Schwäbische Zeitung: Kommentar: Jedem seine Ukraine
Ravensburg (ots)
Diese Bilder aus Kiew tauchen alle paar Jahre auf den Fernsehschirmen auf: Viele, meist junge Ukrainer demonstrieren auf dem Maidan, dem Platz der Unabhängigkeit. Das sind, wie uns Brüssel und Berlin glauben machen, die guten Ukrainer, die nämlich für Europa sind. Die Bösen sind nach dieser Lesart eher ältere, düstere sowjetische Kräfte um Präsident Viktor Janukowitsch, die den Anschluss an Russland und dessen angebliche Kultur der Repression suchen.
So interpretiert sich jeder westliche und östliche Beobachter die Ukraine nach seiner Weltanschauung und Interessenslage zurecht. Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle schwelgt und verkennt dabei die Realität, wenn er erklärt, das Land wolle ganz eindeutig nach Westen.
In der Ukraine, die unter der Stalinisierung und der deutschen Wehrmacht endlos gelitten hat, tobt derzeit nicht weniger als ein Kulturkampf. Es geht um bürgerliche Freiheiten, um Sprache, um den Umgang mit der eigenen Geschichte und nicht zuletzt um wirtschaftliche Möglichkeiten.
Natürlich existiert im Westen des Landes ein starker Zug nach Europa, Menschen, die sich politisch, kulturell und wirtschaftlich viel eher uns zugeneigt fühlen als Russland. Aber es gibt eben auch jenen Osten der Ukraine, in dem Oligarchen das Sagen haben und wo noch immer anti-freiheitliche Werte gelten.
Die Bundesregierung und die Europäische Union machen sich und uns etwas vor, wenn sie erklären, die Ukraine wolle nach Europa. Sicher, ein Teil des Landes will dorthin, gemeinsam mit dem Boxer Vitali Klitschko. Ein anderer, wirtschaftlich wichtiger Teil möchte aber nach Russland, auch aus kulturellen Gründen und nicht zuletzt weil es dank russischer Gaslieferungen im Winter warm ist in den ukrainischen Wohnstuben.
Am Ende entscheiden dann die Ukrainer selber, wo die Reise hingeht. Berlin und Brüssel haben da nicht viel zu melden. Aber natürlich die Russen mit ihrem günstigen und lebensnotwendigen Erdgas.
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