ZEIT-Interviews mit Prominenten: Was war ihnen 2003 wichtig? (Teil 1 von 2)
Hamburg (ots)
Für Rudy Pevenage, persönlicher Berater von Jan Ullrich, war dessen Sieg beim Einzelzeitfahren am 18. Juli 2003 bei der Tour de France das größte Ereignis: "Ich habe all meine Erfahrung in Jans Comeback gesteckt, mein Herzblut für ihn gegeben."
Bahn-Chef Hartmut Mehdorn, Besitzer der Bahncard 100: "Ich fahre in der Regel mehrmals pro Woche längere Strecken und muss ehrlich sagen, dass ich kaum Verspätungen spüre."
Reinhard Hesse, Redenschreiber des Kanzlers, hat Schröders Rede am 17. November auf dem SPD-Parteitag mit vorbereitet: "Ich wusste, der Einstieg, für den sich der Bundeskanzler entschieden hatte, würde stark von seinem Auftritt, seiner Tagesform abhängen. Es hat sich gezeigt, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte."
Der Steuerexperte Paul Kirchhof über die Einigung im Vermittlungsausschuss am 15. Dezember: "Ich glaube, dass dies ein erster kleiner Schritt ist auf dem Weg zur großen Reform."
Silke Rottenberg, am 12. Oktober Torhüterin der deutschen Nationalmannschaft: "Es ist Dezember, das Jahr ist bald rum. Du bist Weltmeister geworden, und so richtig hast du gar nichts davon mitbekommen."
Christian Berner, Chef des Lebensmittelkonzerns Lekkerland-Tobaccoland, zur Verpackungsverordnung am 13. Juni: "Erst macht man uns mit der Dosenpfand-Verordnung, einer Betonwalze gleich, das Geschäft kaputt. Dann entdeckt man, dass noch ein Krümel übrig ist. Und den will man jetzt auch noch."
Auch 2003 gehören Interviews für Günter Gaus und Reinhold Beckmann zum Alltag. Für Gaus ist ein Interview gelungen, "wenn der Interviewte hinterher sagt: So habe ich das eine oder andere bisher noch nie betrachtet. Ich muss darüber nachdenken." - Beckmann hingegen: "Ein gutes Gespräch spekuliert nicht auf vordergründige Pointen, auf den Beifall oder die Ungeduld eines Publikums. Das heißt, es lebt von der Aufmerksamkeit und dem gegenseitigen Interesse."
Der Beifahrer
Wenn Sie dieses Jahr Revue passieren lassen, welcher Tag kommt Ihnen dann sofort ins Gedächtnis?
Das erste Einzelzeitfahren von Jan Ullrich bei der Tour, am 18. Juli. Es war zwar nur eine Etappe, aber für mich symbolisiert es das absolute Comeback von Jan. Ein unglaubliches Glücksgefühl. Keiner von uns dachte im Februar oder März im Trainingslager in der Toskana, dass Jan das Zeitfahren gewinnen würde.
Sie haben an ihm gezweifelt?
Ich? Nein, niemals. Ich habe immer an Jan geglaubt.
Dabei sah es lange Zeit nicht gut aus. Ullrich stand wegen seiner Dopingsperre, einer langwierigen Knieverletzung und seinem unprofessionellen Lebenswandel im vergangenen Jahr vor den Trümmern seiner Karriere. Wie viel Anerkennung gebührt Ihnen für seinen Erfolg?
Ich habe all meine Erfahrung in Jans Comeback gesteckt, mein Herzblut für ihn gegeben. Aber letztlich bin ich das Rad nicht gefahren, ich habe Jan nur ab und zu einen Rat gegeben. Das ist etwas anderes. Jan hat sich den Erfolg selbst erarbeitet.
Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie vielleicht nicht der beste sportliche Leiter im Radsport sind, aber immerhin derjenige, der Ullrich am besten kennt. Welche Charaktereigenschaft Ullrichs schätzen Sie am meisten?
Was soll ich dazu sagen? Jan hatte dieses Jahr seine starken und seine schwachen Zeiten. Er ist ein super Kerl, ein sehr guter Sportsmann. Vielleicht hat er für den Profiradsport einen zu guten Charakter.
Was meinen Sie damit?
