde Euro wert.
Wenn Sie eine Pfanddose in einer Tankstelle kaufen, zahlen Sie 25 
Cent mehr. Wenn Sie diese Dose dann nicht zurückbringen, wandert sie 
vielleicht in den Müll. Jetzt hat zwar der Einzelhändler 25 Cent 
kassiert, aber er kann sie nicht als Gewinn verbuchen. Denn 
vielleicht kommen Sie doch noch und wollen Ihr Geld zurück. 
Vielleicht kommen Sie morgen oder in einer Woche, vielleicht aber 
auch erst in zwei Jahren. Für diesen Fall muss der Kaufmann eine 
Rückstellung bilden.
Aber vielleicht komme ich auch nie. In Schweden soll es an 
   Rücknahme-Automaten einen Knopf geben, mit dem das Pfand für einen
   guten Zweck gespendet werden kann. Statt Pfandbon wird eine 
   Spendenquittung ausgedruckt.
Das ist doch nicht das Problem. Damit wir den Schlupf überhaupt 
spenden können, müssten wir ihn erst mal finden. Aber er ist wie ein 
Geist. Wenn Sie mich heute fragen, wo steckt denn Ihr Schlupf und 
wie hoch ist Ihr Schlupf, zucke ich mit den Schultern - ich kann es 
nicht wissen. Wer weiß schon, wie die Verpackungsverordnung in ein 
paar Monaten aussieht?
Christian Berner, 50, Chef des Lebensmittelkonzerns 
   Lekkerland-Tobaccoland. Die Firma beliefert 70 000 Tankstellen und
   Kioske in Deutschland und setzte 2002 rund 7,3 Milliarden Euro um
(Teil 2 folgt)

Original content of: DIE ZEIT, transmitted by news aktuell

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