Weinbau: Präzisere Pilz-Bekämpfung durch Digitalisierung
PRESSEMITTEILUNG DER UNIVERSITÄT HOHENHEIM
Weinbau:
Präzisere Pilz-Bekämpfung durch Digitalisierung
Verbundprojekt unter Leitung der Universität Hohenheim entwickelt neues Sensorsystem / Mikroklima im Weinlaub unterscheidet sich deutlich von Umgebung
Weniger Pilzbekämpfungsmittel im Weinberg – diese Vision könnte bald Realität werden. Denn oft ist das tatsächliche Risiko für eine Pilzinfektion niedriger als gängige Prognosemodelle angeben. Ursache sind deutliche Unterschiede zwischen den klimatischen Bedingungen unmittelbar rund um und im Rebstock und den Daten, die von Wetterstationen erfasst werden. So das Ergebnis eines Verbundprojektes unter Leitung der Universität Hohenheim in Stuttgart. Zur feinmaschigen Messung des Mikroklimas entwickelten die Forschenden aus Industrie und Wissenschaft ein neuartiges Sensorsystem, das in Kombination mit bildgebenden Verfahren die Prognose von Pilzerkrankungen im Weinbau verbessern und somit den Einsatz von Fungiziden reduzieren kann.
Der Klimawandel begünstigt auch in den Weinbaugebieten Deutschlands das Auftreten verschiedener Pilzerkrankungen. Vor allem der Falsche Mehltau (Plasmopara viticola, umgangssprachlich auch als Peronospora bezeichnet) ist eines der Hauptprobleme im Weinbau und kann zu erheblichen Ertragseinbußen führen.
„Entscheidend für eine Infektion sind die klimatischen Bedingungen im Weinberg bzw. rund um den einzelnen Rebstock und innerhalb der Laubwand“, erklärt Prof. Dr. Christian Zörb, Leiter des Fachgebiets Qualität pflanzlicher Erzeugnisse an der Universität Hohenheim. Denn für die Vermehrung und Ausbreitung des Erregers ist Wasser auf der Blattunterseite erforderlich. „Der Falsche Mehltau tritt jedoch nicht nur in extrem feuchten Jahren auf – der Erreger kommt mehr oder weniger jedes Jahr und in jedem Weinberg vor“, ergänzt Dr. Nikolaus Merkt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet.
Die einzige Möglichkeit, seine Ausbreitung unter Kontrolle zu halten, ist der rechtzeitige Einsatz von Fungiziden. „Dafür ist es wichtig, diese und andere Pilzerkrankungen möglichst früh erkennen und vorhersagen zu können. Gängige Methoden wie die von Menschen durchgeführte Sichtkontrolle sind jedoch ungenau, teuer, zeitintensiv oder erst nach Ausbruch der Krankheit anwendbar“, weiß Prof. Dr. Joachim Müller vom Fachgebiet Agrartechnik in den Tropen und Subtropen und Leiter des Verbundprojektes.
Prognosemodelle haben nur eingeschränkte Aussagekraft für individuellen Weinberg
Deshalb erfolgen Maßnahmen gegen den Ausbruch von Infektionen oft vorbeugend. Viele Winzer:innen nutzen dafür klimatische Modelle, die den Verlauf der Krankheit vorhersagen. Ein ausgefeiltes Prognosesystem ist VitiMeteo, das in Deutschland und der Schweiz gut etabliert ist. Entwickelt wurde es vom Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg (WBI) gemeinsam mit der Schweizer Forschungsanstalt Agroscope und der Softwareentwicklerfirma GEOsens GmbH.
Wie andere Prognosemodelle greift auch VitiMeteo auf Klimadaten von lokalen Wetterstationen zurück. „Das Problem dabei ist, dass die meteorologischen Daten nur in relativ großen räumlichen Abständen erfasst werden. Zwischen den einzelnen Wetterstationen können schon mal 30 oder 40 Kilometer liegen“, erläutert Prof. Dr. Müller.
Doch die klimatischen Bedingungen innerhalb eines Weinbergs können sehr stark variieren. „Insbesondere in steilen Weinbergen in der Nähe von Gewässern kann die Temperatur von oben nach unten oft extrem schwanken“, beschreibt Steffen Schock, Doktorand am Fachgebiet Agrartechnik in den Tropen und Subtropen und Koordinator des Verbundprojektes. „Dieses Kleinklima kann eine Wetterstation nicht erfassen.“
Neues Sensorsystem zur Echtzeit-Erfassung von kleinräumigen Klimadaten in Weinbergen
Hier setzte das kürzlich abgeschlossene Forschungsvorhaben „Prognose und Detektion von Pilzerkrankungen im Weinbau durch feinmaschige Messung des Mikroklimas und Einsatz bildgebender Messverfahren“ (FungiSens) an. Sein Hauptziel ist es, die Früherkennung und Prognose von Pilzerkrankungen durch das VitiMeteo-Prognosesystem zu verbessern.