Der pure Egoismus fehlt ihm. Er ist mit dem Erreichten zu schnell zufrieden. Ich kenne ihn seit knapp zehn Jahren. Wir haben schon sehr schöne, aber auch traurige Momente zusammen erlebt.
Das klingt, als wären Sie ein bisschen enttäuscht. Würden Sie einen dieser Momente beschreiben?
Ich bin nicht enttäuscht. Aber ein entscheidender Moment war sicher, als ich vergangenes Jahr Jan unterstützt habe, von Telekom wegzugehen. Da habe ich eine gewisse Sicherheit aufgegeben und mich in ein Abenteuer gestürzt.
Haben Sie den Schritt je bereut?
Nein, im Leben muss man nicht nach hinten gucken. Ich wollte bei Jan bleiben, und mein Ziel war es, dafür zu sorgen, dass seine Karriere nicht vorbei ist.
Das Ergebnis ist bekannt. Jan Ullrich feierte mit dem von Ihnen neu gegründeten Bianchi-Team ein grandioses Comeback und unterschrieb wenige Monate später bei T-Mobile.
Das ist eine Entscheidung von Jan. Die muss ich akzeptieren. Eine solche Karriere hat man nur einmal. Ich bin nicht sein Vater.
Wie schwer war es, diese Entscheidung zu respektieren?
Ich habe zu den Fahrern unseres Bianchi-Teams im Juli noch gesagt: Macht euch keine Sorgen, nächstes Jahr sind wir wieder ein Team. Aber trotz des Erfolgs bei der Tour de France hatten wir bis Mitte September noch keinen Hauptsponsor gefunden. Und Jan wollte eine schnelle Entscheidung. Klar, ich bin enttäuscht, dass es mit Bianchi nicht weitergegangen ist. Aber man findet im Leben nicht alles so vor, wie man es vielleicht gerne hätte.
Sie sagen, Sie sind nicht Jans Vater. Wie würden Sie denn Ihr Verhältnis beschreiben?
Wir können uns aufeinander verlassen, haben eine sehr intensive Freundschaft. Es gibt da einen Spruch, den ich eigentlich sehr schön finde: »Ein Mann muss immer zu seinem Wort stehen.« Aber ich habe dieses Jahr viele Menschen kennen gelernt, die ihr Wort mir gegenüber nicht gehalten haben. Manchmal ergeben sich solche Situationen, die man nicht vorhersehen kann. Und zugegeben: Auch ich habe schon mein Wort gebrochen.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Dazu möchte ich nichts weiter sagen. Nur so viel: Manche Entscheidungen sind unausweichlich.
Rudy Pevenage, 49, ist persönlicher Berater des Radrennprofis Jan Ullrich. Er verhalf dem Sportler zu seinem Comeback bei der Tour de France
Der Zugfahrplaner
Halb Deutschland - Verbände, Parteien, Bahnkunden - jubelte, als am 1. August die Bahncard wieder eingeführt wurde, mit der man 50 Prozent Rabatt auf Bahntickets bekommt. Besitzen Sie selbst auch eine?
Na klar. Als Vielfahrer habe ich allerdings die Bahncard 100. Das ist sehr bequem, weil man sich nicht mehr um Fahrkarten kümmern muss. Bei einem Abo-Preis von monatlich 270 beziehungsweise 450 Euro für die erste Klasse lohnt sich diese Karte schon für jeden Kunden, der beispielsweise nur einmal pro Woche von Köln nach München und zurück fährt.
Wie oft sind Sie selbst in diesem Jahr Bahn gefahren? Und kamen Sie immer pünktlich an? Oder hatten Sie selbst Grund zur Kritik, etwa wegen der häufig kritisierten Verspätungen?
Ich fahre in der Regel mehrmals pro Woche längere Strecken und muss ehrlich sagen, dass ich kaum Verspätungen spüre. Und selbst wenn man mal zehn Minuten zu spät am Ziel ankommt, ist das ja meist kein großes Problem. Im Gegensatz zur Bahn sind längere Autofahrten heute nahezu unkalkulierbar, und auch viele innerdeutsche Flüge sind unpünktlich. Beides wird von den Reisenden aber meist mit Gleichmut hingenommen. Die Anforderungen an die Bahn sind einfach höher, deswegen haben wir jetzt vom Vorstand aus eine Pünktlichkeitsoffensive gestartet, die allen internen Ursachen auf den Grund geht.
