Glyphosat beeinträchtigt das Lernen von Hummeln, PI Nr. 83/2023
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Glyphosat beeinträchtigt das Lernen von Hummeln
Welche Auswirkungen haben Pestizide auf das global fortschreitende Insektensterben? Biolog*innen der Universität Konstanz stellen eine beeinträchtigte Lernfähigkeit bei Hummeln fest, die Glyphosat ausgesetzt sind.
„Angesichts des weltweiten Insektensterbens, das alarmierend voranschreitet, müssen wir den Einfluss der in der Landwirtschaft eingesetzten Pestizide genauer untersuchen und nicht nur wie bisher die Sterblichkeitsraten betrachten", sagt Morgane Nouvian, Biologin und Fellow am Zukunftskolleg der Universität Konstanz. Zusammen mit Anja Weidenmüller und James J. Foster untersuchte sie, wie sich eine Langzeitexposition gegenüber Glyphosat auf Hummeln auswirkt, und zwar auf deren Fortbewegung allgemein, auf deren lichtorientierte Bewegung (Phototaxis) und auf deren Lernfähigkeit. Für den Insektenschutz sind aus Sicht der Forschenden solche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit, auch wenn sie nicht tödlich sind, ebenso bedeutsam wie die tödlichen. Denn sie können die Fortpflanzungs- und Überlebenschancen der Insekten verringern.
Vor einem Jahr hatte Weidenmüller entdeckt, dass die Fähigkeit zur Temperaturregulierung von Hummelkolonien, die chronisch Glyphosat ausgesetzt waren, bei Ressourcenknappheit eingeschränkt wird. Hummeln können dann ihre Brut nicht mehr so lange warmhalten. Wird die notwendige Bruttemperatur nicht gehalten, entwickelt sich die Brut langsamer oder gar nicht.
Vermeidungslernen findet nicht statt
In ihrer aktuellen Studie, die in der Zeitschrift Science of the Total Environment veröffentlicht wurde, untersuchten die Wissenschaftler*innen über 400 Hummelarbeiterinnen. Die Biolog*innen zeigten: Hummeln, die chronisch Glyphosat ausgesetzt sind, können während einer Lernaufgabe einen negativen (aversiven) Reiz nicht mit einem visuellen Signal verbinden und vermeiden folglich potenzielle Gefahren nicht. „Soweit wir feststellen können, lernen sie überhaupt nicht mehr“, fasst Nouvian zusammen. Im Gegensatz dazu bewies eine Kontrollgruppe von Hummeln ohne Glyphosatexposition gute Lernfähigkeiten. „Einen negativen Reiz mit bestimmten Signalen assoziieren zu können, ist für das Überleben ganz entscheidend“, erklärt Nouvian: „So lernen die Tiere es, Gifte, Raubtiere und Parasiten zu vermeiden. Die von Glyphosat verursachte Verminderung der Lernfähigkeit könnte deshalb die Sterblichkeitsrate der Bestäuber erheblich ansteigen lassen. Eine derartige Verknappung der Arbeitskräfte würde offensichtlich den Erfolg der Kolonie beeinträchtigen, was jedoch noch experimentell bestätigt werden muss.“
Bei den Experimenten zur Fortbewegung und zur lichtorientierten Bewegung (Phototaxis) verlangsamte die Glyphosat-Exposition die Laufgeschwindigkeit der Hummeln nur leicht, während sie sich an die Trainingsapparatur gewöhnten. Der lichtorientierte Bewegungsdrang blieb aber weitgehend unverändert. Allerdings verringerte sich die Anziehungskraft von ultraviolettem Licht im Vergleich zu blauem Licht. In ihrer Studie warnen die Biolog*innen, dass selbst eine geringfügige Veränderung der UV-Empfindlichkeit weitreichende Folgen für die Bestäuber haben könnte und sich negativ auf ihre Navigationsfähigkeit und Effizienz bei der Nahrungssuche auswirken könnte.
Risikobewertung auf dem Prüfstand
Glyphosat ist in der EU noch bis zum 15. Dezember 2023 zugelassen. Bis dahin soll laut EU-Website die Entscheidung über den Verlängerungsantrag der Glyphosate Renewal Group (GRG) abgeschlossen sein. Am 6. Juli 2023 veröffentlichte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Pressemitteilung: „Bei der Bewertung der Auswirkungen von Glyphosat auf die Gesundheit von Mensch und Tier sowie auf die Umwelt wurden keine kritischen Problembereiche festgestellt.“ Einige Datenlücken werden in den Schlussfolgerungen der EFSA als „Fragen, die nicht abschließend geklärt werden konnten, oder als offene Fragen“ aufgeführt.
Die Konstanzer Wissenschaftler*innen schlagen in ihrer Studie vor, ihren Testaufbau – den so genannten yAPIS, ein vollautomatisches Gerät mit hohem Durchsatz – zu verwenden, um die Auswirkungen von Pestiziden auf Insekten, insbesondere Bestäuber, systematischer zu untersuchen. Gegenwärtig wird primär die Sterblichkeitsrate herangezogen, um die Toxizität von Pestiziden zu bewerten. Das vorgeschlagene Verfahren würde das Bild komplettieren, indem auch potenzielle nicht-tödliche Auswirkungen berücksichtigt werden.
Faktenübersicht:
- M. Nouvian, J.J. Foster and A. Weidenmüller, Glyphosate impairs aversive learning in bumblebees, Science of the Total Environment (2023), https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2023.165527
- Die Biolog*innen Morgane Nouvian, James J. Foster und Anja Weidenmüller führten ihre Studie am Exzellenzcluster „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ an der Universität Konstanz durch.
- Die Studie wurde vom Zukunftskolleg und dem Exzellenzcluster „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ an der Universität Konstanz sowie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Hinweis an die Redaktionen:
Ein Foto kann im Folgenden heruntergeladen werden:
Bildunterschrift: Morgane Nouvian, Biologin und Fellow am Zukunftskolleg der Universität Konstanz.
Copyright: Nicolas Buenaventura
Kontakt: Universität Konstanz Kommunikation und Marketing E-Mail: kum@uni-konstanz.de
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