Schwäbische Zeitung: Beim Betreuungsgeld die Würde der Armen achten - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Die Diskussion um das Betreuungsgeld nimmt bizarre Züge an. Nun werden die Armen diffamiert. "Herdprämie" schimpfen die einen. Totalitäre Zwangserziehung wittern die anderen in Kitas. Und jetzt die Schlagzeile: "Hartz-IV-Empfänger sollen kein Betreuungsgeld bekommen." Die juristische Begründung ist noch die stichhaltigste. Aber die Argumente mancher Familienpolitiker werfen ein ganz anderes Licht auf die Angelegenheit: Die befürchten "Fehlanreize" für Arme. Will sagen: Papa oder Mama, die auf Hartz IV sind, schicken ihre Kinder nicht in die Kita, sondern legen die 100 Euro Betreuungsgeld lieber in Schnaps und Zigaretten an.
Machen wir uns eigentlich klar, was für ein Menschenbild hinter diesem Klischee steckt? Die, die sich's leisten können, bleiben zu Hause und kümmern sich liebevoll um den Nachwuchs. Die, die zu Hause bleiben müssen, weil sie keine Arbeit haben, hängen den ganzen Tag vor der Glotze rum, versaufen ihre Grundsicherung und lassen die Kinder verwahrlosen.
Man muss ja nicht das Armutspathos bemühen, wie es uns in den Märchen von Andersen oder den Romanen von Dickens begegnet: Hier arm und gut, da reich und böse. Aber was haben wir denn heute für ein Bild des armen Menschen? Sollte es womöglich das sein, das uns Tag für Tag in "Dokumentationen" im Privatfernsehen vermittelt wird? Leute in Ballonseide sitzen in geschmacklosen Wohnungen und stellen schlecht artikulierend ihre prekäre Lebenssituation aus.
Diese Wahrnehmung ist verzerrt. Es kann nicht angehen, dass wir alle, die auf die Unterstützung des Gemeinwesens angewiesen sind, als unfähige Sozialschmarotzer diffamieren. Die Politik sollte nicht mit der Unterstellung arbeiten, dass einer mit dem Arbeitsplatz auch die Fähigkeit verliert, verantwortungsvoll zu handeln. Die Diskussion darüber, wie der Staat das Leben der Familien erleichtern kann, ist schwierig. Über all dem sollten wir den Armen in unserer Gesellschaft nicht auch noch die Würde absprechen.
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