Sportwetten - Sportliche Faszination & existenzielles Leid dicht verwoben
GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DES BUNDESDROGENBEAUFTRAGTEN UND DER UNIVERSITÄT HOHENHEIM
Sportwetten:
Sportliche Faszination & existenzielles Leid dicht verwoben
Uni Hohenheim: Massive Glücksspielwerbung bei EM 2024 | Drogenbeauftragter Blienert: „Müssen Prävention stärken, gerade wenn es um Suchtgefahren geht.“
Mehr als 15 Minuten Glücksspielwerbung pro Spiel: So massiv wurde laut einer Auswertung der Universität Hohenheim in Stuttgart die Werbung während der Fußball-Europameisterschaft 2024 gezeigt. Dabei stellen Sportwetten zunehmend ein Risiko für die Gesundheit und finanzielle Situation vieler Menschen dar: In Deutschland verlieren Wettende jährlich über 1,4 Milliarden Euro. Der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert kritisiert, dass der Staat in der Prävention gegen Glücksspielsucht deutlich hinter den Werbeausgaben der Wettanbieter zurückbleibt, die jährlich hundertmal mehr für Werbung ausgeben als für Präventionsmaßnahmen. Dabei ist Prävention das beste Mittel gegen Spielsucht.
Emotionen gehören zum Fußball. Fans fiebern mit ihrem Team mit, feiern Siege und trauern alle gemeinsam bei Niederlagen. Dieses positive Image macht Sportereignisse attraktiv für die Werbebranche, insbesondere unter Sportwettenanbietern. Die Verlierer sind Menschen mit einer Glücksspielstörung, die erst mit ihrem Geld und dann mit ihrer Gesundheit bezahlen – das widerspricht dem üblichen positiven Image des Sports.
Werbung wirkt: für Lippenstift, den neuesten Markenpulli ebenso wie für Alkohol, Tabak und Sportwetten. Nur warten die letzten drei mit besonderen Risiken für Mensch und Gesundheit auf. Werbung führt nach Stand der Forschung zu mehr „Konsum“ oder setzt zumindest einen höheren Anreiz etwas auszuprobieren. Hier geht es um die Gesundheit vieler Fans. Manche verspielen Haus und Hof.
Gerade für Sportwetten scheint die Werbung omnipräsent: Ob Weltmeisterschaft, Europameisterschaft oder einfach nur Bundesliga – mittlerweile ist kaum ein Fußballspiel ohne Werbung für Sportwetten. Die Umsätze der Wettanbieter steigen – weltweit. Allein in Deutschland verlieren Wettende mehr als 1,4 Milliarden Euro jährlich.
Mehr als 15 Minuten Glücksspielwerbung pro Spiel
Wie groß ist die Dimension, wenn wir von Sportwettenwerbung sprechen? Diese Frage hat sich die Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim gestellt und elf Spiele der Fußball-Europameisterschaft vom vergangenen Jahr genauer unter die Lupe genommen. Für den gleichen Zeitraum hat sie die Social Media-Werbung von zehn legalen Wettanbietern analysiert.
Die Auswertung verdeutlich exemplarisch, wie massiv Werbung während der Fußball-Europameisterschaft 2024 gezeigt wurde: Rund um die Übertragung eines Fußballspiels wurde summiert etwa 15 Minuten lang – die Länge einer Halbzeitpause – für Glückspiel geworben, zumeist auf der Stadionbande. Die Bande zeigte überwiegend Logos eines Sportwettenanbieters in voller Bildschirmbreite.
„Aufhorchen lassen auch Art und Umfang der Werbung auf Social Media, die sich von Haus aus eher an ein jüngeres Zielpublikum richten. Die Forschungsergebnisse zeigen einen fließenden Übergang zwischen Information und Werbung, der insbesondere für Kinder und Jugendliche problematisch sein kann“, sagt Dr. Steffen Otterbach von der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim. „Auch ist die Zahl von bis zu knapp 200 Posts pro Anbieter in diesem Zeitraum sehr hoch.“
Bestes Mittel gegen Glücksspielsucht ist Prävention
Der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen Burkhard Blienert sieht das Werbevolumen beim Glücksspiel genauso kritisch wie in den anderen Feldern: „Am Ende waren es bei der Euro 2024 die Fans, die für ein Milliardengeschäft die Zeche gezahlt haben – erst mit ihren Spieleinsätzen und später auch mit ihrer Gesundheit.“
„Ein Mittel gegen Sucht ist gute Prävention“, bekräftigt der Bundesdrogenbeauftragte. Was ihn umtreibt ist, „dass der Staat den Wettanbietern ein wenig wie David gegen Goliath gegenübersteht, vergleicht man Werbebudget und Präventionsausgaben. Dabei wissen wir seit Jahren, was zu tun wäre und dass wir in allen Bereichen, weit über das Glücksspiel hinaus, deutlich mehr Prävention brauchen, angefangen bei engen Grenzen für die Werbung.“
100-mal mehr Geld für Glücksspiel-Werbung als für Prävention
„Wir müssen, wenn es um Suchtgefahren geht, endlich vor die Welle kommen“, ist Burkhard Blienert wichtig. „Nur pumpen die Wettanbieter bisher hunderte Millionen in Werbung, während im staatlichen Präventionsbudget nur ein minimaler Teil dieser Summe steckt. Oder deutlicher: In Deutschland fließt 100-mal mehr Geld in die Werbung für Glücksspiel als in die Prävention.“
Dass Branchenunternehmen verstanden haben, dass Werbung wirkt, belegen weitere Zahlen von Nielsen Media Research: Zu Großereignissen wie Welt- und Europameisterschaften legen einzelne Wettanbieter in den zwei Monaten vor und nach dem Event nochmals eine „echte Schippe oben drauf“ – bis zum Zehnfachen ihres normalen Werbebudgets.
Da werden aus 15 Millionen schnell 30 Millionen Euro und aus 300.000 Euro auch mal drei Millionen. Die Werbeausgaben werden zum Beispiel zwei Monate vor dem Sportevent um fast 80 Prozent erhöht und einen Monat davor nochmals um 30 Prozent; das belegen Zahlen aus den Jahren 2018 und 2021.
Inzwischen leiden mindestens 1,3 Millionen Deutsche zwischen 18 und 70 Jahren an einer Glücksspielstörung. Jeder dritte davon nimmt an Live-Sportwetten teil.
Text: Yvonne Reißig (Pressesprecherin des Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen)
Weitere Informationen
Glücksspielwerbung während der UEFA Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland (PDF)
Expertenliste Glücksspiel der Universität Hohenheim
Kontakt für Medien
Dr. Steffen Otterbach, Geschäftsführender Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim
T +49 711 459 23425, E steffen.otterbach@uni-hohenheim.de
Burkhard Blienert, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Pressestelle
T +49 (0)30 18441 1445, E presse-drogenbeauftragter@bmg.bund.de
Zu den Pressemitteilungen der Universität Hohenheim
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