"Es ist wichtig, auch Kinder zwischen 5 und 11 Jahren aus Risikogruppen zu impfen"
München (ots)
Die Ständige Impfkommission hat empfohlen, Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren gegen das Coronavirus zu impfen, wenn sie unter Vorerkrankungen wie Asthma oder Adipositas leiden. Doch wie sinnvoll sind Corona-Impfungen für Kinder generell? Und wie gefährlich ist COVID-19 eigentlich für Kinder und Jugendliche? Darüber haben wir mit Prof. Martina Prelog gesprochen - sie arbeitet als Kinder- und Jugendärztin am Kinderklinikum der Universität Würzburg und ist außerdem Fach-Immunologin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGFI).
Frau Prof. Prelog, wie ist die Corona-Situation bei Ihnen in der Kinderklinik?
Prof. Dr. Martina Prelog: Aktuell liegen auf unserer Station keine Kinder, die an einer akuten Corona-Infektion leiden. Was wir aber sehen, ist eine zunehmende Zahl an Kindern, die nach einer - oft durchaus mild verlaufenen - Corona-Erkrankung ein systemisches Entzündungssyndrom entwickeln. Dieses "Pediatric Inflammatory Multisystemic Syndrom", kurz PIMS, führt zu Fieber und deutlich erhöhten Entzündungswerten - und im schlimmsten Falle zu Entzündungen der Gefäße und Organe. Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie führt dazu ein Register, das sehr anschaulich zeigt: Je mehr Coronafälle es unter Kindern gibt, desto mehr PIMS-Fälle gibt es auch. In solchen entzündlichen Erkrankungen sehen wir die eigentliche Hauptbedrohung für Kinder.
Wie gefährlich sind diese Entzündungen?
Prelog: Das ist sehr unterschiedlich. Bei manchen Kindern zeigen sich Entzündungsreaktionen auf der Haut in Form von Ausschlägen im Bereich der Schleimhäute und Augen. Besonders gefürchtet sind Entzündungen der Herzkranzgefäße, was zu einer Beeinträchtigung der Herzfunktion führen kann. Das PIMS betrifft vor allem Kleinkinder und Schulkinder und kann im Extremfall tödlich verlaufen. In Deutschland wurden bisher zum Glück noch keine tödlichen Verläufe berichtet.
Auf welche Weise kann das Coronavirus PIMS hervorrufen und wie behandeln Sie die Entzündungen?
Prelog: Bislang verstehen wir noch nicht wirklich, was genau das Virus da anstellt, um diese systemische Entzündung hervorzurufen. Aber der Zusammenhang zwischen Coronainfektionen bei Kindern und PIMS ist wahrscheinlich - eine seltene Erkrankung ist auf einmal zu einer vergleichsweise häufigen Erkrankung geworden. Vermutlich kommt es zu einer überschießenden oder fehlgesteuerten Entzündungsreaktion des Immunsystems. Behandelt werden diese Entzündungen unter anderem mit Immunoglobulinen, also mit Antikörpern.
Seit sich die Omikron-Variante in Südafrika ausbreitet, landen dort auch immer mehr Kinder und Jugendliche im Krankenhaus. Ist diese Variante für diese Altersgruppe gefährlicher als die Delta-Variante?
Prelog: Es wurde tatsächlich festgestellt, dass gerade jüngere Kinder jetzt häufiger ins Krankenhaus müssen. Allerdings bieten die Daten aus Südafrika einen sehr großen Interpretationsspielraum. Zum Teil fehlt die Genotypisierung, das heißt, man weiß in diesen Fällen gar nicht, ist es wirklich Omikron oder ist es eine andere Variante des Coronavirus. Außerdem ist bei Krankenhausdaten oftmals unklar, ob die Kinder wegen oder mit Corona ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Da alle stationären Aufnahmen getestet werden, kann es also sein, dass Kinder "zufällig" auch Corona haben, obwohl sie aus einem anderen Grund aufgenommen wurden. Was die Daten aber zeigen: In den meisten Fällen waren die Eltern dieser Kinder nicht geimpft. Die Durchimpfungsrate liegt in Südafrika nur bei etwa 25 Prozent. Ob die Omikron-Variante allerdings wirklich infektiöser ist und bei Kindern besser andocken kann, das ist bis jetzt noch nicht genau untersucht. Da laufen gerade viele Untersuchungen und es gibt noch viele offene Fragen.
Wie sinnvoll sind Corona-Impfungen für Kinder und Jugendliche?
Prelog: Ich halte die Impfungen für sehr wichtig. Ich denke, wir kriegen diese Pandemie nicht in den Griff, wenn einzelne Bevölkerungsgruppen, die geimpft werden können, nicht geimpft werden. Gerade nicht geimpfte Kinder und Jugendliche waren von der vierten Welle besonders betroffen. Außerdem kann es insbesondere bei Jugendlichen durchaus zu Komplikationen kommen. Ich kenne aus meinem privaten Umfeld auch Zehn-Jährige, die wirklich schwer erkrankt sind. So ist das Risiko einer Herzmuskelentzündung bei Jugendlichen durch eine Corona-Infektion deutlich höher als durch die Impfung. Offen ist derzeit noch, in welchem Ausmaß Kinder und Jugendliche Long-COVID entwickeln - da gibt es noch keine gute Datenlage. Fest steht aber: Kinder und Jugendliche schützen durch ihre Impfung nicht nur Erwachsene, sondern haben auch einen hohen Eigennutzen durch die Impfmaßnahme.
Sollten auch Kinder zwischen fünf und elf Jahren geimpft werden?
