Können wir unser Immunsystem spüren?, PI Nr.87/2023
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Können wir unser Immunsystem spüren?
Eine empirische Studie am Fachbereich Psychologie der Universität Konstanz legt nahe: Unser Gehirn kann unseren Gesundheitszustand präziser einschätzen, als wir glauben – und ist vermutlich sogar in der Lage, den Zustand unseres Immunsystems korrekt zu bewerten.
Wie gut sind wir darin, unser Immunsystem einzuschätzen? Die Antwort auf diese Frage lautet: erstaunlich gut! Eine Studie der Konstanzer Psychologin Stephanie Dimitroff untersuchte, wie frisch geimpfte Menschen die Stärke ihrer Immunantwort auf den jeweiligen Erreger einschätzen. Diese Selbsteinschätzung wurde mit der tatsächlichen Zahl der Antikörper im Blut abgeglichen. Das Ergebnis: Die Prognosen der Teilnehmer*innen stimmten im Generellen erstaunlich gut mit ihren Antikörper-Werten überein. Besonders deutlich war der Eindruck, wenn die Immunantwort auf die Impfung schwach ausfiel, der Körper also nicht ausreichend gegen den Erreger geschützt war.
Stephanie Dimitroff erforscht an der Universität Konstanz die Verbindung zwischen unserem Gehirn und unserem Immunsystem. „Hört auf euren Körper“, zieht sie ein Fazit aus ihrer Studie: „Die Medizin bewegt sich hin zu mehr Patientenorientierung. Unser Befund untermauert den Gedanken, dass die Selbstwahrnehmung der Patient*innen wertvolle Hinweise auf ihren Gesundheitszustand liefert. Wir täten gut daran, stärker darauf zu hören.“
Kommunikation zwischen Immun- und Nervensystem
Wir alle haben ein Gefühl für unseren Körper: ob wir uns wohl fühlen, ob wir krank oder verletzt sind. Ein Abschnitt unseres Gehirns, die Insula, empfängt Informationen vom Körper und vermittelt uns einen grundlegenden Eindruck von dessen Zustand. Bisher wurde angenommen, dass dieser Gesundheitseindruck recht allgemein ist. Die Studie von Stephanie Dimitroff legt nun aber nahe, dass unser Gehirn den Zustand des Körpers spezifischer wahrnehmen kann als vermutet. Ist es möglich, dass unser Gehirn den Zustand unseres Immunsystems bewerten kann?
„Natürlich zählt unser Gehirn keine Antikörper. Unser Immunsystem ist aber mit dem zentralen Nervensystem intrinsisch verbunden“, schildert Dimitroff. „Über diese Verbindung wird das Immunsystem reguliert. Zugleich empfängt unser Gehirn Informationen vom Immunsystem.“
Dieser Austausch zwischen Immunsystem und zentralem Nervensystem ist maßgeblich für unser Wohl- oder Krankheitsbefinden. „Hierfür ist wichtig zu wissen: Unser Krankheitsgefühl, zum Beispiel bei einer Erkältung, wird ganz wesentlich durch die Kommunikation des Immunsystems mit dem zentralen Nervensystem verursacht“, so Dimitroff. „Das Gehirn empfängt Signale, dass mit dem Körper etwas nicht in Ordnung ist, und bewirkt daraufhin das Krankheitsgefühl.“
Derselbe Informationsfluss zwischen Immun- und Nervensystem könnte grundsätzlich auch stattfinden, wenn der Körper nicht krank ist. Es wäre also denkbar, dass dieser Prozess uns auch in gesundem Zustand einen Eindruck von unserem Immunsystem vermittelt. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ermittelt Stephanie Dimitroff mit ihrer Studie.
Ergebnisse der Studie
Die Teilnehmer*innen der Studie konnten nach einer Impfung signifikant vorhersagen, wie gut ihr Immunsystem gegen die entsprechende Krankheit aufgestellt ist. Besonders deutlich fiel dies bei Menschen aus, die nur wenige Antikörper entwickelt hatten. 71 Prozent der Teilnehmenden, die sich nach der Impfung nicht gut geschützt fühlten, hatten in der Tat auch eine unterdurchschnittliche Immunantwort. „Unser bemerkenswertestes Ergebnis: Wer nach der Impfung das Gefühl hatte, keine großen Mengen an Antikörpern produziert zu haben, lag damit meistens auch richtig.“
Umgekehrt hatten die Teilnehmer*innen, die ihre Immunantwort als gut einschätzten, zwar nicht in allen Fällen recht damit. Doch sämtliche Teilnehmer*innen (100 Prozent), die eine besonders starke Immunantwort aufwiesen, fühlten sich auch gut geschützt.
Alternative Deutungen
Für Stephanie Dimitroff ist es jedoch noch zu früh, um daraus finale Schlüsse zu ziehen. Die Psychologin zieht mögliche andere Ursachen in Betracht, einschließlich des Placebo-Effekts. Die Kommunikation zwischen Gehirn und Immunsystem verläuft nämlich in beide Richtungen. Die Signale unseres Gehirns können somit umgekehrt auch unser Immunsystem beeinflussen. Menschen, die fest an die Impfung glauben oder grundsätzlich optimistisch sind, könnten demnach tatsächlich eine bessere Immunabwehr entwickeln und fühlen sich auch besser geschützt. Möglicherweise ist es also der Glaube an die Wirksamkeit, der die Wirksamkeit verbessert – und für die hohe Trefferquote bei der Selbsteinschätzung sorgte.
„Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass eine tatsächliche Fähigkeit zur Selbsteinschätzung durchaus wahrscheinlich ist. Ich kann eine Kombination mehrerer Effekte aber nicht ausschließen, einschließlich des Placebo-Effekts und/oder optimistischer Stimmung“, so Dimitroffs Einschätzung. Eine Wiederholung der Studie wäre aus ihrer Sicht sinnvoll, um die Ergebnisse zu festigen und alternative Ursachen auszuschließen.
Die Studie wurde anhand der Impfung gegen das Corona-Virus durchgeführt. Der Corona-Impfstoff wurde ausgewählt, weil zum Zeitpunkt der Erhebung im Sommer 2021 eine besonders große Zahl an Personen damit geimpft wurde. An der Studie nahmen 166 Personen zwischen 18 und 59 Jahren teil. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Biological Psychology veröffentlicht.
Faktenübersicht:
- Originalpublikation: Dimitroff, S. J., Würfel, L., Meier, M., Faig, K. E., Benz, A. B., Denk, B., & Pruessner, J. C. (2023). Estimation of antibody levels after COVID-19 vaccinations: Preliminary evidence for immune interoception. Biological Psychology, 182, 108636, https://doi.org/10.1016/j.biopsycho.2023.108636
- Die Studie wurde anhand der Corona-Impfung im Sommer 2021 durchgeführt.
- Teilnehmer*innen: 166 Personen zwischen 18 und 59 Jahren, darunter 103 Frauen. Personen mit Krankheitssymptomen, chronischen Erkrankungen oder vorhergehender Infektion mit dem Corona-Virus waren von der Studie ausgeschlossen.
- Die Studie wurde vom Exzellenzcluster „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour” sowie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Hinweis an die Redaktionen:
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Bildunterschrift: Stephanie Dimitroff
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