Innere Uhren: Der Aufbau der Zellen spielt eine wichtige Rolle
Innere Uhren: Der Aufbau der Zellen spielt eine wichtige Rolle
Innere Uhren steuern biologische Zyklen von der Zellteilung der Pflanzen bis zur abendlichen Müdigkeit der Menschen. Ein Forschungsverbund an der Universität Kassel entschlüsselt seit Jahren die zellulären Grundlagen dieser inneren Uhren. Nun haben Physiker gemeinsam mit einem Kollegen von der Universität der Balearen einen weiteren Erfolg erzielt: Eine entscheidende Rolle kommt der inneren Organisation der Zellen zu. Vereinfacht gesagt: Wie schnell die Uhr tickt, hängt auch davon ab, wie aufgeräumt die Zelle ist.
Die Rhythmen, die unseren Tagesablauf steuern, hängen davon ab, wie unsere Zellen im Inneren organisiert sind, so die grundlegend neue Erkenntnis. Viele Lebewesen haben innere Uhren, die dafür sorgen, dass sie regelmäßigen Mustern folgen, z. B. wach werden und schlafen. Diese Uhren helfen ihnen, sich auf Dinge wie Nahrungssuche oder Paarung vorzubereiten. Von winzigen Einzellern bis hin zu komplexen Lebewesen haben die Zellen Netzwerke entwickelt, die wie Ketten biochemischer Reaktionen funktionieren und als innere Uhren fungieren.
Bisher ging man für die Modellierung davon aus, dass diese Uhren wie ein Gefäß funktionieren, in dem alle notwendigen Chemikalien immer reaktionsbereit sind. Das Forscherteam, bestehend aus Dr. Pablo Rojas und Prof. Dr. Martin Garcia von der Universität Kassel sowie Prof. Oreste Piro von der Universität der Balearen, hat jedoch gezeigt: Es kommt auf die Zeit an, die ein Molekül für den Weg von seinem Entstehungsort bis zu seinem Reaktionsort benötigt. Die Wissenschaftler entwickelten mathematische Gleichungen, die die individuelle Bewegung der Moleküle innerhalb der Zelle beschreiben, und kamen zu dem Schluss, dass die interne Anordnung der Zelle das periodische Ticken der Uhr auslösen oder unterdrücken kann.
„In den Zellen von Eukaryoten, also von Tieren, Pflanzen und Pilzen, gibt es eine physische Trennung zwischen dem Zellkern, in dem der genetische Code für die Produktion von Proteinen gespeichert ist, und dem Zytoplasma, in dem die Proteine von Ribosomen hergestellt werden", erklärt Prof. Garcia. Obwohl die Uhrenzellen winzig sind, in der Regel im Bereich von Mikrometern, stellt ihre überfüllte interne Organisation einen Weg voller Hindernisse für die Wanderung von Molekülen dar: So kann das Zytoplasma seinerseits durch Membrane unterteilt sein, außerdem enthält es zahlreiche Elemente von Mitochondrien bis zu Lyosomen. Das bedeutet, dass die Proteine, die für den inneren Rhythmus verantwortlich sind, eine nicht unerhebliche Zeit benötigen, um den Zellkern zu erreichen, wo sie die Uhrmaschinerie in Gang setzen. Diese Verzögerung ist entscheidend für das Funktionieren der inneren Uhr.
"Dieses Konzept erklärt die Existenz von Rhythmen unter Bedingungen, von denen man annahm, dass sie nicht auftreten würden", sagt Dr. Rojas, Postdoktorand in der Gruppe von Prof. Garcia. "Wir haben mit dem Dogma gebrochen, dass eine einzelne Expressions-Repressionsschleife nicht oszillieren kann", fügt Prof. Piro hinzu, der gerade ein Sabbatical am Institut für Physik der Universität Kassel verbringt.
Von der Theorie zur Anwendung
Die besseren und einfacheren Modelle, die sich aus diesem Durchbruch ergeben, könnten schließlich zu Verbesserungen in der Chronomedizin führen, z. B. durch die Entwicklung von Therapien für Chronopathien wie Jetlag und Schlafstörungen sowie durch die Optimierung des Zeitpunkts der Medikamentenverabreichung bei herkömmlichen Behandlungen. Aber das ist noch nicht alles: Forscher, die in der synthetischen Biologie arbeiten, einem Bereich, der darauf abzielt, lebensähnliche Schaltkreise analog zu den elektronischen Schaltkreisen zu bauen, könnten von der Entwicklung einfacherer oszillierender Module profitieren.
Diese Arbeit wurde im Rahmen des Graduiertenkollegs „Biologische Uhren auf multiplen Zeitskalen“ durchgeführt,
https://www.uni-kassel.de/forschung/multiscale-clocks/welcome
einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten interdisziplinären Verbundprojekt, in dem Forscher/innen aus der Biologie, Physik, Mathematik, Ingenieurwissenschaften und Chemie an der Uni Kassel zusammenarbeiten, um biologische Rhythmen zu erforschen und entschlüsseln.
Weitere Informationen:
Der Artikel Biological Rhythms Generated by a Single Activator-Repressor Loop with Inhomogeneity and Diffusion wurde in der renommierten Zeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht. Link zum Paper: https://link.aps.org/doi/10.1103/PhysRevLett.132.268401
Kontakt:
Prof. Dr. Martin E. Garcia
Universität Kassel
Fachbereich Mathematik und Naturwissenschaften (FB10)
Tel: +49 561 804-4480
Mail: garcia@physik.uni-kassel.de
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