Wie lange, glauben Sie, wird es noch dauern, bis die Bahn ein reibungslos funktionierendes Unternehmen ist, mit dem alle zufrieden sind?
Ein hoch komplexes vernetztes System mit 30 000 Personenzügen pro Tag wird leider niemals völlig reibungslos funktionieren, allein schon wegen der Außeneinflüsse, mit denen wir zu kämpfen haben. Aber wir geben uns alle Mühe, für unsere täglichen 4,5 Millionen Kunden ein gutes Angebot zu einem fairen Preis auf die Schiene zu stellen. Und wir werden besser, unsere gewaltigen Investitionen - rund 45 Milliarden Euro im Fünfjahreszeitraum - wirken sich positiv aus.
Noch nie stand die Bahn so sehr in der Kritik. Wie bringen Sie Ihren Mitarbeitern bei, trotzdem an ihr Unternehmen zu glauben?
Unsere Mitarbeiter machen einen schwierigen Sanierungsprozess durch, und die Endphase einer Sanierung ist meist die härteste. Die Beschäftigtenzahl hat sich seit der Gründung der Deutschen Bahn AG nahezu halbiert, die Produktivität ist um etwa 160 Prozent gestiegen. Aber die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner wissen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, und die weitaus überwiegende Anzahl ist hoch motiviert. Wir müssen kundenorientiert und profitabel arbeiten, wenn wir uns im Wettbewerb behaupten wollen. Nur ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen bietet sichere Arbeitsplätze. Wenn wir unsere Ziele erreichen, werden auch die Mitarbeiter davon profitieren.
Hartmut Mehdorn, 61, ist Vorstandsvorsitzender der Deutsche Bahn AG, die sich in diesem Jahr an einem neuen Preissystem versuchte
Der Brecht-Beauftragte
Wann haben Sie gespürt, dass Ihre, Verzeihung, Gerhard Schröders Parteitagsrede gut ankommen würde?
Das war irgendwann im ersten Teil, als klar war, dass der Bundeskanzler mit der Einstiegspassage die Delegierten erreicht hatte.
Hatten Sie daran gezweifelt?
Nicht wirklich. Aber der Kanzler hatte sich entschieden, einen emotionalen, nachdenklichen Anfang zu wählen. Im Vorfeld hatten wir auch über die Alternative gesprochen: einen entschiedeneren, sachlichen Einstieg. Ich wusste, der Einstieg, für den er sich entschieden hatte, würde stark von seinem Auftritt, seiner Tagesform abhängen. Es hat sich gezeigt, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Wann fiel die Entscheidung?
Am Wochenende vor dem Parteitag. Als Schröder in Hannover den Entwurf der Rede bearbeitet hat, den wir, Mitarbeiter des Kanzleramtes und des Parteivorstandes, geliefert hatten.
Was hatte der Kanzler zu monieren?
Als er aus Hannover zurückkam, sagte er zu uns: Alles wunderbar, aber es liest sich besser, als es sich spricht. Löst ein paar Einschübe auf, macht kürzere Sätze, dann kommt das besser rüber. Bis wie lange vor Redebeginn wurde noch an dem Text gearbeitet? Kurz vor Beginn, am Morgen vor der Rede, wollten wir noch auf die aufkommende Patriotismusdebatte und auf die antisemitischen Äußerungen des CDU-Abgeordneten Hohmann reagieren. Wir haben den Kanzler gefragt: Sollen wir dir das noch reinschreiben? Er hat abgewinkt, gelacht und gesagt: Lasst mich in Frieden, das mach ich alleine. Dann hat er das dann an der entsprechenden Stelle eingeflochten ...
... und dabei Brecht zitiert, ganz so, wie seine Redenschreiber das auch gerne tun.
Ja, die Patriotismuspassage hat er mit einem Zitat aus der Kinderhymne abgebunden, womit Brecht ein zweites Mal in der Rede zu Ehren kam. An anderer Stelle hatte er sich schon für einen Satz aus der Dreigroschenoper - »Ja, mach nur einen Plan« - entschieden.
