Studie: Ist eine Re-Regionalisierung der Landwirtschaft möglich?
Flächenverbrauch in der Landwirtschaft: Die Ernährungsweise macht den Unterschied
Auf das Konto der Lebensmittelproduktion gehen etwa ein Drittel der gesamten Treibhausgasemissionen. Um sie zu reduzieren, müssen wir die Ernährungssysteme umgestalten. Könnte die Rückkehr zu einer regionalen, nachhaltigen Landwirtschaft ein gangbarer Weg sein? Eine Studie zum Flächenverbrauch bei verschiedenen Ernährungsweisen am Beispiel des Bundeslandes Hessen kommt zu dem Schluss: Eine Re-Regionalisierung wäre durchaus möglich.
Die Studie ist im Fachmagazin Sustainable erschienen unter dem Titel „Land Consumption for Current Diets Compared with That for the Planetary Health Diet – How Many People can Our Land Feed?“ Das Bundesland Hessen, so zeigen die beiden Autorinnen Anna-Mara Schön und Marita Böhringen, beide für die Hochschule Fulda am House of Logistics and Mobility (HOLM) tätig, könnte sich rein rechnerisch selbst versorgen. Voraussetzung wäre allerdings, alle Menschen ernährten sich so, wie es die Planetary Health Diet empfiehlt, und schränkten den Verzehr von Fleisch, Milchprodukten und Eiern deutlich ein. Rein mathematisch würden die verfügbaren Acker- und Weideflächen unter diesen Bedingungen ausreichen, um genügend Lebensmittel für die Bevölkerung zu produzieren.
„Anders als die vielen Modelle, die mit globalen Daten arbeiten und regionale Besonderheiten zu wenig berücksichtigen, werten wir lokale Daten aus und machen sie für Menschen vor Ort greifbar“, beschreibt Anna-Mara Schön die Idee hinter der Studie. Neben Daten zum Bundesland Hessen liefert die Untersuchung daher auch Berechnungen für einzelne Regionen: die Regierungsbezirke Darmstadt, Gießen und Kassel, die Metropolregion Frankfurt und den Landkreis Marburg-Biedenkopf. In den regionalen Daten sowie in der Verknüpfung von Produktion und Verbrauch sehen die Autorinnen die Stärke der Studie.
Der Status quo
Die Wissenschaftlerinnen ermittelten den Flächenverbrauch pro Kopf in Abhängigkeit von verschiedenen Ernährungsgewohnheiten und Haltungsformen. Den Schwerpunkt legten sie auf den Tierhaltungssektor, da der Flächenverbrauch für die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern relativ hoch ist. Auf dieser Grundlage errechneten sie, welcher Anteil für eine pflanzliche Ernährung übrigbleibt.
Ergebnis: Bei fast allen tierischen Produkten übersteigt der Verbrauch die Erzeugung. Keine der Regionen wäre auf Basis der derzeitigen Konsummuster und der derzeit angebauten Nahrungsmittel in der Lage, ihre Bevölkerung aus ihren Flächen zu ernähren und sich von globalen Lieferketten unabhängiger zu machen. Nicht einmal den derzeitigen Tierbestand können die Regionen aus sich heraus ernähren.
So verursacht der aktuelle Fleischkonsum in Hessen pro Einwohner*in einen Flächenverbrauch von etwa 767 Quadratmetern Grünland. Durchschnittlich stehen in dem Bundesland jedoch nur 467 Quadratmetern Grünland pro Kopf zur Verfügung. „Damit ist es unter den derzeitigen Bedingungen nicht möglich, das Ernährungssystem von der industrialisierten Landwirtschaft auf eine bäuerliche Landwirtschaft in größerem Maßstab umzustellen“, sagt Anna-Mara Schön.
Was möglich wäre
Anders sähe es aus, wenn sich alle Hessinnen und Hessen nach der Planetary Health Diet ernähren würden, also vorwiegend pflanzenbasiert. Dann bräuchte die Region nur noch die Hälfte der heutigen 125.000 Milchkühe und nur ein Fünftel der derzeit gehaltenen Mastschweine. Eine Milchkuh beispielsweise kann aktuell den Bedarf von 17 Personen decken, könnte aber fast 90 Personen ernähren, wenn der Gesamtverbrauch, wie von der EAT-Lancet-Kommission empfohlen, sinken würde. Statt 767 Quadratmetern wären dann nur noch 128 Quadratmeter Grünland pro Einwohner notwendig. Und pro Kopf würde lediglich eine Ackerfläche von 482 Quadratmetern benötigt, vorhanden sind 648 Quadratmeter.
