So hängen Zahn- und Allgemeingesundheit zusammen: Ein Experteninterview mit Dr. Ralf Seltmann, Zahnarzt beim schwedischen Mundhygienespezialisten TePe
Hamburg (ots)
Eine Studie (1) aus dem Jahr 2017 deckt auf, dass 80% der Befragten keinen Zusammenhang zwischen gesunden Zähnen und ihrem allgemeinen Wohlbefinden vermuten. Doch die Mundgesundheit spielt eine extrem wichtige Rolle für die Allgemeingesundheit. Dr. Ralf Seltmann, Zahnarzt beim schwedischen Mundhygienespezialisten TePe, erläutert Zusammenhänge und ungeahnte Wechselwirkungen und gibt Tipps für die richtige Zahnpflege. Zähne putzen alleine reicht nicht aus...
Dr. Seltmann, klären Sie uns auf: Was hat Mundhygiene mit der Allgemeingesundheit zu tun?
Mehr, als die meisten ahnen. In einer Umfrage (2) im vergangenen Jahr hat sich herausgestellt, dass 80% der Befragten überhaupt nicht wussten, dass eine ungenügende Zahnhygiene negative Folgen auf die allgemeine Gesundheit haben kann. Auf dem Gebiet wird viel geforscht. Und ein eindeutiges Ergebnis ist: Besonders eng verknüpft ist die Parodontitis, also die Entzündung des Zahnhalteapparates, mit systemischen Erkrankungen wie Diabetes. Um diese Entzündung und ihre potenziellen Folgen auf den gesamten Körper zu vermeiden, gilt es vorzusorgen: Durch gründliche Zahnpflege - insbesondere die regelmäßige Zahnzwischenraumreinigung - kann das Risiko gesenkt werden.
Was bedeutet Parodontitis?
Die Parodontitis - früher Parodontose genannt - ist eine Entzündung, die den Zahnhalteapparat im Mund zerstört und damit unbehandelt zum Zahnverlust führt. Sie ist neben Karies die häufigste chronische Erkrankung des Menschen. Sie kann in verschiedenen Schweregraden an einzelnen oder allen Zähnen vorkommen. Dieselben Bakterien, die Parodontitis auslösen, aber auch ihre Stoffwechselprodukte, gelangen unter anderem auf dem Blutweg in entfernte Körperregionen. Und dort können sie weitere Abwehr- und Entzündungsvorgänge hervorrufen und beeinflussen.
Wie verbreitet ist diese Krankheit?
Die letzte Mundgesundheitsstudie hat gezeigt: 51% der 35-44jährigen leiden an einer moderaten bis schweren Parodontitis, bei den Senioren ist der Prozentsatz sogar deutlich höher. Die Krankheit verläuft im Anfangsstadium oft unauffällig, teilweise sogar ohne Zahnfleischbluten, und leider bleiben zu viele Fälle unerkannt und unbehandelt. Dabei entspricht die Entzündungsfläche eines parodontal erkrankten Gebisses etwa der Innenfläche einer Hand. Wer würde eine solche Wundfläche auf der Haut unbehandelt lassen und so Folgen wie das Eindringen von Bakterien in den Blutkreislauf und damit den gesamten Körper in Kauf nehmen?
Wer ist besonders betroffen oder gefährdet?
Besonders gefährdet sind Ältere und Raucher. Parodontitis steht aber auch in engem Zusammenhang zu einigen Allgemeinerkrankungen. Eine Parodontitis kann Auswirkungen auf Erkrankungen haben, die in enger ursächlicher Verbindung zu Entzündungsabläufen stehen: Volkskrankheiten wie Atherosklerose, Herzinfarkt, Schlaganfall und besagter Diabetes, aber auch Rheuma (3) stehen hier konkret im Fokus. Gerade bei Diabetes mellitus, an dem hierzulande geschätzt jeder Zehnte leidet, ist eine frühzeitige Diagnose immens wichtig. Diabetiker haben nicht nur ein höheres Parodontitis-Risiko, die Zuckerkrankheit verschlechtert auch die Prognose der Parodontitis-Therapie. Und umgekehrt erschweren chronische parodontale Entzündungen die Einstellung stabiler Blutzuckerwerte.
Was kann denn jeder Einzelne für seine Zähne und damit seine Gesundheit tun?