Von der Rede wurde viel erwartet. Haben Sie in solchen Situationen noch Lampenfieber?
Natürlich spürt man vor einem solchen Ereignis den Druck, das können Sie auch Lampenfieber nennen. Alle sind angespannt, man sitzt in diesen improvisierten Parteitagsbüros und wartet, bis es losgeht. Das ist so ein bisschen wie vor einem Fußballspiel. Irgendwann sagt der Trainer: Geht raus und spielt. Schröder musste vor der Rede noch ein kompliziertes Telefonat mit EU-Kommissionspräsident Prodi führen. Dann war der Moment gekommen, wir wussten, wir hatten unsere Arbeit getan, jetzt kommt es auf ihn an. Nur auf ihn.
Reinhard Hesse, 47, ist einer der Redenschreiber von Gerhard Schröder. Er wirkte an der Rede des Kanzlers am 17. November auf dem SPD-Parteitag mit, in der Schröder seine Partei auf die Reformpläne einstimmte
Der Reformlotse
Herr Professor Kirchhof, Mitte November haben Sie Ihr Steuermodell vorgelegt. Es war der einfachste und radikalste aller Reformansätze, ein Gesetzestext, der auf neun Seiten Platz hat und einen Steuersatz von 25 Prozent auf jede Form von Einkommen vorsieht. Das, worauf sich Regierung und Opposition nun am 15. Dezember im Vermittlungsausschuss geeinigt haben, ist weit davon entfernt. Sind Sie enttäuscht?
Nein, ich glaube, dass dies ein erster kleiner Schritt ist auf dem Weg zur großen Reform. Man hat mit dem Subventionsabbau begonnen, wenn auch nicht ausreichend. Man hat die Steuersätze gesenkt, wenn auch sehr zaghaft. Man hat die Richtung vorgezeigt, nun muss ein großer Wurf folgen. Die Erwartungen der Menschen, die Bedürfnisse der Wirtschaft drängen unausweichlich auf eine Strukturreform. Man hatte in der vergangenen Zeit mitunter den Eindruck, dass die deutsche Politik sich bei grundlegenden Veränderungen schwer tut. Ich darf an den großen Wurf vor 14 Jahren erinnern: die Wiedervereinigung. Damals hat die Welt den Atem angehalten ob der Reformfähigkeit Deutschlands. Noch sind wir davon ein bisschen erschöpft. Aber diese Erschöpfung müssen wir überwinden und die nötigen Reformen angehen: im Arbeitsrecht, im Sozialrecht und im Steuerrecht.
Ist unsere Gesellschaft denn zu so grundlegenden Reformen überhaupt in der Lage?
Ich stehe seit über 25 Jahren als Professor im Hörsaal. Und wir hatten eigentlich noch nie eine so aufgeschlossene, artikulationsfähige, auch an den Grundsatzfragen interessierte Studentengeneration wie heute. Eine, die sich auch mit Kulturfragen und mit Fragen der Menschenrechte beschäftigt, die sich bewusst ist, dass sie dieses schöne Rechtssystem in vielen Details wesentlich erneuern muss - und das auch tun will. Also: Wenn wir es nicht schaffen, dann schafft es die nächste Generation. Aber besser wäre es, wir würden nicht so lange warten.
Paul Kirchhof, 60, Steuerexperte und früherer Bundesverfassungsrichter, schlug ein neues, ganz einfaches Einkommen- und Unternehmensteuerrecht vor
Deutschland ist Weltmeisterin
Lassen Sie uns über Geld reden.
Das ist ein wichtiges Thema im Frauenfußball, weil es so ein großes Problem ist. Fehlende Sponsoren sind ja der Grund, warum sogar namhafte Frauenfußballmannschaften eingehen. Zum Beispiel der TSV Siegen, bei dem ich früher gespielt habe, oder davor Bergisch Gladbach. Einfach verschwunden. Wir müssen Firmen dazu bringen, den Frauenfußball zu unterstützen.
Viel mehr, als die Weltmeisterschaft zu gewinnen, können Sie dafür wohl nicht tun, oder?
