Schwäbische Zeitung: Leitartikel - Politischer Baustellenatlas
Ravensburg (ots)
Vielleicht liegt es ja doch an Angela Merkel. An der ruhigen Art, den Menschen mitzuteilen, dass sie schon alles regeln wird, dass die Regierung alles im Griff hat. Vielleicht auch an der Temperamentlosigkeit deutscher Politik insgesamt. Oder positiv ausgedrückt, an der Besonnenheit der Handelnden. Auf jeden Fall haben die Deutschen mehr Vertrauen in ihre Politiker als im Vorjahr, mehr auch als vor zehn Jahren - und das trotz Wahlkampf. Gewöhnlich halten gerade in dieser Zeit die Bundesbürger ihre Politiker für besonders schrecklich - und überfordert. Jetzt aber sind sie mehrheitlich der Ansicht, dass die Volksvertreter die bevorstehenden Herausforderungen schon schaffen werden.
"Et hätt noch immer jot jejange", das alte Adenauersche Motto scheint sich tief ins Bewusstsein eingegraben zu haben. Die Deutschen sind selten entspannt und realistisch zugleich. Es bedurfte wohl gar nicht Wolfgang Schäubles Warnung, dass Europa noch Geld kosten wird. Die Befragten wissen es selbst. Ihre Top-Angst ist, dass sie als Steuerzahler die hohen Kosten der Eurokrise schultern müssen. Damit Hand in Hand geht ihre Sorge, dass niedrige Zinsen und Inflation die Ersparnisse auffressen. Angst haben viele Deutsche auch vor den steigenden Lebenshaltungskosten. Auch das ist nur realistisch, wenn man auf die kletternden Mieten und Energiepreise schaut.
Überhaupt ist die Studie eine Art Baustellenatlas der Politik. Nicht von ungefähr haben 55 Prozent der Deutschen Angst, als Pflegefall zu enden. Hier besteht großer Nachholbedarf. Es fehlt an Pflegekräften, es fehlt an ambulanter Versorgung, es fehlt an Alternativen zum Heim. Frauen, die in ihren Familien oft auch die Pflegenden sind, haben aus ihrer Erfahrung heraus noch mehr Angst als ihre Männer.
Sehr verwunderlich ist jedoch, dass die ängstlichsten Westdeutschen in Hessen und Bayern leben und die - mit Abstand - sorglosesten in Berlin. Warum das so ist, darauf weiß vielleicht nur Horst Seehofer ein Antwort.
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