Anpassung der Anbauform
Die Flächen für eine lokale und pflanzenbasierte Ernährung wären in Hessen vorhanden, schreiben die Studienautorinnen. Allerdings würden die derzeit angebauten Ackerkulturen nicht ausreichen, um die Bevölkerung mit einer abwechslungsreichen und gesunden Ernährung zu versorgen, wie sie unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt. Dafür wäre zusätzlich eine flächendeckende Anpassung der Anbauform, beispielsweise auf eine siebenjährige Fruchtfolge, notwendig. Mehr noch: Mit der Planetary Health Diet und einer siebenjährigen Fruchtfolge wäre es zudem möglich, eine höhere Anzahl an Nutztieren extensiver, also tierfreundlicher und umweltschonender, zu halten.
Auf andere Regionen übertragbar
Trotz der regionalen Datenbasis sehen die Wissenschaftlerinnen eine Relevanz ihrer Ergebnisse auch über die Grenzen des Bundeslandes hinaus. „Da die Ernährungsgewohnheiten in anderen Regionen vergleichbar sind, gehen wir davon aus, dass unsere Daten auch auf viele andere Regionen mit ähnlichen Konsummustern übertragbar sind“, sagt Anna-Mara Schön. „Wir möchten daher im nächsten Schritt unser Modell auch für andere Regionen nutzbar machen.“
Vielschichtige Herausforderung
Obwohl die Studie auf ein recht kleines Gebiet bezogen ist und nur den Flächenverbrauch berücksichtigt, zeigen die Daten nach Einschätzung der Autorinnen, dass eine bäuerliche und agrarökologische Landwirtschaft ein gangbarer Weg sein könnte – für mehr Klimaschutz, aber auch eine resilientere, versorgungstechnisch unabhängigere Gesellschaft. Sie betonen jedoch: Die Re-Regionalisierung lasse sich weder mit dem Status quo, noch mit der alleinigen Änderung des Konsumverhaltens erfüllen. Vielmehr müssten sich Lebensmittelangebot und -nachfrage in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln. „Im Gespräch signalisierten Landwirt*innen eine Anpassung ihrer Anbaupläne an die Nachfrage, wenn Kantinen die geschätzten 700 Tonnen Zutaten regional beziehen und eine nachhaltige Produktion fordern würden, sofern sie dafür faire Preise erzielen würden“, schreiben sie.
Vier Szenarien untersucht
Im Detail wurden in der Studie vier verschiedene Szenarien berechnet:
Auf Basis des aktuellen Konsumverhaltens ermittelten die Wissenschaftlerinnen in Szenario eins zunächst die Fläche, die zur Deckung der derzeitigen Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln nötig ist. Sie untersuchten, wie hoch der Futtermittelbedarf für den derzeitigen Viehbestand in Hektar in den verschiedenen Regionen und wie hoch der Selbstversorgungsgrad für rotes Fleisch, weißes Fleisch, Eier, Milch und Milchprodukte ist.
In Szenario zwei errechneten sie den Flächenbedarf für eine hundertprozentige Selbstversorgung des Bundeslandes Hessen mit tierischen Produkten. Wie viele Tiere inklusive Bestandsfaktor und Stallplatz sind notwendig, um das derzeitige Konsumverhalten komplett zu decken?
Szenario drei basiert auf der Planetary Health Diet: Hier erfassten die beiden Studienautorinnen den Flächenbedarf, um die hessische Bevölkerung auf gesunde und vielfältige Weise mit der Planetary Health Diet zu ernähren und ermittelten den Tierbestand für die angepasste Ernährungsweise.
Und schließlich errechneten sie in Szenario vier die Höhe des Selbstversorgungsgrades bei pflanzlichen und tierischen Erzeugnissen in dem utopischen Fall, dass zusätzlich zur Umstellung der Ernährungsweise auf die Planetary Health Diet alle Landwirt*innen eine siebenjährige Fruchtfolge einhalten und Tiere nur extensiv statt intensiv gehalten würden.
Die Originalstudie ist abrufbar unter: https://doi.org/10.3390/su15118675
Wissenschaftlicher Kontakt:
Anna-Mara Schön
Hochschule FuldaHouse of Logistics and Mobility (HOLM)
E-Mail: anna-mara.schoen@w.hs-fulda.de
Dr. Antje Mohr Pressesprecherin Stabsstelle Wissenschaftskommunikation Hochschule Fulda Leipziger Straße 123 36037 Fulda Tel.: +49 661 9640-1050 E-Mail: antje.mohr@verw.hs-fulda.de www.hs-fulda.de