Es gibt keine Zeugenaussagen über einen Messerangriff
Berlin (ots)
Behörden, die die wahren Umstände einer Straftat verschleiern? Mit Blick auf einen vermeintlichen Messerangriff am Hamburger Landgericht versucht die Webseite «Deutschlandstimme», diesen Eindruck zu erwecken. Der Artikel spricht von Zeugenhinweisen auf «südländisch» aussehende Verdächtige und streut Gerüchte über die mögliche Verwicklung von arabischen Familienclans (http://dpaq.de/YdfKM).
BEWERTUNG: Zeugen, die den angeblichen Messerangriff gesehen haben, sind den Ermittlern nicht bekannt. Auch die Gerüchte über Clankriminalität haben sich bisher nicht bestätigt.
FAKTEN: Die Polizei berichtet am Vormittag des 29. Oktober von einem Verletzten, der vom «Strafjustizgebäude am Sievekingplatz» ins Krankenhaus gebracht wurde (http://dpaq.de/QwLKC). Weil die Hamburger Ermittler zunächst von einem flüchtigen Täter ausgehen, starten sie eine Großfahndung.
Schon bald legen die Ermittlungen jedoch den Verdacht nahe, der Mann könnte sich selbst leicht verletzt haben, um seiner Gerichtsverhandlung zu entgehen. Dafür spreche auch seine Vorgeschichte, wie ein Gerichtssprecher erläutert (http://dpaq.de/WYylU). Um 15:52 twittert die Polizei: «Nach ersten Erkenntnissen könnte sich der Mann die Verletzungen selbst zugefügt haben. Die Ermittlungen dauern an.» (http://dpaq.de/blYVR)
Zum Hintergrund: Es geht um einen ehemaligen Rechtsanwalt, der wegen Veruntreuung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt wurde. Er hatte SOS-Kinderdörfer sowie Mandanten um Hunderttausende Euro geprellt. Gegen das Urteil hatte der 56-Jährige Berufung eingelegt - das Verfahren sollte am 29. Oktober beginnen.
Die Behauptung im Netz, Zeugen hätten den Angriff beobachtet, ist offenbar erfunden: «Es gibt auch durch Zeugen keinen Täterhinweis», sagt ein Ermittler nach dem Vorfall der «Bild»-Zeitung (http://dpaq.de/Ath4u). Nach einem Täter werde nicht mehr gefahndet, sagt ein Polizeisprecher dem «Stern» (http://dpaq.de/ZDJGw).
Im Gegenteil: Zeugen haben offenbar gesehen, wie das vermeintliche Opfer sich selbst verletzt hat. Auf Grundlage dieser Aussagen verwirft das Gericht die Berufung noch am selben Tag.
Dagegen legt der Anwalt des Angeklagten Revision ein, eine Begründung gab es bis zum 13. November nicht. Das heißt: Es liegt bisher weder ein ärztliches Gutachten vor, das den vermeintlichen Messerangriff bestätigt, noch gibt es Augenzeugen dafür, wie ein Gerichtssprecher der Deutschen Presse-Agentur bestätigte.
Der Beitrag der «Deutschlandstimme» versucht unmittelbar nach dem Vorfall, Zweifel an den bisherigen Ermittlungsergebnissen zu streuen. Unter anderem heißt es:
«Gerüchte machen die Runde, dass der Anwalt einen großen Stamm seiner Klienten in arabischen Familienclans habe. Dann würde die «selbst beigefügte Stichverletzung im Rücken» durchaus in einem ganz anderen Licht erscheinen!». Wer das «Gerücht» in die Welt gesetzt hat und wie sein Wahrheitsgehalt einzuschätzen ist, verrät der Autor nicht.
---
Links:
Facebook-Post: https://www.facebook.com/Deutschlandstimme/photos/a.336387730233557/595565847649076/?type=3&theater (archiviert: https://perma.cc/CM2H-6NJV)
Polizei Hamburg auf Twitter: https://twitter.com/PolizeiHamburg/status/1189121377829314561
Update der Polizei: https://twitter.com/PolizeiHamburg/status/1189193217251532800
Erläuterungen des Gerichtssprechers: https://www.mopo.de/hamburg/polizei/kein-messerangriff-anwalt-verletzt-sich-selbst---richterin-faellt-nicht-darauf-rein-33383354
Bericht der «Bild»-Zeitung: https://www.bild.de/regional/hamburg/hamburg-aktuell/vorm-landgericht-anwalt-sticht-sich-selbst-nieder-65686874.bild.html
Bericht im «Stern»: https://www.stern.de/panorama/stern-crime/hamburg--messerangriff-am-landgericht-war-womoeglich-selbstverletzung-8976190.html
---
Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com
© dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH. Die vorstehenden Inhalte sind urheberrechtlich geschützt. Jegliche Nutzung von Texten, Grafiken und Bildern ohne vertragliche Vereinbarung oder sonstige ausdrückliche Zustimmung der dpa ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe sowie Speicherung, Bearbeitung oder Veränderung. Alle Rechte bleiben vorbehalten.