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Volkswagenstiftung fördert zwei unkonventionelle Forschungsprojekte an der Universität Freiburg

Volkswagenstiftung fördert zwei unkonventionelle Forschungsprojekte an der Universität Freiburg
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Volkswagenstiftung fördert zwei unkonventionelle Forschungsprojekte an der Universität Freiburg

  • Dr. Joana van de Löcht und Dr. Niels Penke widmen sich lokalen Sagen- und Märchenfiguren in deutschen Mittelgebirgen.
  • Dr. Balz Andrea Alter, Prof. Nadja Germann und Prof. Albert Gouaffo suchen in einem experimentellen Polylog einen Ausweg aus der kolonialen Sackgasse.

Germanistische Forschung im Wald, Reflexionen über Kolonialismus und Würde mithilfe der Kamera – experimentelle Ansätze zeichnen zwei neue Forschungsprojekte an der Universität Freiburg aus, die von der Volkswagenstiftung im so genannten Profilbereich Exploration gefördert werden. Die Stiftung will damit kreative und wagemutige Wissenschaftler*innen unterstützen. Die Germanist*innen Dr. Joana van de Löcht und Dr. Niels Penke untersuchen in ihrem Projekt Zwerge, Geister und andere Sagenwesen in Harz, Schwarzwald und Erzgebirge. Philosophin Prof. Dr. Nadja Germann, Germanist Prof. Dr. Albert Gouaffo und Sozialwissenschaftler Dr. Balz Andrea Alter führen einen multimodal vermittelten Dialog, ausgehend von der entmenschlichenden Dimension des Kolonialismus und deren Auswirkungen auf die Wissenschaftspraxis bis heute.

„EcoFolk. Zur Agentialität (über-)natürlicher Entitäten in deutschen Mittelgebirgen“

„Wir wollten ein Projekt entwickeln, das eher an den Grenzen unserer regulären Tätigkeit als Literaturwissenschaftler*innen steht“, sagt Dr. Joana van de Löcht. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Niels Penke von der Universität Siegen hatte sie bereits zum Moor in der Literatur gearbeitet – in dem neuen Projekt wollen sie nun gemeinsam (über-)natürliche Figuren aus den Sagen und Märchen deutscher Mittelgebirge auf ihr ökologisches und kulturpoetisches Potential hin untersuchen. „Dazu werden wir auch Gänge ins Gelände unternehmen, um etwa herauszufinden, wie und wo einzelne Figuren im Naturraum inszeniert werden“, erklärt van de Löcht. Im Schwarzwald bieten sich neben den Wassergeistern des Mummelsees etwa auch das Glasmännlein und der Holländermichel aus Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“ als Untersuchungsgegenstände an.

Die Sagen und Märchen wurden im frühen 19. Jahrhundert unter anderem durch die Brüder Grimm gesammelt und werden in den gegenwärtigen Literaturwissenschaften oft als allzu ‚einfache‘ Texte eher geringgeschätzt. In den populären Kulturen sind sie jedoch umso wirkmächtiger. In mehreren Fallstudien soll das Projekt nachvollziehen, welche Veränderungen die Figuren und Mythologeme mit der Zeit durchlaufen haben, während sich das Mensch-Natur-Verhältnis fortschreitend rationalisierte und ökonomisierte. Heute werden Sagen- und Märchenwesen oft als Garanten unbeeinträchtigter Naturräume inszeniert – und zwar gerade dort, wo die Schäden durch Raubbau, Missmanagement und Klimaveränderung besonders deutlich sind. „Das Projekt bedient sich vor allem der Methoden einer historisch orientierten Philologie sowie der Ökokritik“, sagt van de Löcht. „Und es zielt neben der Arbeit an Texten auch auf die Untersuchung von lokalem Naturmarketing und folkloristischer Festkultur etwa an Fasnacht oder bei der Walpurgisnacht.“

