Streit. Menschen, Medien, Mechanismen im 18. Jahrhundert und heute
Streit. Menschen, Medien, Mechanismen im 18. Jahrhundert und heute
Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen 2023 gibt der aktuellen Diskussion um die heutige Streitkultur eine historische Tiefe: Schloss und Hörsaal waren die Streitarenen der Vergangenheit, heute sind es eher Screens und Fußballstadien. Ist sonst alles gleich geblieben? Signifikante Streitfälle in historischen und gegenwärtigen Streitarenen öffnen vertraute bis überraschende Assoziationsräume und laden zur Reflexion über Standpunkte und Verhaltensweisen in unserer heutigen Streitkultur ein.
SAVE THE DATE:
Pressetermin am 16.03.2023 um 11:00 Uhr, Historisches Waisenhaus, Franckeplatz 1
Ausstellungseröffnung am 18.03.2023 um 11:00 Uhr im Freylinghausen-Saal
Streit ist ein essentieller Bestandteil unseres Lebens, unserer Gesellschaft und unserer Demokratie. Im digitalen Zeitalter verhandeln wir heute die rote Linie und damit die Grenzen des Sagbaren neu. Die Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen 2023 nimmt die Vertreibung des Philosophen Christian Wolff (1679–1754) aus Halle vor 300 Jahren zum Anlass, um der gegenwärtigen Diskussion über die Streitkultur eine Tiefenstruktur zu geben. »In historischen und zeitgeschichtlichen Streitarenen lädt die Ausstellung ein, Streitfall für Streitfall Menschen, Medien und Mechanismen in den Blick zu nehmen, um die Sicht auf heutiges Streitgeschehen zu schärfen«, erläutern die Kurator:innen Prof. Dr. Holger Zaunstöck und Claudia Weiß das deutschlandweit einzigartige Ausstellungskonzept.
Die Besucher:innen erwartet auf 350qm Ausstellungsfläche im Historischen Waisenhaus der Franckeschen Stiftungen eine aufwändig inszenierte Zeitreise mit ausgesuchten, wertvollen historischen Objekten und medialen Streitereignissen, welche Geschichte geschrieben haben. In den wörtlich zu nehmenden Streitarenen werden sie aktiv in die Streitfälle hineingezogen. Ein Streitkaraoke lädt dazu ein, realen Streitigkeiten die eigene Stimme zu verleihen, ein interaktives Spiel lässt sie Position beziehen, wenn sie Musikstücken der Avantgarde und Popkultur vernichtende Kritiken zuordnen müssen.
Der Rundgang startet mit der Skulptur »Vogel Selbsterkenntnis«, einem Bildmotiv, das im 17. und 18. Jahrhundert europaweit verbreitet war: Aus einem menschlichen Haupt wachsen Hals und nach unten geneigter Kopf eines Vogels, dessen Schnabel den Menschen in die Nase zwickt. »Er führt einen der wahrscheinlich wichtigsten Aspekte in der Geschichte des Streitens vor Augen: das Sich-an-die-eigene-Nase-Fassen, die kritische Selbstreflexion. Wir selbst sind seit jeher dafür verantwortlich, wie wir miteinander streiten«, fassen die Kurator:innen zusammen.
In den sich anschließenden Ausstellungsräumen führt die Ausstellungsgestaltung der hallischen Agentur FORMIKAT die Besucher:innen mitten hinein in drei historische und drei zeitgenössische Streitarenen, in denen signifikante Streitfälle aufgeführt werden.
Auf dem Marktplatz, einem der zentralen städtischen Orte der Frühen Neuzeit für Kommunikation, Streitgeschehen und Strafpraxis, wird unter anderem der »Streit um die Hosen« geführt: Auf historischen Grafiken ringen Mann und Frau um die Hosen als Sinnbild für die Herrschaft in Beziehung und Haus. Die zweite Streitarena Universität widmet sich dem Streitfall zwischen Christian Wolff und seinen Kontrahenten an der Theologischen Fakultät in Halle. Die Höfe stellten einen weiteren zentralen Raum der Lebenswelt des 18. Jahrhunderts dar und bilden die dritte frühneuzeitliche Streitarena: Voltaire und Friedrich II. zeigen, wie fließend die Grenze zwischen Sachkritik, persönlichen Angriffen und Verunglimpfungen verlaufen kann.
