Schwäbische Zeitung: Mängel sind die Regel - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Der Kabarettist Wilfried Schmickler hat kürzlich sarkastisch gereimt, das es doch normal sei, "wenn beim Verfassungsschutz wieder einmal keiner wusste, was er wusste, als er eigentlich wissen musste, was alle wissen konnten, aber keiner wissen wollte, und dementsprechend auch keiner gewusst haben will".
Alles, was im Zusammenhang mit den Morden der rechtsextremen NSU-Terroristen seit knapp einem Jahr an die Öffentlichkeit gelangt, macht einen noch viel schlimmeren Eindruck als das Wortspiel Schmicklers. Die Verfassungsschutzorganisationen - oder sprechen wir lieber von unkoordinierten, diversen und selbstherrlich agierenden Geheimdiensten - beschädigen massiv unser Gemeinwesen, sie schaden der Bundesrepublik Deutschland. Der Eindruck kommt ja nicht von ungefähr, dass vertuscht werden soll, dass gewählte Abgeordnete in Untersuchungsausschüssen nur Halbwahrheiten präsentiert bekommen, dass noch längst nicht alles auf den Tisch gelegt worden ist. Die eine Schredder-Aktion war demnach Zufall, die andere eine Dummheit, die dritte schwer zu erklären. Von der vierten und fünften reden wir gar nicht mehr. Wer ein System dahinter vermutet, wird als Schwarzmaler diskreditiert. Nun ist die Berliner Verfassungsschutzpräsidentin zurückgetreten. Wegen einer widerrechtlichen Schredder-Aktion. Doch diese Demission reicht nicht. Erstens ist eine Aktenvernichtung im Umfeld von NSU-Ermittlungen eine Beweisvernichtung und gehört strafrechtlich verfolgt, und zweitens müssen endlich Maßnahmen ergriffen werden, die wieder ein Grundvertrauen in den Verfassungsschutz ermöglichen. Wer anfangs lediglich von persönlichem Fehlverhalten einiger Nachrichtendienstler ausging, muss mittlerweile zur Kenntnis nehmen, dass strukturelle Mängel nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellen.
Deutschland muss die Geheimdienste ganz neu aufbauen und ausrichten. Die aktuelle Stümperei gefährdet die Akzeptanz des demokratischen Rechtstaats. Betroffenheitsadressen an die Angehörigen der Opfer reichen nicht aus.
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