Dr. Joana van de Löcht ist Akademische Rätin a. Z. für Neuere Deutsche Literatur am Deutschen Seminar der Universität Freiburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem das Verhältnis von historischen Umweltbedingungen und Literatur, Tagebücher sowie Editionsphilologie. Dr. Niels Penke vertritt zurzeit die Professur für Neuere deutsche und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Siegen. Ihr gemeinsames Projekt trägt den Titel „EcoFolk. Zur Agentialität (über-)natürlicher Entitäten in deutschen Mittelgebirgen“, es ist auf anderthalb Jahre angelegt und wird mit gut 280.000 Euro gefördert.

„Restitution der Würde? Kolonialismus – ‚Human Remains‘ – Menschlichkeit“

So genannte „Human Remains“, also menschliche Überreste wie Knochen oder konservierte Organe, wurden in der Kolonialzeit von europäischen Wissenschaftlern als Forschungs- und Anschauungsobjekte ‚gesammelt‘ und befinden sich oft noch heute im Besitz von Universitäten. „Anhand von Human Remains einer deutschen Universität wollen wir die Frage nach der menschlichen Würde ausloten – wir fragen nach ihrer Verletzung und nach Möglichkeiten ihrer Wiederherstellung“, sagt Dr. Balz Andrea Alter. In einem doppelt gebrochenen Setting treffen sich der Germanist Prof. Dr. Albert Gouaffo von der Universität Dschang/Kamerun und die Philosophin Prof. Dr. Nadja Germann von der Universität Freiburg in einem „kinematografischen Reallabor“ zu einem transkulturellen Dialog, der in Bild und Ton aufgenommen und anschließend reflektiert wird. Die beiden Wissenschaftler*innen nehmen die zu Wissenschaftszwecken verwendeten Human Remains als Anlass, um sich mit dem Begriff von Würde und Menschlichkeit auseinander zu setzen: Ist Würde eine abstrakte Idee oder auch etwas materiell, also in Fleisch, Knochen, Geschichte Verkörpertes? Und was ließe sich hieraus für die zwischenmenschlichen Beziehungen über kulturelle Grenzen hinweg ableiten, auch und gerade heute?

Alter bezeichnet sich selbst als mit der digitalen Kinematografie forschender Sozialwissenschaftler. Er wird den kontinuierlichen Dialog in multimodaler Form mit der Kamera begleiten und in regelmäßigen Abständen die beiden Dialogpartner*innen mit den Aufnahmen konfrontieren: Sie werden damit gleichzeitig zu Subjekten und Objekten, zu Forscher*innen und Erforschten. In dieser Weise soll ein doppelter Reflexionsprozess angestoßen und zugleich dokumentiert werden, sagt Alter: „Über die entmenschlichenden Dimensionen des Kolonialismus in transkultureller und transdisziplinärer Perspektive sowie über die blinden Flecken und toten Winkel der beteiligten Wissenschaftler*innen selbst.“

Prof. Dr. Albert Gouaffo ist Professor für germanistische Literatur- und Kulturwissenschaft sowie interkulturelle Kommunikation an der Universität Dschang/Kamerun, Prof. Dr. Nadja Germann ist Professorin für Arabische und transkulturelle Philosophie an der Universität Freiburg. Dr. Balz Andrea Alter ist Mitarbeiter des Afrika-Zentrums für Transregionale Forschung (ACT) an der Universität Freiburg sowie des Freiburger Arnold-Bergstraesser-Instituts (ABI). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Praxen der mündlichen Wissensproduktion und -vermittlung, Restitution, multimodale Ethnografie und Film als Forschung. Das Projekt trägt den Titel „Restitution der Würde? ‚Human Remains‘ – Kolonialismus – Menschlichkeit“, es ist ebenfalls auf anderthalb Jahre angelegt und wird mit gut 356.000 Euro gefördert.

Mehr zum Profilbereich „Exploration“ der Volkswagenstiftung

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