Dem 18. Jahrhundert werden drei zeitgeschichtliche Streitarenen gegenübergestellt. Diese beginnen mit der Arena Screen: Mittels unterschiedlicher Bildschirmformate werden prägnante Beispiele aus Kino, Fernsehen und den Sozialen Medien in den Blick genommen – von Spiel mir das Lied vom Tod bis zur Girlgroup Tic Tac Toe. Sound Stage, die zweite zeitgeschichtliche Arena, widmet sich den akustischen Streitkulturen. In ihr wird ein Bogen vom klassischen Konzertsaal mit dem Streitfall der ›Neuen Musik‹ bis zu auditiven Äußerungen von sozialen Konflikten und Instrumentenzerstörungen geschlagen. Das Fußballstadion schließlich ist die dritte Arena, die Streit in unserer Gegenwart behandelt. Mit dem Stadion als Ort kontroverser Fußball- und Fankultur kommt ein Raum des Streitens in den Blick, der hierfür berühmt und berüchtigt sowie in den Medien überaus präsent ist.
»Rückgreifend auf das Konzept der Invektivität bietet der Rundgang Arena für Arena Perspektiven auf soziale, mediale, sprachlich-rhetorische und körperliche Mechanismen und Phänomene der Provokation, Beleidigung und Herabsetzung und zeigt deren Folgewirkungen auf die Streitkultur auf«, ordnet der Historiker Holger Zaunstöck das Ausstellungskonzept in die aktuelle Forschung ein und ergänzt: »So regt die Schau auch nach dem Besuch zum Nachdenken und Diskutieren über das eigene Streiten an.«
JAHRESAUSSTELLUNG DER FRANCKESCHEN STIFTUNGEN
Streit. Menschen, Medien, Mechanismen im 18. Jahrhundert und heute
18. März 2023 bis 04. Februar 2024
Di – So, feiertags 10 – 17 Uhr
Franckeplatz 1, 06110 Halle (Saale)
Eintritt 6 Euro, erm. 4 Euro, bis 18 Jahre frei
Alle Informationen auf www.francke-halle.de
WISSENSCHAFTLICHER BEGLEITKATALOG
Streit. Menschen, Medien, Mechanismen im 18. Jahrhundert und heute.
Herausgegeben im Auftrag der Franckeschen Stiftungen von Claudia Weiß und Holger Zaunstöck. Halle 2023 (Kataloge der Franckeschen Stiftungen, 39).
200 S., 155Abb., € 28,00; ISBN 978-3-447-11977-1
Mit einer Einführung der Kurator:innen Prof. Dr. Holger Zaunstöck und Claudia Weiß und Beiträgen des hochspezialisierten interdisziplinären Expert:innen-Teams zur Ausstellung aus der Geschichts-, Medien- und Literaturwissenschaft sowie der Medienlinguistik und Kunstgeschichte:
Teil1: Streit im 18. Jahrhundert
Lea Hagedorn: Streithafte Bilder im 18. Jahrhundert. Formen-Orte-Grenzen
Stefan Borchers: Die Auseinandersetzung um Christian Wolff
Andreas Pečar: Die Fürstenhöfe als Arenen aufgeklärter Streitkultur? Voltaire und Friedrich II. von Preußen
Teil 2: Streit in Gegenwart und Zeitgeschichte
Leef Hansen& Franziska Heller: »Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte«?! Screens als mediale Arenen, Streit als Spektakel und die Positionierung der Zuschauer:innen
Anna Schürmer: Akustische Streitkulturen. Von musikalischen Dissonanzen bis zur auditiven Ebene von sozialem Dissens
Simon Meier-Vieracker: Das Fußballstadion als Streitarena
Franckesche Stiftungen I Franckeplatz 1, Haus 1 I 06110 Halle (Saale) Historische Schulstadt I Historisches Waisenhaus I Kunst- und Naturalienkammer I Historische Bibliothek Öffnungszeiten Informationszentrum im Francke-Wohnhaus und Ausstellungen: Di-So und feiertags 10-17 Uhr Eintritt: 6 Euro, erm. 4 Euro, Kinder bis 18 Jahre Eintritt frei www.francke-halle.de