Das ist natürlich ein toller Erfolg, und nun hat die Nationalmannschaft auch mit Katjes erstmals einen eigenen Sponsor gefunden. Aber das reicht nicht. Wichtig ist, dass das Geld auch in die unteren Klassen fließt, damit das Niveau der Bundesliga steigen kann. Jetzt ist es ja so, dass die Frauen meistens nur drei-, viermal in der Woche trainieren können, einfach deshalb, weil viele noch acht, neun Stunden am Tag arbeiten müssen.
Sie aber nicht, oder?
Ich bin eine von sechs DFB-Frauen, die in der Sportfördergruppe der Bundeswehr sind. Mein Dienstplan ist mein Trainingsplan.
Konnten Sie mit der WM Ihren Sold aufbessern?
Die Sporthilfe zahlt Amateursportlern 6000 Euro, wenn sie eine Weltmeisterschaft gewinnen - das gilt für alle Sportarten. Nach der WM hat der DFB beschlossen, den Spielerinnen zudem eine Prämie von 9000 Euro zu zahlen.
Und sonst?
Ich bekomme erst in der nächsten Woche endlich einen Manager. Ich hatte noch kaum Zeit, mich zu vermarkten. In den vergangenen Wochen war ich viel für Fernsehsendungen unterwegs, beim Tigerentenclub, Stars in der Manege und so weiter. Da sieht man, was die WM für einen Frauenfußball-Boom ausgelöst hat.
Und für die Auftritte gibt's kein Geld?
Na ja, Stars in der Manege ist schließlich eine Spendensendung. Es ist doch schon toll, eingeladen zu werden. Und um in der Öffentlichkeit zu stehen, muss man eben oft Dinge machen, die einfach gut für das Prestige sind. Meine Autogrammstunden lasse ich mir inzwischen aber angemessen honorieren.
Was muss man denn machen, um sich gut zu verkaufen?
Geradeaus reden können hilft bestimmt. Aussehen ist nicht alles. Ich werde mir jedenfalls nicht die Haare wachsen lassen. Auch mit einem pfiffigen Kurzhaarschnitt kann man heute sehr werbeträchtig sein, das ist doch in. Aber natürlich ist Aussehen wichtig, auch für mich selbst. Früher dachte ich nur: Hauptsache, ich kann Fußball spielen. Seit ein paar Jahren lege ich mehr Wert darauf, nicht mehr ganz so maskulin zu erscheinen. Ich wollte mich einfach verändern.
Es hatte also nichts damit zu tun, dass Sportkommentatoren über das Aussehen von Spielerinnen lästern?
Das ist ja heute nicht mehr so. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich manche Klamotten, mit denen ich herumlaufen muss, auch nicht so ansprechend finde. Ich fühle mich auch nicht wohl in Hosen und Trikots, die mir viel zu groß sind.
Da wären wir wieder beim Sponsor.
Es wäre natürlich gut, für seine Leistung entsprechend honoriert zu werden. Aber dafür müssen wir das Geld erst einspielen. Wenn man am Wochenende zu einem Frauenfußballspiel ins Stadion geht, sitzen da ein paar hundert Zuschauer - trotz Weltmeisterschaft. Wenn die Männer spielen, sind es schon mal 50 000. Wir müssen einfach dahin kommen, dass die Menschen sich beides angucken - Frauenfußball und Männerfußball. Beim Tennis ging das ja auch, da sah man an einem Tag Boris Becker und am nächsten Steffi Graf.
Dann gäbe es hier auch eine Profiliga für Frauen.
So bald gibt es die bestimmt nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass es in den nächsten fünf bis zehn Jahren Halbprofitum gibt. Dann hätten wir ja viel erreicht. Ich bin 31, das werde ich nicht mehr als Spielerin erleben.
Das heißt, Ihnen bleibt vom WM-Sieg am 12. Oktober vor allem die schöne Erinnerung?
Fürs Erinnern habe ich gerade wirklich keine Zeit. Ich denke eher manchmal: Es ist Dezember, das Jahr ist bald rum, du bist Weltmeister geworden, und so richtig hast du gar nichts davon mitbekommen.
Silke Rottenberg, 31, wurde als Torhüterin der deutschen Nationalmannschaft am 12. Oktober Fußballweltmeisterin. Der überraschende Erfolg hat das Interesse am Frauenfußball angefacht, aber ausgezahlt hat es sich für die Spielerinnen noch nicht
Wo steckt der Pfandschlupf?
