Gewebekultivierung im Labor: Fitnessprogramm für Zellen
Mit ihrer Dissertationsarbeit hat Dr. Amelie Erben eine Grundlage geschaffen für die künftige Kultivierung von Gewebe im Labor: Ein Proteingerüst aus dem 3D-Drucker liefert Zellen eine optimale Umgebung für ihre Entwicklung.
München, 16. Januar 2024 – „Zellen brauchen Halt, um sich zu entwickeln“, erklärt Dr. Amelie Erben. „Im lebenden Organismus werden sie gestützt durch ein Netzwerk von Eiweißverbindungen, den Proteinen. Diese sind sozusagen das Fitnessgerät, an dem sich die Zellen festhalten und ihre künftige Funktion trainieren können. Züchtet man Gewebe im Labor, muss man das Proteingerüst, die extrazelluläre Matrix, künstlich herstellen.“ In ihrer Dissertationsarbeit ist es der Maschinenbauerin vom Centrum für Angewandtes Tissue Engineering und Regenerative Medizin (CANTER) der Hochschule München und dem Heinz Nixdorf Lehrstuhl für Biomedizinische Elektronik der Technischen Universität München (TUM) jetzt gelungen, die hochaufgelöste extrazelluläre Matrix für Laborzellen mit einem 3D-Drucker herzustellen.
Forscher-Teams auf der ganzen Welt arbeiten seit Jahrzehnten daran, die Herstellung von Gewebe im Labor zu verbessern. Das Ziel ist es, aus einzelnen Zellen ein bestimmtes, funktionsfähiges Gewebe zu züchten – beispielsweise Haut, Neuronen, Herzmuskeln oder Lungenbläschen. Für dieses Tissue Engineering gibt es eine Vielzahl von Anwendungen: beispielsweise in der Transplantationsmedizin und bei der Medikamentenentwicklung.
Verschweißte Proteinketten
„Entscheidend beim Tissue Engineering ist die dritte Dimension“, betont Erben. „Jeder Zelltypus ist anders und braucht eine ganz spezielle, räumliche Protein-Struktur, um sich zu entwickeln. Im Labor muss man die dreidimensionalen Protein-Strukturen künstlich schaffen: Und je genauer diese mit dem natürlichen Vorbild übereinstimmen, desto besser.“
Die Forscherin konnte jetzt – am Beispiel von Lungengewebe – zeigen, dass sich die Proteinumgebung mit Hilfe eines 3D-Druckers sehr präzise herstellen lässt. „Die Kultivierung von Lungenbläschen, den Alveolen, ist eine besondere Herausforderung, weil diese von einer extrem dünnen extrazellulären Matrix gebildet werden, durch die der Sauerstoff an den Blutkreislauf abgegeben wird“, erläutert Erben. “Daher muss die umgebende Proteinstruktur besonders präzise aufgebaut sein.“
Für den Druck der nur wenige Micrometer dünnen 3D-Struktur nutzte die Maschinenbauerin die Zwei-Photonen-Stereolithographie, am Max-Planck für Biochemie, ein Verfahren, bei dem – Schicht für Schicht – Proteine an bestimmten Punkten miteinander zu Ketten verschweißt werden. Die Steuerbefehle für den Drucker basierten auf einer umfangreichen Analyse von echtem Lungengewebe: „Wir wollten dem natürlichen Vorbild bezüglich Geometrie, Stabilität und biochemischer Zusammensetzung möglichst nahekommen“, erinnert sich die Ingenieurin. Erste Experimente haben mittlerweile gezeigt, dass sich die Zellen in dieser gedruckten Umgebung tatsächlich gut vermehren und Eigenschaften aufweisen, die denen von natürlichem Lungengewebe ähnlich sind.
Der nächste Schritt: Gefäße zur Versorgung des gezüchteten Gewebes
Im zweiten Teil ihrer Forschungsarbeit hat Erben eine dreidimensionale Proteinstruktur mit einem 80 Mikrometer dünnen Kanal gedruckt. Durch diesen soll künftig die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen simuliert werden. „Damit haben wir den Grundstein gelegt für die systematische Erforschung der dreidimensionalen Zellinteraktionen bezüglich der strukturellen, mechanischen und biomolekularen Reize“, resümiert Erben. Das Proteingerüst aus dem 3D-Drucker werden Forschende vom Comprehensive Pneumology Center, Helmholtz Zentrum München und vom Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme in Stuttgart nutzen, um die Reaktionen der Zellen auf die verschiedenen Reize zu erforschen und die Gerüststruktur weiter an das natürliche Vorbild anzunähern.
Gerne vermitteln wir einen Interviewtermin mit Dr. Amelie Erben.
