Schlingensief: "Der Bundespräsident leidet an Selbstüberschätzung"
Hamburg (ots)
Die Forderungen von Bundespräsident Horst Köhler nach größerer "Werktreue" im deutschen Theater haben heftigen Widerspruch unter Theaterleuten ausgelöst. Köhler hatte am Wochenende in Berlin in einer Feierstunde zum 200. Todestag Friedrich Schillers gesagt, das Entstauben und Problematisieren klassischer Stücke erscheine ihm "wie der Ausweis einer neuen arroganten Spießigkeit".
Der Regisseur Christoph Schlingensief wirft dem Bundespräsidenten in der ZEIT vor, Köhler wolle das deutsche Theater auf eine Museumsinsel verbannen. Schlingensief: "Der Bundespräsident (oder sein Redenschreiber) leidet an Selbstüberschätzung - und weil er diese mit dem überwiegenden Teil der Theaterschaffenden gemein hat, hat er allen Grund, sich nach jüngsten Kanzelreden zu Arbeitsmarkt und Turbokapitalismus jetzt ebenso inhaltsleer zum Theater zu äußern ... Der Bundespräsident wäre zu unser aller Gunsten an diesem Morgen lieber im Bett geblieben, schließlich, so George Bernard Shaw,ist auch Schlafen eine Form der Kritik, vor allem im Theater'." Köhlers Rede, so Schlingensief, habe "den scheintoten Zustand der (Theater-)Kultur und der (Kultur-)Politik einmal mehr ganz klassisch unter Beweis gestellt".
Carl Hegemann, Chefdramaturg der Berliner Volksbühne, schreibt in der ZEIT, mit Kunst habe Köhlers Theatersicht nichts und mit Schiller wenig zu tun. Der Bundespräsident verkenne Schillers innovatives Potenzial völlig. Hegemann: "Schiller war ein Revolutionär. Wer ihn ernst nimmt, kann ihn nicht historisieren. Köhler leistet einen klammheimlichen Beitrag zur Schiller-Vernichtung. Für künftige kulturpolitische Auftritte sollte er sich einen weniger kleinmütigen Ghostwriter suchen - am besten einen Marketingstrategen wie Schiller."
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