Welches war Ihr einprägsamster Tag 2003?
Wir wollen doch über das Dosenpfand reden. Da habe ich mehrere einprägsame Tage erlebt. Wollen Sie die alle hören?
Wenn es nicht zu lange dauert.
Erstens, der 3. Juni. Die Mitglieder der so genannten Lenkungsgruppe scheitern damit, ein einheitliches Pfandrücknahmesystem für Dosen einzuführen. Zehn Tage später, am Freitag, dem 13., erklärt Bundesumweltminister Trittin, dass er die Verpackungsverordnung auf jeden Fall umsetzen wird - ob mit oder ohne einheitliches System. Ich habe damals als Vertreter des einzigen Großunternehmens in der Lenkungsgruppe gesagt: »Gut, lasst es uns probieren.« Wir ließen auf unsere Produkte ein P drucken, sodass jeder, der seine Dose zurückbringt, ohne Bon ein Recht auf das bezahlte Pfand hat. Damals hieß es noch, ab 1. Oktober dürfe es bundesweit keine Bons mehr geben. Und dann beschließen am 17. September plötzlich ein paar Beamte der Länder und des Bundesumweltministeriums in einer außerordentlichen Sitzung, dass die Zettelwirtschaft mit den Bons ein Jahr verlängert wird. Unglaublich!
Irgendwann muss in der erwähnten Lenkungsgruppe der Begriff des »Pfandschlupfs«, des nicht eingelösten Pfandgeldes, aufgekommen sein. Wann haben Sie zum ersten Mal davon gehört?
Das muss im Januar gewesen sein. Frau Künast, die sich als Verbraucherministerin versteht, hat dieses Wort eingeführt. Allein das Wort ist glitschig wie ein Aal. Künast meinte, weil so viele Kunden die Dosen nicht zurückbrächten, könnte man - schlupf, schlupf - das angeblich überschüssige Geld in einen Fonds einzahlen. Was ist daran verkehrt? Das Bundeswirtschaftsministerium hat errechnet, dass 450 Millionen Euro Pfandgeld nicht eingelöst wurden. 75 Millionen soll der Bund an Mehrwertsteuer einbehalten haben, der Rest müsste also bei Ihnen liegen.
Dieses Geld haben nicht wir Groß-, sondern die Einzelhändler. Noch mal: Erst macht man uns mit der Dosenpfand-Verordnung, einer Betonwalze gleich, das Geschäft kaputt. Dann entdeckt man, dass noch ein Krümel übrig ist. Und den will man jetzt auch noch.
Dieser Krümel ist fast eine halbe Milliarde Euro wert.
Wenn Sie eine Pfanddose in einer Tankstelle kaufen, zahlen Sie 25 Cent mehr. Wenn Sie diese Dose dann nicht zurückbringen, wandert sie vielleicht in den Müll. Jetzt hat zwar der Einzelhändler 25 Cent kassiert, aber er kann sie nicht als Gewinn verbuchen. Denn vielleicht kommen Sie doch noch und wollen Ihr Geld zurück. Vielleicht kommen Sie morgen oder in einer Woche, vielleicht aber auch erst in zwei Jahren. Für diesen Fall muss der Kaufmann eine Rückstellung bilden.
Aber vielleicht komme ich auch nie. In Schweden soll es an Rücknahme-Automaten einen Knopf geben, mit dem das Pfand für einen guten Zweck gespendet werden kann. Statt Pfandbon wird eine Spendenquittung ausgedruckt.
Das ist doch nicht das Problem. Damit wir den Schlupf überhaupt spenden können, müssten wir ihn erst mal finden. Aber er ist wie ein Geist. Wenn Sie mich heute fragen, wo steckt denn Ihr Schlupf und wie hoch ist Ihr Schlupf, zucke ich mit den Schultern - ich kann es nicht wissen. Wer weiß schon, wie die Verpackungsverordnung in ein paar Monaten aussieht?
Christian Berner, 50, Chef des Lebensmittelkonzerns Lekkerland-Tobaccoland. Die Firma beliefert 70 000 Tankstellen und Kioske in Deutschland und setzte 2002 rund 7,3 Milliarden Euro um
(Teil 2 folgt)
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