Prelog: Ich persönlich denke, dass es wichtig ist, auch Kinder zwischen fünf und elf Jahren - insbesondere wenn sie Risikofaktoren aufweisen - zu impfen. Allerdings sollte die Impfung kinderärztlich begleitet werden, da Kinder keine "kleinen Erwachsenen", sondern eine besondere Patientengruppe sind.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat eine solche Impfung aber nur für Kinder mit Vorerkrankungen empfohlen.
Prelog: Mit dem Zusatz, dass Eltern ihre Kinder auch ohne ausdrückliche Empfehlung bei individuellem Wunsch der Kinder oder der Eltern impfen lassen können, wenn eine entsprechende ärztliche Aufklärung durchgeführt wird. Für eine allgemeine Impfempfehlung wartet die STIKO ab, bis mehr Evidenz vorliegt. Momentan werden Daten aus anderen Ländern ausgewertet, wo schon mehrere Millionen Impfungen bei Kindern zwischen fünf und elf Jahren vorgenommen wurden. Für die STIKO-Empfehlung ist es wichtig, die allgemeine Empfehlung für Kinder auf der Datenbasis einer größeren Bevölkerungsgruppe vorzunehmen, da nur dadurch sehr seltene Nebenwirkungen erkannt werden können.
Wie sah die Datenbasis bei der Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur EMA aus, die ja schon im November erfolgt ist?
Prelog: Für die Zulassungsstudie von Biontech/Pfizer wurden 2.316 Kinder zwischen fünf und elf Jahren gescreent - 1.514 erhielten zwei Impfstoff-Dosen mit einer im Vergleich zu den Erwachsenen reduzierten Dosis von zehn Mikrogramm, 747 waren in der Placebo-Gruppe. Dabei ergab sich bei den geimpften Kindern eine Wirksamkeit von 90,7 Prozent sieben Tage nach der zweiten Impfung. Auch bei der Sicherheit waren die Ergebnisse vergleichbar mit denen bei Jugendlichen und Erwachsenen - 71 Prozent klagten über Schmerzen an der Injektionsstelle, 39 Prozent über Müdigkeit, 28 Prozent über Kopfschmerzen, 12 Prozent über Muskelschmerzen, 10 Prozent über Schüttelfrost. Es gab keinen einzigen Fall einer Myokarditis, also einer Herzmuskelentzündung. Das ist schon mal ein gutes Sicherheitssignal. Aber man braucht natürlich noch höhere Zahlen, die man durch Nebenwirkungsmeldungen nach der Zulassung erhält - und das läuft. Die STIKO wird sich das sehr genau ansehen, eine Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen und dann in einigen Wochen gegebenenfalls eine allgemeine Impfempfehlung aussprechen.
Dauert das nicht zu lange?
Prelog: Kinder sind eine vulnerable Gruppe, die einen besonderen Schutz benötigt. Von daher finde ich es absolut gerechtfertigt, das sehr kritisch zu beurteilen und wirklich genau hinzuschauen.
Manche Menschen wollen mit einer Corona-Impfung lieber warten, bis ein Totimpfstoff zugelassen wird. Wie sinnvoll ist das?
Prelog: Das halte ich nicht für sinnvoll. Denn es stehen ja mit den mRNA-Impfstoffen sehr wirksame und sichere Impfstoffe zur Verfügung, die zu über 90 Prozent gegen schwere Verläufe schützen. Wir haben einfach nicht die Zeit, auf Totimpfstoffe zu warten. Totimpfstoffe haben zwar den Vorteil, dass man auf langjährige Erfahrungen zurückblicken kann - aber die Wirksamkeit ist schwächer. Totimpfstoffe enthalten deshalb Adjuvantien, also Wirkverstärker, die das Immunsystem anfeuern.
Enthalten auch mRNA-Impfstoffe solche Wirkverstärker?
Prelog: Nein, keine zusätzlichen Adjuvantien. Die mRNA ist ja in eine Fetthülle verpackt, die es erlaubt, dass der Impfstoff von der Zelle aufgenommen wird. Diese Fetthülle wirkt auch wie ein Wirkverstärker - sie regt das Immunsystem in einer Weise an, wie das auch bei einer natürlichen Infektion passieren würde.
Halten Sie eine Impfpflicht für sinnvoll, auch für Kinder?
Prelog: Es ist in der jetzigen Situation ein Diskussionspunkt. Derzeit machen Kinder als ungeimpfte, ungeschützte Gruppe einen zunehmend hohen Prozentsatz an infizierten Personen aus. Allerdings denke ich auch, dass die Erwachsenen voranschreiten müssen. Bei ihnen sollte eine Impfpflicht zuerst kommen und dann wird sich zeigen, ob sie bei Kindern überhaupt erforderlich ist. In den letzten Wochen konnten ja doch viele Menschen, die noch unsicher waren, zu einer Impfung motiviert werden. Bei Kindern kann man sich da noch Zeit nehmen und zum einen abwarten, ob es eine generelle STIKO-Empfehlung gibt und wie sich die Pandemie weiterentwickelt.
Können Sie dieser Pandemie auch etwas Positives abgewinnen?
Prelog: Ja. Ich finde es sehr positiv, dass Wissenschaftler weltweit zusammenarbeiten und neue Entwicklungen anstoßen - auch über Corona hinaus. Auch in der breiten Bevölkerung ist das Verständnis für Infektionskrankheiten gestiegen - die Menschen kennen jetzt Antikörper und verstehen, was Immunzellen sind und wie Impfungen wirken. Die Pandemie wirft uns in vielen Bereichen erst einmal zurück - aber am Ende werden wir gestärkt daraus hervorgehen.
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