Antibiotikamangel: "Wir können nur noch 50 Prozent des Bedarfs decken"
Berlin (ots)
Neuer Engpass bei Medikamenten gegen sexuell übertragbare Infektionen (Gemeinsame Pressemitteilung von dagnä, DAH und DAHKA)
In Deutschland sind wieder wichtige Medikamente zur Behandlung von sexuell übertragbaren Krankheiten knapp. Wie die Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger Ärzt:innen für Infektionskrankheiten und HIV-Medizin (dagnä), die Deutsche Aidshilfe (DAH) und die Vertretung HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA) gemeinsam mitteilen, stehen die Antibiotika Doxycyclin und Azithromycin offenbar nicht mehr ausreichend zur Verfügung. Damit muss mit Einschränkungen bei der Behandlung von Infektionskrankheiten wie Chlamydien, Gonorrhoe und Syphilis gerechnet werden.
"Wir können bei beiden Wirkstoffen schätzungsweise nur noch 50 Prozent des Bedarfs decken", sagt DAHKA-Vorstand Erik Tenberken. Nahezu alle Apotheken seien von Lieferengpässen betroffen. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) haben offiziell nur insgesamt vier Hersteller Lieferengpässe angemeldet. Laut Erik Tenberken liefert aktuell jedoch kein Hersteller in gewohnten Umfang. "Wir zehren von Vorräten und kratzen Restbestände zusammen - lange geht das nicht mehr gut."
Das Breitbandantibiotikum Doxycyclin wird gegen zahlreiche bakterielle Infektionen eingesetzt und gilt besonders in der Behandlung von sexuell übertragbaren Krankheiten als unverzichtbar. Es ist das gängige Mittel gegen Chlamydien und wird in bestimmten Fällen bei Syphilis-Infektionen verabreicht. Azithromycin ist das Medikament der Wahl bei einer Mykoplasmeninfektion und kann trotz zunehmender Resistenzen auch in einer Gonorrhoe-Therapie und bei Chlamydien noch Anwendung finden.
"Die Mangelversorgung birgt große Gefahren", sagt dagnä-Vorstand Dr. Heiko Karcher, der die Mittel in seiner Berliner Schwerpunktpraxis normalerweise täglich verschreibt. Bei einer Syphilis etwa sei Doxycyclin für Penicillin-Allergiker oft die einzige Alternative; bei Chlamydien stelle man sich darauf ein, mit sogenannten Gyrase-Hemmern arbeiten zu müssen, die für schwere Nebenwirkungen bekannt sind. "Die Lieferengpässe erschweren die bestmögliche Behandlung, schränken den ärztlichen Spielraum bei der Therapie unzumutbar ein und gefährden damit das Wohl unserer Patienten", sagt Karcher.
Schon Anfang 2024 war es zu einem massiven Mangel der Wirkstoffkombination Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil gekommen, die zur Prophylaxe und Behandlung von HIV eingesetzt wird. Nun gibt es bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres nicht mehr ausreichend Wirkstoffe zur Behandlung von sexuell übertragbaren Infektionen. Aus Sicht von dagnä, DAHKA und DAH ein Skandal: "Wir gehen davon aus, dass die Ursachen für die aktuellen Lieferschwierigkeiten die gleichen sind wie vor wenigen Monaten bei Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil", sagt Karcher. Es sei bedauerlich, dass Politik und Hersteller offenbar weiter nicht die systemischen Probleme angingen, die immer wieder zu Lieferengpässen führten.
Dazu gehören neben mangelhaften Meldeverfahren für Engpässe und fehlender Transparenz etwa die Konzentration auf nur noch wenige Anbieter am Markt, die zudem fast alle außerhalb Europas produzieren. Schon kleine Störungen in der Lieferkette können so zu schwerwiegenden Engpässen führen. Die deutsche Rabattpreispolitik trägt möglicherweise dazu bei, dass immer mehr Hersteller ganz vom deutschen Markt verschwinden.
"Wir fordern die Politik auf, endlich entschieden zu handeln", sagt DAH-Vorstandsmitglied Ulf Kristal. Die bisher auf nationaler und europäischer Ebene ergriffenen Maßnahmen reichten nicht aus, um die Probleme zu lösen. "Wir brauchen eine Diversifizierung von Lieferketten, eine nachhaltige Stärkung der Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen in Europa und wirksame Maßnahmen für eine ausreichende Vorratshaltung", so Kristal weiter. "Zudem müssen die Mechanismen der Preisgestaltung für Arzneimittel in Deutschland dringend überdacht werden." Die aktuellen Zustände seien nicht mehr hinnehmbar, sagt auch dagnä-Vorstand Karcher. "Patientinnen und Patienten haben ein Recht auf die wirksamste und beste Therapie - es kann nicht sein, dass sie sich mit Notlösungen zufriedengeben müssen."
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