Schwäbische Zeitung: Hohe Erwartungen - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Es ist eine Wahl, die für dieses Jahr gar nicht vorgesehen war. Morgen bestimmt die Bundesversammlung in Berlin den neuen Bundespräsidenten. In den nächsten Wochen folgen drei weitere Wahlen in den Ländern, alle drei ungeplant. Das zeigt, in welcher Unruhe zur Zeit regiert wird. Nicht nur in Berlin und den Ländern, erst recht auf europäischer Ebene. Auf nichts scheint mehr Verlass zu sein. Unzufriedenheit entlädt sich bei den Handelnden. Die allgemeine Politik- und Parteiverdrossenheit hat ein gefährliches Ausmaß erreicht. Es ist oft schon die schiere Verachtung, die den Akteuren entgegenschlägt.
In solch einer Situation sehnen sich viele nach einem "unpolitischen" Präsidenten, einem, der keine Parteikarriere hinter sich hat. Joachim Gauck, der aller Wahrscheinlichkeit nach neue Präsident, ist genau der Mann, den die Deutschen sich wünschen. Doch manche verkennen ihn. Gauck ist zwar nicht operativ politisch tätig, aber er ist ein hochpolitischer Kopf. Den setzt er unter anderem dafür ein, die Notwendigkeit von Parteien zu betonen und um Vertrauen in die Demokratie zu werben. Aber auch dazu, den Deutschen zu erzählen, dass es nicht nur um Freiheit von etwas geht, sondern auch um die Freiheit zu etwas. Um die Ermutigung, sich für die Allgemeinheit einzusetzen, aktiv zu werden.
Gauck ist rethorisch geschliffen, er kann Debatten anstoßen. Und er wird ganz sicherlich nicht nur "der, der immer mit der Freiheit kommt" bleiben. Er wird auch Themen wie Europa oder die soziale Gerechtigkeit ansprechen. Und dies vielleicht nicht immer zur Zufriedenheit aller. Gauck kommt in der Popularitätskurve von ganz oben an. Seine Beliebtheit kann sinken. Doch sein Wertekompass wird ihm bleiben. Alles spricht für eine interessante Präsidentschaft.
Die Qualität des politischen Personals bestimmt die Stärke eines Gemeinwesens mit. Schön, dass nach menschlichem Ermessen der morgige Sonntag eine Stärkung bringen wird.
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