Kontakt: Christiane Taddigs-Hirsch unter T 089 1265-1911 oder per Mail.
Amelie Erben
Erben studierte im Bachelor Ingenieurwissenschaften an der Technischen Universität München gefolgt von einem Master in Maschinenwesen mit Schwerpunkt Medizintechnik. Während ihrer Semesterarbeit forschte sie am Cees Dekker Lab, Department of Bionanoscience, der Technischen Universität Delft an der Reparatur von zweisträngigen DNA-Brüchen. Anschließend forschte sie am Centrum für Angewandtes Tissue Engineering und Regenerative Medizin (CANTER) der Hochschule München. Betreut wurde sie von Prof. Dr. Hauke Clausen-Schaumann, sowie am Heinz Nixdorf Lehrstuhl für Biomedizinische Elektronik im translationalen Krebsforschungszentrum, TranslaTUM, der Technischen Universität München, von Prof. Dr. Oliver Hayden. Unterstützt wurde sie durch die Nutzung der Zwei-Photonen-Stereolithographie im Labor des Max-Plank-Institut für Biochemie.
Publikationen
Amelie Erben, Marcel Hörning, Bastian Hartmann, Tanja Becke, Stephan A. Eisler, Alexander Southan, Séverine Cranz, Oliver Hayden, Nikolaus Kneidinger, Melanie Königshoff, Michael Lindner, Günter E. M. Tovar, Gerald Burgstaller, Hauke Clausen-Schaumann, Stefanie Sudhop, and Michael Heymann (2020), Precision 3D-Printed Cell Scaffolds Mimicking Native Tissue Composition and Mechanics, Adv. Healthcare Mater., DOI: 10.1002/adhm.202000918
Jun Zhang, Patrick Byers, Amelie Erben, Christine Frank, Levin Schulte-Spechtel, Michael Heymann, Denitsa Docheva, Heinz P. Huber, Stefanie Sudhop, Hauke Clausen-Schaumann (2021), Single Cell Bioprinting with Ultrashort Laser Pulses, Adv. Funct. Mater., DOI: 10.1002/adfm.202100066
Amelie Erben, Thomas Kellerer, Josefine Lissner, Constanze Eulenkamp, Thomas Hellerer, Hauke-Clausen-Schaumann, Stefanie Sudhop and Michael Heymann (2022), Engineering Principles and Algorithmic Design Synthesis for Ultracompact Bio- Hybrid Perfusion Chip, bioRxiv preprint, DOI: 10.1101/2022.03.16.484492
Francisco Zurita*, Leroy Grob*, Amelie Erben*, Fulvia Del Duca, Hauke Clausen- Schaumann, Stefanie Sudhop, Oliver Hayden, Bernhard Wolfrum, Fully 3D-printed cuff electrode for small nerve interfacing, Fully 3D-printed cuff electrodes for small nerve interfacing, submitted to Advanced Materials Technologies in 2022 * these authors contributed equally to this paper
Journal Covers
Amelie Erben, Marcel Hörning, Bastian Hartmann, Tanja Becke, Stephan A. Eisler, Alexander Southan, Séverine Cranz, Oliver Hayden, Nikolaus Kneidinger, Melanie Königshoff, Michael Lindner, Günter E. M. Tovar, Gerald Burgstaller, Hauke Clausen- Schaumann, Stefanie Sudhop, and Michael Heymann (2020), High Precision 3D Bio- printing: Precision 3D-Printed Cell Scaffolds Mimicking Native Tissue Composition and Mechanics. Adv. Healthcare Mater., DOI: 10.1002/adhm.202070087
Hochschule München Die Hochschule München ist mit über 500 Professor:innen, 820 Lehrbeauftragten und über 18.500 Studierenden eine der größten Hochschulen für angewandte Wissenschaften Deutschlands. In den Bereichen Technik, Wirtschaft, Soziales und Design bietet sie rund 100 Bachelor- und Masterstudiengänge an. Exzellent vernetzt am Wirtschaftsstandort München, arbeitet sie eng mit Unternehmen und Institutionen zusammen und engagiert sich in praxisnaher Lehre und anwendungsorientierter Forschung. Die HM belegt im Gründungsradar des Stifterverbands deutschlandweit erneut den ersten Platz unter den großen Hochschulen und Universitäten. Neben Fachkompetenzen vermittelt sie ihren Studierenden unternehmerisches und nachhaltiges Denken und Handeln. Ausgebildet im interdisziplinären Arbeiten und interkulturellen Denken gestalten ihre Absolvent:innen eine digital und international vernetzte Arbeitswelt mit. In Rankings zählen sie bei Arbeitgeber:innen zu den Gefragtesten in ganz Deutschland. hm.edu