Schwäbische Zeitung: Gemächlicher Aufbruch - Leitartikel
Ravensburg (ots)
Die Grünen haben sich nicht neu erfunden. Sie sind auch nicht anders als gestern. Eine Kehrtwende bei ihrem Wirtschaftskurs, für den die Wahl der Wirtschaftsexpertin Kerstin Andreae an die Fraktionsspitze gestanden hätte, haben sie nicht vollzogen. Aber sie mühen sich, den Ursachen ihrer Wahlschlappe auf den Grund zu gehen. Sie tauschen ihr Spitzenpersonal aus, sie vollziehen den Generationswechsel und sie denken über ihren Markenkern nach.
"Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert." Dieses Motto des Schriftstellers Giuseppe Tomasi di Lampedusa beherzigen die Grünen. Ihnen bleibt auch nichts anderes übrig, denn ihre wichtigste Forderung, der Atomausstieg, wird gerade erfüllt. Der Umweltschutz als Kernanliegen ist im Bewusstsein der meisten angekommen, gesund ernähren und umweltbewusst verhalten wollen sich auch CDU- oder SPD-Wähler.
Die Grünen müssen die Frage neu beantworten, wofür sie stehen. "Erhalten, was uns erhält", hat die scheidende Fraktionschefin Renate Künast als Motto vorgeschlagen. Die libertären Wurzeln zu stärken, rät Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer. In der Mitte der Gesellschaft den Platz zu suchen, empfiehlt Winfried Kretschmann. Die Grünen streben nach einer Mischung aus alledem.
Das heißt aber nicht, dass die Grünen von heute auf morgen im Bund zusammen mit der Union regierungsfähig oder -willig wären. Ihren Linkskurs im Wahlkampf halten große Teile der Partei nach wie vor für richtig. Und wer sich Leidenschaft und Energie der Grünen-Chefin Claudia Roth in der Flüchtlingsfrage anhört und dann Innenminister Friedrichs Haltung unter dem Motto "Tragisch, aber kein Handlungsbedarf" sieht, der ahnt, welch tiefe Kluft Schwarz und Grün weiter trennt. Deshalb riecht es derzeit auch weit mehr nach Großer Koalition als nach Schwarz-Grün in Berlin. Zumal CSU-Chef Horst Seehofer alles tut, um den Grünen die Laune schon vor der ersten Sondierung am Donnerstag zu verderben.
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