Heilpflanze nicht grundsätzlich verboten - Wirksamkeit gegen Corona wird untersucht
Berlin (ots)
Die Europäische Union und die Bundesregierung haben angeblich Ende 2019 die Verbreitung von Tee aus Einjährigem Beifuß (Artemisia annua) verboten. Die Heilpflanze sei "laut aktueller Forschung" auch gegen Corona wirksam. Diese Behauptungen stammen offenbar aus einem Leserbrief, der in einer Zeitung gedruckt wurde. Ein Foto davon wird bei Facebook verbreitet (http://dpaq.de/F8ZeT).
BEWERTUNG: Produkte des Einjährigen Beifußes sind in Deutschland nicht per se verboten; man muss eine Zulassung dafür beantragen. Aktuell ist ein Max-Planck-Institut an einer Studie beteiligt, die die Wirksamkeit von Wirkstoffen der Pflanze gegenüber Sars-CoV-2 untersucht. Bislang ist sie nicht erwiesen.
FAKTEN: Der Einjährige Beifuß ist als Heilpflanze Bestandteil der traditionellen chinesischen Medizin. Die chinesische Pharmakologin Tu Youyou analysierte auf der Suche nach einem Wirkstoff gegen Malaria vor rund 50 Jahren verschiedene Heilpflanzen. Die Wissenschaftlerin zeigte, dass ein Extrakt aus dem Einjährigen Beifuß hochwirksam gegen Malaria-Parasiten ist (http://dpaq.de/8wxmW).
Der gewonnene Wirkstoff wurde Artemisinin getauft. Ein davon abgeleiteter, halbkünstlicher Stoff - Artesunat - ist seit Längerem ein Standardmittel zur Behandlung von Malaria. So ist es auch auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der WHO aufgeführt (http://dpaq.de/Nfjf1). Tu Youyou erhielt für ihre Entdeckungen 2015 den Medizin-Nobelpreis (gemeinsam mit zwei weiteren Wissenschaftlern, http://dpaq.de/lSj5E).
Der deutsche Apotheker Hans-Martin Hirt setzt sich mit dem Netzwerk "Anamed" dafür ein, dass Artemisiatee aus einer speziellen Züchtung - als günstigere Alternative zu dem Medikament Artesunat - flächendeckend gegen Malaria eingesetzt wird (http://dpaq.de/W38u7). Auf Hirts Forschung bezieht sich auch der im Post geteilte Leserbrief.
Auf Anfrage teilt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) der Deutschen Presse-Agentur mit, dass Artemisia annua in Deutschland nicht grundsätzlich verboten sei. Jedoch müsse man, wenn man die Pflanze hier als Lebensmittel vermarkten wolle, eine Zulassung bei der Europäischen Union (EU) beantragen. Bislang gibt es keine solche Zulassung.
Denn Artemisia annua falle laut einer EU-Verordnung unter die Kategorie "neuartiges Lebensmittel", so das Bundesamt (EU-Verordnung 2015/2283, http://dpaq.de/AV8rm). Darunter versteht man alle Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der EU für den menschlichen Verzehr verwendet wurden.
Das BVL führt weiter aus: "Wenn Artemisia annua in der EU mit dem Ziel der Behandlung oder Vorbeugung einer Krankheit vermarktet werden soll (...), handelt es sich um ein Arzneimittel, für das eine Zulassung nach dem Arzneimittelrecht erforderlich ist."
Die Weltgesundheitsorganisation zeigt sich grundsätzlich skeptisch gegenüber der Wirksamkeit etwa eines Tees aus der Pflanze. In einer Stellungnahme von 2019 heißt es, dass die WHO die Anwendung nicht-pharmazeutischer Formen der Artemisia annua zur Vorbeugung oder Behandlung von Malaria nicht unterstütze. Als Begründung wird unter anderem darauf verwiesen, dass Wirkstoffgehalt und Qualität der Pflanzen stark variierten (http://dpaq.de/E014c).
Ob aus dem Einjährigen Beifuß gewonnene Stoffe gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 wirksam sind, wird von deutschen und dänischen Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit einem amerikanischen Unternehmen untersucht. Das teilte das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung mit Sitz in Potsdam am 8. April 2020 mit (http://dpaq.de/tguUM). Das beteiligte US-Unternehmen beschäftigt sich damit, optimal nutzbare Artemisia-Pflanzen zu züchten (http://dpaq.de/XRYha).
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Links:
Ärzteblatt zur Verleihung des Medizin-Nobelpreises 2015: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/64374/Medizinnobelpreis-fuer-die-Entdeckung-von-Avermectin-und-Artemisinin
Nobelpreis-Komitee zum Medizin-Nobelpreis 2015 (in Englisch): https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/2015/summary/
WHO: Liste der unentbehrlichen Arzneimittel 2019 (in Englisch): https://apps.who.int/iris/rest/bitstreams/1237479/retrieve
"Anamed" zu Artemisia annua und Malaria: https://www.anamed-edition.com/de/malaria.html
EU-Verordnung über neuartige Lebensmittel: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R2283&from=DE
WHO-Stellungnahme zu nicht-pharmazeutischen Formen der Pflanze: https://www.who.int/malaria/mpac/mpac-october2019-session3-non-pharmaceutical-use-artemisia.pdf
Max-Planck-Institut: Artemisia annua/Sars-CoV-2 (in Englisch): https://www.mpg.de/14663263/artemisia-annua-to-be-tested-against-covid-19
Das Unternehmen Artemi Life (in Englisch): https://artemilife.com/about
Beitrag: https://www.facebook.com/FreieMedien2.0/photos/a.193421771068833/870487706695566/?type=3&theater (archiviert: http://archive.vn/R7FOO)
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