Sehr viel. Es gilt auch hier die Devise: Vorbeugen ist besser als heilen! Um Zähne und Zahnfleisch dauerhaft gesund zu halten und eine Parodontitis zu vermeiden, ist eine gründliche Mundhygiene unumgänglich. Werden eine Parodontitis oder die Vorstufe Gingivitis diagnostiziert - ganz gleich, ob Risikogruppe oder nicht, heißt es: Je früher die Therapie beginnt, desto besser für das Zahnüberleben und die Allgemeingesundheit. Parodontitis lässt sich, rechtzeitig erkannt, gut therapieren und mit regelmäßiger individueller Nachsorge kontrollieren. Die gut erforschten negativen Wechselwirkungen von Diabetes und Parodontitis unterstreichen, wie wichtig die Prophylaxe, also Vorsorge, auch für die allgemeine Gesundheit ist (4). Eine gute Reinigung ist daher Pflicht. Wenn Dentalprofis wie Assistenzberufe oder Zahnmediziner zu deutlich besseren Putzergebnissen kommen als Laien (5), hat das auch damit zu tun, dass viele von ihnen auf die regelmäßige Reinigung mit Interdentalbürsten setzen.
Wer sollte solche Interdentalbürsten verwenden?
Jeder, bei dem Interdentalbürsten mit vorsichtigem leichtem Druck in die Zahnzwischenräume gelangen, sollte das tun. Mit der Zahnbürste werden in der Regel nur ca. 50% der Zahnflächen gereinigt, weil sie die Zwischenräume nicht erreicht (6). Und dort lagert sich dann die bakterielle Plaque ab, die vor allem zu Karies und Parodontitis führen kann. Leider ist das Wissen um die Notwendigkeit der Zahnzwischenraumpflege gering. Nur etwa 16 % jüngerer Erwachsener nutzen hierzulande Interdentalprodukte. Von den jüngeren Senioren gaben schon 29% an, regelmäßig zu Interdentalbürsten zu greifen (7). Eine gute Entwicklung, denn eine gründliche Mundhygiene - einschließlich der Zahnzwischenraumpflege - sollte zum Standard werden. Dann können wir alle ein Stück gesünder leben.
Reicht es, die Zwischenräume mit Zahnseide zu reinigen?
Zahnzwischenräume sind sehr individuell. Daher gibt es nicht das eine Allheilmittel für jeden Nutzer. Zahnseide kann bei gesundem Zahnfleisch und eng stehenden Zähnen hilfreich sein. Gerade an Stellen, an denen die Interdentalbürste nicht hinein passt, reinigt sie zufriedenstellend, sofern korrekt angewandt. Denn auch das Fädeln will gelernt sein, um Verletzungen zu vermeiden. Schon bei leichtem Zahnfleischrückgang - besonders im Bereich der Backenzähne - sind Interdentalbürsten die erste Wahl zur Reinigung. Sie füllen die Zwischenräume am besten aus und gelangen an Stellen, an denen Zahnseide keine Chance hat. Die regelmäßige, korrekte sowie langfristige Anwendung ist unabhängig vom Hilfsmittel das A und O. Daher ist bei der Hilfsmittelauswahl immer wichtig, dass das Hilfsmittel nicht nur zu den Zwischenräumen, sondern auch zur Geschicklichkeit und Motivation des Anwenders passt.
(1) YouGov Deutschland GmbH, Online-Umfrage, 22.-24.08.2017, n=2056. Ergebnisse sind gewichtet und repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren.
(2) YouGov Deutschland GmbH, Online-Umfrage, 22.-24.08.2017, n=2056. Ergebnisse sind gewichtet und repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren.
(3) Dommisch H et al., Allgemeine Gesundheit und Parodontitis. ZM, Nr. 23-24, 2017
(4) Deinzer R et al., Finding an upper limit of what might be achievable by patients: oral cleanliness in dental professionals after self-performed manual oral hygiene. Clin Oral Investig. 2017 Jul 4. doi: 10.1007/s00784-017-2160-9. [Epub ahead of print]
(5) Weitere Informationen zu den Wechselwirkungen von Diabetes und Parodontitis finden Sie außerdem hier: Casanova L et al., Diabetes and periodontal disease: a two-way relationship. British Dental Journal Volume 217 No. 8 Oct 24 2014 Dommisch H et al., Allgemeine Gesundheit und Parodontitis. ZM, Nr. 23-24, 2017
(6) Slot DE, The efficacy of manual toothbrushes following a brushing exercise: a systematic review. Int J Dent Hyg. 2012 Aug;10(3):187-97
(7) Jordan AR, DMS V im Fokus: Entwicklung der häuslichen Mundhygiene. Was bei Patienten funktioniert. ZM, Nr. 7, 2017
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