Schwäbische Zeitung: Stuttgart 21 macht nervös - Leitartikel
Ravensburg (ots)
Zum Koalitionsbruch führt das jüngste Zerwürfnis zwischen dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel sicher nicht. Doch im Disput um Stuttgart 21 stößt das Bündnis regelmäßig an die Grenzen seiner Belastbarkeit. Das wird auch so bleiben. Beide Parteien sind nun mal mit völlig unterschiedlichen Positionen zu dem Milliardenprojekt in den Wahlkampf gegangen. Der Volksentscheid schaffte denn auch nur punktuell Klarheit. Kretschmann und die Grünen wurden zum Rollentausch gezwungen und müssen den Weiterbau als Partner begleiten.
Insbesondere dem Hauptkritiker im Regierungslager, dem grünen Verkehrsminister Winfried Hermann, lieferte die Bahn allerdings genügend Argumente, nicht alles so hinzunehmen und nachzuhaken. Die Kosten werden um gut zwei Milliarden Euro steigen. Ein Ärgernis. Aber auch als Bauherr steht die Bahn nicht gut da. Ein Teil der Verzögerungen ist durch eigene Versäumnisse entstanden. Noch ein Ärgernis. Diese Fakten machen die Befürworter von SPD, CDU und FDP bisweilen so nervös und aggressiv.
Winfried Kretschmann muss als Ministerpräsident das Wohl des Landes, den Zusammenhalt in der Koalition und die Stimmung in seiner Partei gleichermaßen im Auge behalten. Das glückte zuletzt nicht immer. Er machte das Fass auf, bei einer Neuplanung des Flughafenbahnhofs eine weitere Geldspritze nicht völlig auszuschließen. Heftige Irritationen bei der SPD löste er mit seiner Ankündigung aus, er würde mit der Bahn auch über Alternativen verhandeln. Dabei wollte er keine Ausstiegsdebatte anzetteln - und tat es indirekt doch. Nun wäre es ein Widersinn, einen nicht mehr willigen Partner per Klage zum Weiterbau zwingen zu wollen. Aber bei Stuttgart 21 verläuft vieles nicht mehr rational. Claus Schmiedels Begriff vom "Affront" durch Kretschmanns Antwort an den Aufsichtsrat passt dazu. Der entschied sich am Diensatg aber für den Weiterbau. Kretschmann weiß jetzt, dass er noch mehr in der Pflicht steht, die Lage wieder zu beruhigen.
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