Dazu haben die Forschenden ein kleines, kostengünstiges und pflegeleichtes Sensorsystem entwickelt. Die drahtlosen Mikrosensoren werden direkt in den Weinreben installiert und leiten die Daten an VitiMeteo in Echtzeit weiter. „So können besonders in Lagen mit extremen Geländeunterschieden, wie beispielsweise an der Neckarschleife bei Besigheim, auch kleinräumige Unterschiede präziser erfasst und abgebildet werden“, erklärt Steffen Schock.
Mikroklima von Weinreben oft nicht mit großräumigem Klima im Feld vergleichbar
Eine Untersuchung der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Zörb zeigt, dass das tatsächliche Infektionsrisiko oft niedriger sein könnte, als die Prognosemodelle angeben. Dabei verglichen die Forschenden die von einer Wetterstation gemessenen Daten mit denen im Inneren eines Rebstocks und stellten deutliche Unterschiede bei den klimatischen Bedingungen fest. „Denn die Verteilung und Dichte des Laubs spielt eine wichtige Rolle“, erklärt Melissa Kleb, Doktorandin am Fachgebiet Qualität pflanzlicher Erzeugnisse.
„Innerhalb der Laubwand kann ein ganz anderes Klima herrschen als außerhalb“, fasst sie ihre Ergebnisse zusammen. So fand sie dort tagsüber höhere Temperaturen und eine niedrigere relative Luftfeuchtigkeit als an der Wetterstation gemessen wurde. Dies verringert die mögliche Lebensdauer der Verbreitungsformen des Pilzes erheblich: „Wir stellten an neun Prozent aller Versuchstage Bedingungen fest, bei denen die Verbreitungsformen des Pilzes nicht überleben können. Bei den Messungen der Wetterstation traf dies nur für 1,4 Prozent zu.“ Diese Unterschiede nehmen Einfluss auf die weitere Prognose des Modells und können die Vorhersagen stark verändern, so Melissa Kleb.
Krankheitsprognose mit optischen Mitteln
Um die Vorhersagegenauigkeit noch weiter zu verfeinern, beschäftigten sich die Forschenden zudem mit bildgebenden Verfahren zur Früherkennung von Krankheiten. „So kann zum Beispiel mit Hilfe von Drohnen der Gesundheitszustand der Weinreben schnell und großflächig auch aus der Entfernung erkannt werden“, beschreibt Steffen Schock den Vorteil.
Dazu machten sich die Forschenden Veränderungen im Stoffwechsel des Pflanzengewebes zunutze, wenn dieses durch Krankheitserreger geschädigt wird. Diese zeigen sich unter anderem in Temperaturunterschieden auf der Blattoberfläche, die durch Messungen im Infrarot-Bereich erfasst werden können. „Tatsächlich konnten wir einen deutlichen Temperaturanstieg im Blätterdach feststellen, lange bevor sichtbare Symptome auftraten“, so Dr. Shamaila Zia-Khan, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Agrartechnik in den Tropen und Subtropen..
Deutliche Einsparung von Fungiziden möglich
„Noch sind die Systeme nicht serienreif. Das wird wohl noch eine Weile dauern. Aber sobald die kleinräumige Vorhersage von Krankheiten standardmäßig möglich ist, könnten Pflanzenschutzmittel, Maschinen und Arbeitszeit deutlich reduziert werden – ohne die Wirksamkeit zu beeinträchtigen“, ist Prof. Dr. Müller überzeugt. Pflanzenschutzmaßnahmen müssten dann nicht mehr vorbeugend für eine ganze Region ergriffen werden, sondern können sehr spezifisch auf den einzelnen Weinberg und sogar einzelne Bereiche davon zugeschnitten werden.
HINTERGRUND: FungiSens – Prognose und Detektion von Pilzerkrankungen im Weinbau durch feinmaschige Messung des Mikroklimas und Einsatz bildgebender Messverfahren
Das Verbundprojekt FungiSens unter Leitung von Prof. Dr. Joachim Müller vom Fachgebiet Agrartechnik in den Tropen und Subtropen wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) mit rund 500.000 Euro gefördert.
Das FungiSens-Projektkonsortium besteht aus den beiden Fachgebieten Agrartechnik in den Tropen und Subtropen sowie Qualität pflanzlicher Erzeugnisse der Universität Hohenheim, der GEOsens GmbH, der LVWO Weinsberg sowie der Felsengartenkellerei Besigheim eG.
HINTERGRUND: Schwergewichte der Forschung
37,6 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Forschende der Universität Hohenheim 2022 für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 350.000 Euro für apparative Forschung bzw. 150.000 Euro für nicht-apparative Forschung.
Kontakt für Medien
Prof. Dr. Joachim Müller, Universität Hohenheim, Fachgebiet Agrartechnik in den Tropen und Subtropen,
T +49 (0)711 459 22490, E joachim.mueller@uni-hohenheim.de
Steffen Schock, Universität Hohenheim, Fachgebiet Agrartechnik in den Tropen und Subtropen,
T +49 (0)711 459 23114, E Schock.Steffen@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Christian Zörb, Universität Hohenheim, Fachgebiet Qualität pflanzlicher Erzeugnisse,
T +49 (0)711 459 22520, E christian.zoerb@uni-hohenheim.de
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Text: Stuhlemmer
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