Wolfgang Leonhard über seine verlorene Jugend: Stalin statt Sex
Hamburg (ots)
Als der Publizist Wolfgang Leonhard, 84, ein junger Mann war, hieß es für ihn Stalin statt Sex: "Alles, was üblicherweise Kindheit oder Jugend ausmacht, ist mir in meinem Leben entgangen: Tanzen gehen, in Bars herumlungern, mit Mädchen flirten, all das kannte ich nicht. Typische Kindheitsträume habe ich nie geträumt." Stattdessen habe er "die großen Wendungen der Zeitgeschichte" durchlebt, sagt er der ZEIT.
Nach Kindheitsjahren in Berlin und schwedischem Exil ging er mit seiner Mutter 1935 nach Moskau und verbrachte seine Jugendjahre in der Sowjetunion, wo er an der Komintern-Schule ideologisch ausgebildet wurde. Leonhard: "Alle denken immer, dass Sex so wichtig wäre. Aber nicht bei Stalin! Ich war ununterbrochen mit zehn, zwanzig Studenten oder Genossen im Zimmer, da gab es das alles nicht. Wie hätte man sich sonst aufs Prawda-Lesen konzentrieren sollen? Wer sich durch persönliche Erfahrungen beeinflussen ließ, machte sich des kleinbürgerlichen Individualismus schuldig, hieß es."
Leonhard: "Sechzig Jahre nach Kriegsende sind meine Träume einer Gesellschaftsordnung erwachsen geworden. Ich träume heute von einer revitalisierten Demokratie, die die Überwindung aller unnötigen Gesetze bedeutet. Von einer allmählichen Wandlung eines bürokratischen Verordnungsstaates hin zu einer aufklärenden Demokratie mündiger Bürger, die sich mehr und mehr an Entscheidungsprozessen beteiligen. Von einer Ordnung, die Gesetze nur erlässt, wenn fünfmal mehr dafür außer Kraft gesetzt werden. In meiner Vision muss jedes Gesetz nach maximal fünf Jahren auf den Prüfstand und völlig neu überdacht werden."
Den kompletten Beitrag der ZEIT Nr. 20 vom 12. Mai 2005 senden wir Ihnen gerne zu.
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