Schwäbische Zeitung: Signalfeuer von der Küste - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Es geht um Kiel und mehr. Wenn am Sonntag an der Küste gewählt wird, steht auch eine neue politische Farbenlehre für das ganze Land an. Das Parteiensystem wird gerade kräftig durchgerüttelt, die bekannte politische Lagerbildung funktioniert nicht mehr. Selbst wenn - wie erwartet - der FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki einen Adrenalin-Stoß für seine todkranke Partei erreichen kann, scheint Schwarz-Gelb zum Modell von gestern zu werden. Das weiß auch Kanzlerin Angela Merkel. Sie schert sich aber demonstrativ wenig darum, solange ihre Christdemokraten stark sind und sie selbst an der Regierung bleibt.
Tatsächlich profitiert von der Schwäche der Liberalen nicht zwangsläufig Rot-Grün. Das Aufkommen der Piraten nagt an der linken Seite des Parteienspektrums. Es gibt einige Christdemokraten, die dies mit Freude sehen und die Piraten offen hofieren. Verantwortungsvolle Christdemokraten raten dagegen von solch einer Haltung ab. Denn die Zersplitterung der Parteienlandschaft hat vielleicht eine vorübergehend belebende Wirkung. Sie hat der Demokratie auf Dauer aber selten gutgetan.
Während neue Protestparteien wachsen, werden die Linken schwindsüchtig. Mit ihrer wurstelnden Parteispitze manövrieren sie sich in die Bedeutungslosigkeit. Das ist kein Unglück, denn ihre Mission als Ostpartei, für eine Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West zu kämpfen, ist langsam erfüllt.
Sorgen machen aber müssen sich beide Volksparteien. Die SPD kann auch aus der Schwäche von Schwarz-Gelb nicht genug Honig saugen, um mit den Grünen zusammen als Alternative aufzutreten. Die Union, die kaum noch auf ein mehrheitsfähiges Bündnis mit den Liberalen setzen kann, ist zur Zeit auf die SPD angewiesen, wenn sie regieren will. Große Koalitionen aber sind bisher immer eine gute Notlösung für schlechte Zeiten gewesen, haben aber die schlechte Nebenwirkung, in guten Zeiten Politikverdrossenheit weiter zu schüren.
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